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www.rhetorik.ch aktuell: (2. Dezember. 2002)

Der Bundeskanzler geht in die Offensive


Nachdem der Kanzler wochenlang auf die Schippe genommen wurde und im öffentlich-rechtlichen TV Magazin "Extra 3" vom NDR auch die Kanzlergattin mit einem gemeinen Spottlied verhöhnt und verulkt worden war, musste dem Spass-Kanzler sicherlich die Lust am Scherzen vergangen sein.
Bis anhin parierte Schröder alle Angriffe locker mit links. Viele haben noch den lachenden Kanzler mit Edel-Zigarre und Brioni- Anzug auf der Coach in "Wetten-dass...?" in Erinnerung. Gerhard Schröder scheint heute die Lust auf Scherze gewiss auch deshalb vergangen zu sein, weil für Rot-Grün die Lage ernst geworden ist.
Nachrichtenagenturen verkündeten Ende November die Hiobsbotschaft der jüngsten Umfragen. Nur noch 28% würden die SPD und nur noch 33% Schröder wählen. Gerüchte über eine angebliche Ablösung von Finanzminister Eichel machten die Runde.
Einmal hiess es, die Steuern müssten zusätzlich erhöht werden. Dann folgten wieder Dementis. Zudem gab es die "Panzer Panne" von Verteidigungsminister Struck mit einer peinlichen Verwechslung von Panzertypen für Lieferung nach Israel.
Bei allen Vorkommnissen blieb Kanzler Schröder erstaunlich zurückhaltend. Er handelte immerhin nicht voreilig oder kopflos. Von den SPD- Altvorderen Hans-Jochen Vogel und Erhard Eppler liess er sich sogar für seinen jüngsten Auftritt beraten. Die Ghostwriter bauten ihm daraus am letzten Wochenende ein durchdachtes Manuskript.


Aus rhetorischer Sicht war der Auftritt an der Medienkonferenz vom 2. Dezember gelungen. Die Emotionen stimmten mit der Botschaft überein. Dies unterstrich die Glaubwürdigkeit. Wir stellten aber fest, dass im Gegensatz zu früheren Reden der Text abgelesen wurde. (Vielleicht wollte er bewusst jedes Wort - gemäss Vorbereitung - korrekt wiedergeben.) Wir vertreten trotz dieser Beurteilung die Meinung, Schröder habe zu lange gewartet mit seinem proaktiven Verhalten. Erst an der erwähnten Medienkonferenz ging Gerhard Schröder in die Offensive.


Schröder griff erstmals ins politische Geschehen ein und machte aus seiner Seele keine Mördergrube. Er sprach deutliche Worte. Gerichtet an die eigenen Koalition betonte er, die "Kakophonie in den eigenen Reihen müsse endlich aufhören". Dies sei für die Regierungspolitik "absolut unerträglich". Der Zuschauer merkte vor dem Bildschirm, dass dem Kanzler der Kragen geplatzt war. Möglicherweise punktete der Kanzler mit seinem deutlichen Machtwort.
Mit der Opposition ging Schröder ebenfalls unzimperlich um. Er wies die Kritik der Union vehement zurück. Alles sei nur Klaumauk und man nutze bewusst ein Kriegsvokabular. Uebrigens: Schon vor seinem Auftritt klagte der Kanzler in Gesprächen über die “Hetze³ gegen ihn. Die Grünen warfen Schröder nach der Rede Profilierungssucht vor. Etwas steht fest: Der Streit über die Reformen der Renten zwischen Rot und Grün ist noch nicht beigelegt.
Nachtrag vom 4. Dezember. "Der Löwe ist los"
Am Bundestag vom 4. Dezember war der Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition vorprogrammiert. Alle rechneten mit einer Blut- Schweiss- und Tränenrede des Kanzlers. Zu dieser Botschaft - in Anlehnung an die Churchillrede - kam es nicht ganz. Dafür erinnerte der Kanzlerauftritt an das zweite TV Duell. Schröder wirkte damals - bei der ersten Rede eher blass - und in der zweiten Rede war er dann viel emotionaler. Der "Spiegel" titelte: "Der Löwe ist los".
Am Bundestag dominierten wie beim zweiten Duell die Emotionen. Schröder geisselte die Opposition mit ungewöhnlicher Härte. Er fühlte sich persönlich angegriffen und bezeichnete die Aussagen der Kritiker als
  • dümmliche Sprüche
  • das Niveau zeige, dass die Opposition keine Ahnung habe von der Sache
  • alles sei nur noch eine persönliche Attacke und Klamauk
  • die Opposition könne nur noch persönlich diffamieren aber inhaltlich nichts beitragen
  • die Scharfmacher müssen zurückgepfiffen werden!
Angela Merkel war nicht minder zimperlich: Die Beleidigungen überschritten zum Teil die üblichen Grenzen.
  • Wenn der Kanzler so brülle, zeigt dies, dass der Mann mit dem Rücken zur Wand steht!"
  • Merkel zu Schröder: "Die Menschen mögen, wenn Sie so dastehen und grinsen."
Gewiss konnte der Kanzler mit seinem engagierten, lautstarken Auftritt am Bundestag die eigenen Leute begeistern. Ob er bei deim Publikum überzeugte, ist eher fraglich.



Die Bundestagsreden veranschaulichten uns einen Schlagabtausch mit unzähligen Beispielen unbedachter Sprachkultur. Gags und lautstarkes Brüllen kann aber leider inhaltliche Dürftigkeit nie wettmachen.

Spiegel: "Der Bundeskanzler geht in die Offensive. Erst legte er seinen redseligen Parteigenossen Maulkörbe an. Dann ersetzte er seine erwartete Blut-, Schweiss- und Tränen-Rede im Bundestag durch eine Attacke auf die Opposition. Und am Nachmittag ließ er seine erstaunte Partei wissen, er sei gegen die Vermögensteuer. (...)
"So ist Schröders Überraschungscoup wohl vor allem eines: eine Gehorsamsöbung für seine aus dem Ruder gelaufenen Genossen. Der Parteichef will zeigen, wer der Herr im Haus ist. Zuletzt in Frust und Depression versunken, hat er in dieser Woche das Heft wieder in die Hand genommen. Sein Schritt federt wieder, er scherzt, übt sogar gelegentlich sein Siegerlächeln. Er hat Frau und Freunde zum Schweigen gebracht und spricht wieder selber."


Nachtrag vom 5. Dezember. "Darf im Bundestag gelacht werden?"

Die Oppositionsführerin Angela Merkel. (Quelle Südkurier vom 5. Dezember 2002:)

Was die Leute besonders gut leiden können, ist Ihr dauerndes Lachen und Grinsen auf der Regierungsbank.
Quelle: Suedkurier, 5. Dezember, 2002


Nachtrag vom 10. Dezember. Schröders verkappte Rücktrittsdrohung
Nach dem tagelangen Hickhack um Steuer- und Irakpolitik hielt der Kanzler an der SPD Vorstandsitzung vom 9. Dezember eine Gardinenpredigt.

"Wenn irgendeiner hier im Saal meint, es besser zu können, dann soll er es machen!"


Schröder sprach damit Müntefering, Scholz , Gabriel und Steinbrück an. Betretenes Schweigen im Saal. Schröder mahnte:

"Wann begreifen wir endlich, dass mit Steuererhöhungsdebatten keine Wahlen gewonnen werden ?!"


(Gabriel und Steer hatten sich gegen den Kanzler dafür stark gemacht, die Vermögenssteuer wieder einzuführen.)
Er sei nicht bereit, meinte der Parteivorsitzende, das andauernde Stimmengewirr zu tolerieren.

"Das lasse ich mir nicht bieten!"


Müntefering versuchte sich zu verteidigen:

"Die SPD muss doch wissen, was an der SPD Spitze diskutiert wird!"


Nun wurde Schröder laut:

"Nicht die SPD hat die Bundestagswahl gewonnen - ich habe sie gewonnen!"


Das Donnerwetter des Kanzlers stiess bei den Anwesenden auf ungeteilten Applaus.


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