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www.rhetorik.ch aktuell: (27. August, 2002)


Das erste Duell im Scheinwerferlicht


Am 25. August 2002 gab es eine Premiere im deutschen Fernsehen: Ein TV-Duell zwischen dem amtierenden Bundeskanzler Schröder und seinem Herausforderer Stoiber, die sich über eine Stunde lang den Fragen zweier Journalisten stellten. 15 Mio Deutsche Fernsehzuschauer verfolgten den Schlagabtausch, bei dem etwas das Dialogische fehlte. Ein klarer Sieger gab es nicht, aber man sah ein besser als erwartetes Abschneiden von Stoiber gegen den "Medienkanzler" Schröder.


Ungefähr anderthalb Meter stehen sich Gerhard Schröder und Edmund Stoiber gegenüber. Die Duellanten sind auf Augenhöhe. Die lang erwartete Show beginnt! Wie beschrieben war alles minuziös vorbereitet. Beide Kandidaten wurden analog mit neutraler objektiver Einstellung der Kameras ausgeleuchtet. Zuckende Mundwinkel und Schweissperlen auf der Stirn bleiben bei dieser Sendung den Zuschauern möglichst verborgen. Für die Analytiker fehlen damit die vielen entlarvenden kleinen nonverbalen Signale.
Doch die Vorsicht der Fernsehschaffenden war begreiflich. Niemand weiss in Deutschland, wie folgenschwer dieser erste "Wettstreit der Worte am Bildschirm" sein kann, zumal ein derartiges Aufeinandertreffen in diesem Land eine Premiere ist.
Bislang lehnten Kanzlerkandidaten ein TV- Duell stets ab. Nur in den USA gibt es bei politischen TV-Duellen Erfahrungswerte. Im Deutschland kursieren lediglich Mutmassungen. Schätzungen sagen, dass 40% der Stimmberechtigten sich noch nicht für eine Partei entschieden haben. Dem erstmaligen Aufeinandertreffen eines Kanzlers mit einem Kanzlerkandidaten wird so grosse Bedeutung zugemessen, weil bei einem Kopf an Kopf Rennen der "bessere Eindruck" doch entscheidend sein könnte. Man schätzt, dass es doch noch zu Stimmenverschiebungen von 3% geben könnte.
Es wurde alles (zu viel?) getan, damit dem Fernsehen keine Einseitigkeit vorgeworfen werden kann. Siehe den Aktuell beitrag "Vor den zwei TV Duellen". Sogar für eine "ausgewogene Raumtemperatur wurde gesorgt und ein Notar überwacht die Gleichbehandlung der Teilnehmer.
Peter Limbourg Zusammen mit den Moderatoren Peter Limbourg und Peter Koeppel spielt sich die mit Spannung erwartete Show auch vor neutralem Hintergrund ab. Wir wissen, dass Edmund Stoiber vor dem Match im Mediensimulator für das Duell noch von den Sparringpartnern Ulrich Wilhelm und Martin Neumayer gebrieft worden war. Wir haben zudem erfahren, dass beide Kontrahenten sich vor dem Duell entspannt hatten. Wir gehen davon aus, dass "Medienkanzler" unter grösserem Druck steht, weil das Publikum eine sehr grosse Erwartungshaltung hat. Anderseits konnte er im Zeichen der Flutkatastrophe während der letzten Tage deutlich zulegen. Uns interessierte beim Duell vor allem, ob uns die beiden Kandidaten überzeugen. Ob ihre Aussagen glaubwürdig sind. Wie die Politiker wirken. Gespannt verfolgen wir auch auf die Wirkung auf das Publikum: Wer stahlt mehr Vertrauen aus? Wie steht es bei Stoiber mit dem Hang zum Dozieren, seinen unüberhörbaren und bekannten Stotterns und "Aeh's" und seinem fuchtelndem Zeigefinger? Vor der Show bestätigteen uns einige Bekannte, dass sie sich für Details interessieren: Wer trägt welche Gravattenfarbe? Wird das Thema Flutkatastophe behandelt? Erfahren wir Konkretes über die Finanzierung der Flutschäden? Was sagt Schröder zu den Arbeitlosenzahlen? Der Aufwand für die Show war enorm. Man erwartete etwa 10-15 Millionen Zuschauer.

Zur Show:



Der Kanzler, der den Ruf eines "fernsehtauglichen Politikers" hat und als telegener Journalistenfreund bekannt ist, darf die erste Frage beantworten. Er gibt eine rhetorische Grundregel: Wer zuerst spricht, kann die Weichen stellen. Die ersten Sätze prägen! Dafür wissen wir, dass Edmund Stoiber das letzte Wort haben darf. Und das letzte Wort wirkt immer nachhaltig. Schröder beginnt die ersten Sätze mit dem Wissen, dass er rhetorisch überlegen ist und bereits beim Start gut punkten kann. Er strahlt Sicherheit aus. Aber wirkt zu steril. Die gewohnte Lockerheit fehlt. Das Bemühen um Übelegenheit, Ruhe und Gefasstheit ist offensichtlich. Schröder kannten wir stets als geschicktem Rhetoriker, der mit Lächeln und lockeren Sprüchen vom Inhalt ablenken kann.
Auch Stoiber bemüht sich lockerer zu wirken. Er ist zwar etwas ruhiger, natürlicher geworden. Hinsichtlich seiner vielgeschmähten Schachtelsätze stellen wir eine deutliche Verbesserung fest. Doch schafft er es während der ersten Gedanken acht "Aeh's" in einen Gedanken einzubauen. Obschon es ihm sonst schwer fällt, frei zu reden und Sachverhalte auf den Punk zu bringen, werden Stoibers Gedanken zusehends verständlicher formuliert. Wir haben festgestellt, dass er bei diesem bedeutenden Auftritt den Schluss seiner Gedankens meist findet. Das war früher kaum der Fall. Es ist bekannt, dass der Humor nicht Stoibers Stärke ist. Beim heissen Auftritt lächelt er jedoch öfters. Das Lachen kommt nicht aus dem Herzen. Es wirkte zu aufgesetzt. Wurde es trainiert? Im Laufe des Streitgesprächs wird Stoiber immer besser. Jedenfalls schnitt er im Urteil viel besser ab, als es erwartet wurde. Und Schröder kam schlechter weg, als es erwartet wurde.

Das Dialogische fehlte



Wir möchten an dieser Stelle nicht die unzähligen Analysen von Medienexperten wiedergeben. Dafür weisen wir auf ein paar grundsätzliche Mängel der "Prüfung" hin. Vielleicht ist es den engen Regeln und der Stoppuhratmosphäre zuzuschreiben, dass dialogische Elemente zu kurz kamen. Den Kandidaten wurden gleichsam die Hände gebunden, indem sie die Klingen nicht von Mann zu Mann kreuzen durften. Jeder direkte Konter wurde abgewürgt. So, wie wenn sich Fussballer gegenseitig den Ball nur via Schiedsrichter zuspielen dürften, führte das indirekte Kommunikationsmodell über die Journalisten zu lächerlichen Situationen, Beide Politiker betrachteten sich kaum. In verschiedenen Situationen sprachen sie den Rivalen an - der Blick war jedoch auf den Journalisten fixiert. Das Abfrage und Antwortspiel war wie ein Korsett.
Stoiber war angriffslustig - Schröder blieb gelassen Beim Publikum wirkten beide kompetent. Dies zeigen auch die verschiedensten Umfragen. Doch gab es deutliche Unterschiede in der Argumentation und im Verhalten. Obschon beide sich dunkel eingekleidet hatten (vgl. dazu auch den US Wahlkampf 2000), gab es inhaltlich klare Kontraversen.
  • in der Finanzierungsfrage der Flutschäden
  • im Verhalten bei allfälligen IRAK Einsätze
  • bei der Arbeitslosigkeit


Stoiber war engagierter, kämpferischer und hatte bedeutend mehr Ausdruckskraft. Schröder blieb staatsmännisch gelassen, zu gelassen. Beide warfen sich gegenseitig Versagen vor. Beide wichen bei einigen konkreten Fragen aus. Schröder verstand es, den Fels in der Brandung zu mimen und er konnte bereits am Anfang die Emotionen (Flutkatastrophe) an sich binden. Dank Stoiber war die Kühlhausatmosphäre etwas erträglicher. Stoibers Stärke war die Wiederholungstechnik.
  • Ich trete für die Kleingewerbler ein.
  • Wir dürfen das Volk jetzt nicht zusätzlich belasten.
  • Die Wirtschaft muss angekurbelt werden.
Es gab auch Aussagen gegen Aussagen. z.B. Wird Nachtarbeitszuschläge besteuert? "So steht es in Ihrem Programm" "Das steht nicht in unserem Programm!" Die verschiedenen Unklarheiten müssten bis zur zweiten Runde unbedingt geklärt sein.

Das Urteil



Erste Umfragen sprachen von einem Punktesieg für Schröder. Dann folgten die Kommentare der Medienexperten. Sie favorisierten Stoiber. Über 160'000 Leser des "Bild-Ted" kürten mit 75 zu 25% Stoiber zum Sieger. Viele Presseberichte sprachen von einer Pattsituation. Je nach Positionierung urteilten die Urteiler unterschiedlich. Aus unserer Sicht kann deshalb kein eindeutiges Urteil gefällt werden. Was uns beschäftigt, ist hingegen die Wirkung der Urteile. Viele Menschen ändern leider nachträglich zu gerne ihre Meinung. Sie plappern das nach, was die Medien vorkauen. Es ist deshalb durchaus denkbar, dass nicht das eigentliche Fernseherlebnis die Stimmbürger gross beeinflusst, sondern die nachfolgende Medienurteile. Kohl hatte wohl damals gewusst, weshalb er sich nicht mit einem Herausforderer duelliert. Ein schwacher Herausforderer, der besser ist als erwartet wurde, punktet in der Regel mehr, als ein bewährter Kanzler, der die an ihn gestellten Erwartungen nicht alle erfüllt hat.

Eine überraschende Frage



Aus unserer Sicht hatte Schröder und Stoiber die gestellten Fragen gut antizipiert. Sie waren vorbereitet und konnten die Antworten geschickt abrufen mit einer Ausnahme: Am Schluss wurde eine Frage über die Rolle der Kanzlerfrau angefügt. Hier wirkten Kanzler und Herausforderer überrascht. Vermutlich hatte keiner der beiden mit dieser Frage gerechnet. Die Beantwortung dieser Frage war jedoch aufschlussreich. Die Zuschauer lernten bei dieser Antwort die beiden Duellanten am besten kennen:
Schröder hat auf die Bemerkung, was er zur Kritik der Kanzlerfrau an der "Bild" Zeitung geantwortet:

Auf die Bemerkung was er zur Kritik seiner Frau an der "Bild" Zeitung sage, antwortete Schröder

seine Frau sei selbständig und eine moderne Frau, die sich auch zu politischen Fragen äussern könne. Stoiber machte deutlich, dass seine Frau ihn unterstütze und sich nicht politisch betätige. Zur Bildkritik meinte der Herausforderer, seine Frau würde so etwas nicht tun.


In zwei Wochen werden wir uns auch das Rückspiel bei ARD und ZDF ansehen. Vielleicht wird bei diesem Duell - wie bei Pferderennen- erst auf der Zielgeraden entschieden.


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