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www.rhetorik.ch aktuell: (12. August, 2002)


"Leg Dich nicht vorschnell mit der Boulevardpresse an."


Ob
berechtigte Kritik an Kampagnen-Journalismus oder Angriff auf die Pressefreiheit
Münteferings juristischer Kurzfeldzug gegen die Bildzeitung war ein taktischer Fehler.


SPD Generalsekretär Franz Müntefering setzte sich kürzlich in die Nesseln, als er im Zusammenhang mit den Bonus- Freiflügen gegen "Bild" eine Strafanzeige gegen die Boulvardzeitung einreichte.
Der Grund der Klage war eine angebliche Kampagne gegen die SP und Grünen die durch Indiskretionen der Bild Redaktoren inszeniert worden sei.
Siehe dazu die Beiträge Im Zusammenhang mit "Bild", siehe auf rhetorik.ch.


Münteferings Klage löste einen grösseren Wirbel aus. Dank der unbedachten Strafanzeige gegen die "Bild" Zeitung konnte deren Redaktion tagelang mit Leserbriefen, Kommentaren und Schlagzeilen den Politiker angreifen. Die "Bild" Zeitung nutzte natürlich die Gelegenheit, die unbedachte Anzeige als Attacke gegen die Pressefreiheit auszuschlachten.
Es kam aber sehr rasch zu einer Solidarisierung der Journalisten gegen Müntefering. Der Angriff wurde zu einem Bumerang. Nicht nur führende Chefredakteure (wie z.B. vom Spiegel oder vom Fokus) kritisierten den juristischen Schritt. Auch Bundestagspräsident Thierse von der SPD distanzierte sich von Münteferings Anzeige.

"Die Pressefreiheit sei ein zu hohes Gut, als dass sie in Frage gestellt werden sollte."


Der Chefredakteur der "Süddeutschen Zeitung", Hans Werner Kilz fand, Franz Müntefering sei schlecht beraten gewesen. Tatsächlich zeigten die Untersuchungen auch nach einigen Tagen, dass es ein Mitarbeiter der Fluggesellschaft Lufthansa gewesen war, der die Angaben über die Gratisflüge weitergeleitet habe.

Damit zeigte sich einmal mehr, dass zuerst alles geklärt werden sollte, bevor geschossen wird. Die Regel "Warten - Denken - Überlegen - erst dann Handeln" ist keine Leerformel.


Nach Bekanntwerden des Sachverhaltes blieb Müntefering nichts anderes übrig, als seine Strafanzeige gegen "Bild" zurückzunehmen.
Dieser Kurswechsel, war sicherlich vernünftig. Das Einlenken wurde von den verschiedensten Seiten begrüsst. Das unbedachte Anlegen mit der "Bild" Zeitung hat sich aber für ihn sicher nicht gelohnt.
Wer sich vorschnell gegen ein verbreitetes Medium anlegt, macht einen Fehler. Wir verweisen auf den Angriff Borers gegen Michael Ringier am Anfang der Krise. Hätte Botschafter Borer damals zuerst den Sachverhalt geklärt, wäre die Sache wahrscheinlich anders gelaufen.

Fazit: Auch die Medien als Kontrolleure dürfen kontrolliert und kritisiert werden. Doch braucht der Kritiker dazu gute Karten. Im Vorfeld der Kanzlerwahlen hat Müntefering mit seiner vorschnellen Klage der SPD einen Bärendienst erwiesen.




Nachtrag vom 22. August, Auch Doris Schröder-Köpf kritisiert "Bild".
Doris Schroeder Koepf

Wir vertreten die Meinung, dass man sich bei Ungerechtigkeiten wehren soll. Doch kommt es immer auf das "Wie" und die "Situation" an.
Die Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf hat in einem offenen Brief der "Bild" Zeitung "Schmutzjournalismus" und "Demokratieverachtung" vorgeworfen. Der Grund: Der "Bild" Kolumnist Franz-Josef Wagner hatte die Wahlkampfauftritte von Politikern im Zusammenhang mit der Hochwasserkatastrophe kritisiert: Zitat: "Sollen die Politiker ruhig ihre Wasser-Wahlreden halten. Wir Deutschen helfen uns ganz persönlich, von Mensch zu Mensch...".
Ob der Kommentar gut oder ungeschickt war, sei an dieser Stelle dahingestellt. Nach unserer Meinung war auch in dieser Situation das Verhalten der Kanzlergemahlin kurz vor den Wahlen ungeschickt. Wie bei Franz Müntefering musste Doris Schöder-Köpf mit einer heftigen Reaktion der Journalisten rechnen. An Kritik fehlte es nicht.
  • Im WDR war zu hören: Als Privatfrau kann sie machen was sie will, aber als..."
  • Die "Berliner Zeitung" stellt der Kanzlergattin die Frage. "Warum schreiben Sie für den SPD Parteivorstand? Haben sie sich von Muentefering benutzen lassen, der bei der "Bild Zeitung noch eine Rechnung offen hat?"
  • Die "Frankfurter Allgemeine" macht sich sogar lustig: "Gemach Fräulein, gemach..."
  • Und Harald Schmidt meint in seiner Show zu den Vorwürfen von Doris Schröder-Köpf: "Ich glaube, bei der Kanzlergattin liegen die Nerven blank..."
Fazit: Wer sich gegen mächtige Medien anlegt, muss auch als prominente Person klären, ob der Zeitpunkt richtig ist, ob es sich lohnt und in welcher Form reklamiert werden soll.


Im TV Duell sagte Kanzler Schröder, der Engriff seiner Frau sei eine legale Handlung einer selbständigen emanzipierten modernen Frau gesehen.


Nachtrag vom 31. August, 2002, Bei den Medien gilt der Grundsatz "gesagt = gespeichert".
In einem früheren Beitrag im "Stern" sagte die Kanzlergattin über ihren Einfluss auf die Politik des Kanzlers: "mich gibt's praktisch nicht." Damals gab sich Doris Schröder-Köpf als zurückhaltende Frau im Hintergrund, die sich nicht in die politischen Themen des Mannes einmischt. Nachdem sie der "Bild"-Zeitung persönlich einer Kampagne gegen ihren Mann unterstellt hatte, stimmte die früher geäusserte Meinung nicht mehr mit dem jetzigen Verhalten überein. Kaum jemand wird das bemerkt haben. Leser haben in der Regel ein kurzes Gedächtnis. In unseren Seminarien staunen jeweils viele Teilnehmer, über das "gutes Gedächtnis" von Journalisten.

Wer mit den Medien zu tun hat muss aber wissen, das das, was früher von ihm oder ihr publiziert worden war, in Datenbanken gespeichert bleibt.


In der Schweiz ist ungefähr seit 1980 alles registriert, was in den wichtigsten Medien veröffentlicht wurde. Nur Journalisten haben jedoch im Allgemeinen Zugriff auf diese interne Datenbank.
Illustration in Max 18/8/2002 Jedenfalls wiesen bei Fall von Doris Schröder Journalisten der Illustrierten "Max" sofort auf das widersprüchliche Verhalten hin und doppelten in der Ausgabe mit einer wenig schmeichelhaften Photomontage (Kanzlergattin mit Pinoccio-Nase) nach. Der Zwischentitel war: Warum hat Doris Schröder-Köpf gelogen? Auch diese Provokation mittels Persönlichkeitsverletzung war natürlich gewollt. Der Frage, ob bei einem derartigen Bild eine Ehrverletzungsklage sinnvoll wäre, müssten Medienjuristen beantworten. Dass jedoch eine zusätzliche Mediengeschichte in den Wochen vor der Wahl nur noch kontraproduktiv wäre, wusste die Redaktion der Zeitschrift "Max" sicherlich und kostete dankbar den Fehler der Kanzlergattin aus.


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