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Nach 100 Tagen im Amt als Bundesrätin, ziehen Medien erste Bilanz
über die neue Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey.
Dies ist eine Fortsetzung zu den folgenden Rhetorik-Aktuell Beiträgen: |
100 Tage im AmtErst drei Monate im Amt - und Micheline Calmy-Rey ist ganz oben in der Hitparade der bekannten Persönlichkeiten.Nach alter Väter Sitte gibt es für alle Politiker eine Schonfrist von 100 Tagen. Die meisten neugewählten Magistraten arbeiten sich zuerst vorsichtig ein. Zurückhaltung ist in der Startphase üblich. Am kommenden Donnerstag ist die neue Bundesrätin bereits 100 Tage im Amt. Sie schaffte es in diesem kurzen Zeitraum, zur Spitzengruppe der bekannten Persönlichkeiten vorzustossen. Gemäss Umfragen ist sie heute hinter Christoph Blocher die bekannteste Politikerin im Land. Vom ersten Tag an stand sie im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, mitunter zur Verärgerung gewisser Bundesratskollegen und Parteisprechern. Nach den zahlreichen Mediengeschichten wundert sich kaum noch jemand, wieso die ehemalige Genfer Finanzdirektorin "Cruella" genannt wurde. Vielen verging das Lachen, weil die neue Aussenministerin laufend "freundlich" ihre Zähne gezeigt hat. Ohne Medien keine PopularitätDie neue Bundesrätin hat sich sofort für "Home-stories" zur Verfügung gestellt. Damit war der Weg zur Popularität geebnet. Blick und Sonntagsblick schätzten es, in Micheline Calmy-Rey eine Person gefunden zu haben, die kein Versteckspiel gespielt hat und sich beispielsweise auch als Grossmutter mit dem Enkelkind ablichten liess. Wer bereit ist, die Privatsphäre den Medien offenzulegen, hat den grossen Vorteil, dass diese dieses Spiel gerne spielen. Die Medien haben exklusive Geschichten und die prominente Person profitiert ihrerseits von der Boulevardpresse. Die Boulevardmedien stützen ihre Partner auch dann noch, wenn sie im Gegenwind stehen.
"Hundert Tage-hundert Fettnäpfe"
Auch der Bundesrat rügt Calmy-ReyGemäss "Sonntagszeitung" vom 6. April hat nun auch der Bundesrat die Aussenministerin abgemahnt. Durch die diversen geplatzten Ankündigungen der amtsjüngsten Bundesrätin werde die Glaubwürdigkeit des Gremiums angekratzt. CVP Ständerat Bruno Frick, dessen Partei selbst um ihre Bundesratssitze fürchten muss, droht: "Im Herbst sind Bundesratswahlen. Calmy-Reys Kariere ist keineswegs gesichert."Krach im eigenen DepartementMit der reinen Ankündigkungspolitik verspielte sich die engagierte neue Bundesrätin immer mehr Kredit
In eigenen Departement werden angeblich Gräben aufgerissen.Nach der "Sonntagszeitung" sind leitende Mitarbeiter im EDA frustriert und besorgt. Calmy-Rey habe sich ausschliesslich auf den Irak-Konflikt konzentriert. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) habe der traditionellen Aussenpolitik unter Staatssekretär Franz von Däniken den Rang abgelaufen. Dieser überlege sich sogar den Abgang.Calmy-Rey bestimme die Tagesgeschäfte im Alleingang. Sie führe das EDA wie früher die kleine Genfer Finanzdirektion - mit der Taschenagenda. Sie wolle überall selbst eingreifen und verliere den Überblick. Dieser Aktivismus wirke sich im engsten Umfeld verheerend aus. "Wir wissen zu oft nicht, was unsere Chefin macht und will", sagt einer. Bereits zeichne sich ein weiterer Flop ab: Der in den Medien angekündigte Plan, den Verkauf von Panzerhaubitzen in den Vereinigten Arabischen Staaten zu stoppen, scheint schon wieder schubladisiert. Die zuständige Kontrollstelle habe jedenfalls bis heute keinen Antrag aus dem EDA erhalten. Sogar die SP runzelt angeblich die StirnEben feierte die Parteizeitung "Links" Calmy-Rey als "vorbildliche" Wahlkämpferin. Jetzt nach bald hundert Amtstagen fürchen die SP-Spitzenleute: "Wenn es so weitergeht, wird die Bundesrätin im Wahlkampf zur Hypothek". Wie geht es weiter? Wir prognostizieren: Mit einer handzahmen Aussenministerin können wir auch künftig nicht rechnen. |
Nachtrag vom 10. April. Volksliebling oder enfant terrible? Nach der Standortbestimmung zur Amtsführung der neuen Bundesrätin nach 100 Tagen, interessierte es uns, ob die Bundesrätin vor Mikrofon und Kamera zur Kritik in den Medien Stellung nimmt. Verschiedenen Journalistinnen sprachen die Aussenministerin auf die Zeitungsartikel an: "Alles gut, Frau Calmy-Rey - nach den ersten 100 Tagen?" Micheline Calmy- Rey verhielt sich ruhig, trotz wiederholter Versuche der Journalisten, eine Stellungsnahme zu erhaschen. Sie lachte - und sagte nichts. Aus unserer Sicht war diese Zurückhaltung in dieser Situation richtig. Richtig war auch die Reaktion des Kollegen Leuenbergers. Angesprochen darauf, was er zu den ersten Tagen seiner Kollegin sage, antwortete er einmal mehr rhetorisch geschickt:
Implizit heisst dies: "Ich beurteile meine Kollegin nicht. Vielleicht ist sie noch nicht so weit, wie sie sein sollte, aber dies ist normal." Das Schweizer Fernsehen kam in der Sendung "10 vor 10" auf die Medienberichte "100 Tage im Amt" zurück. Die verschiedenen Stellungnahmen von Parlamentariern verdeutlichten, dass die Bundesrätin auch im Parlament polarisiert. Einerseits sei sie Volksliebling, handle kreativ und gehe neue Wege. Andererseits wurde ihre Ankündigungspolitik beanstandet. Die Aussenministerin mache die Dossiers zur Privatsache und spreche die Inhalte nicht ab. |
Nachtrag vom 17. April. Camly-Rey überrumpelt?
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Nachtrag vom 26. April 2003, Micheline Calmy-Rey nimmt Unruhe in Kauf
Damit nimmt die Bundesrätin die durch die "öffentliche Diplomatie" hervorgerufene Unruhe bewusst in Kauf. Sie steht nach wie vor zu ihrer Definintion der "öffentlichen Diplomatie" und will dieses Modell weiterhin in ihrem Sinn pflegen. Wir kamen in unseren ersten Analysen zur Erkenntnis:
Falls sich die neue Bundesrätin nach Jahren nur noch auf das Bild einer Frau, welche ständig beisst (dauernd die Zähne zeigt), reduziert werden könnte, so wäre dies schade. Wir befürworten ebenfalls die Eigenständigkeit von Politikern und den Mut, gegen den Strom zu schwimmen. Die Bundesrätin darf und soll weiterhin persönliche Akzente setzen. Doch gilt bei Kommunikationsprozessen: Das ganze Kommunikationsmodell mit dem ich und dem Du muss beachtet werden. Die hohe Kunst der vertrauenswürdigen Kommunikation besteht darin, die Balance zwischen dem "sich selbst ernst nehmen" und dem "Interesse am Du, dem Berücksichtigen der Adressaten" zu finden. Bei der Oeffetlichkeitsarbeit ist dies genau gleich: Die Interessen der Politikerin, der Journalisten (Medien) und des Publikums muss unter einen Hut gebracht werden. Dieser Balanceakt hat nichts mit Farblosigkeit zu tun. |
Nachtrag vom 27. April: Gast am Sechseläuten als Stein des Anstosses? Susann Lilly Pflüger, oberste Zünfterin lächelt zuerst nur auf die Frage, ob der hohe Ehrengast aus Bern bei der Frauenzunft den Neid der bundesratslosen Männerzünfte wecke oder ob die Einladung Calmy-Reys lediglich als ein kluger Schachzug gedacht sei. Nach einem Augenblick des Schweigens, sagte sie dann: "Der Wind, der jetzt um den Besuch von Calmy-Rey gemacht wird, ist wohl ein Medienphänomen. Die Gesellschaft zu Fraumünster hatte Micheline Calmy-Rey noch am gleichen Tag, an dem sie gewählt worden ist, gratuliert und ans Sechseläuten eingeladen. Die Bundesrätin hat sich damals gefreut und sofort zugesagt. Übrigens wurden noch weitere prominente Frauen eingeladen, die jedoch von der Presse mit keinem Wort erwähnt worden sind: Frau Brigadier Doris Portmann, Frau Major im Generalstab Marlis Jacot-Guillarmod und Doris Fiala." Nach unserem Dafürhalten zeigt diese zusätzliche unbedeutende Mediengeschichte, dass diese Sache nichts mit der Amtsführung der Bundesrätin zu tun hat. Sie macht hingegen deutlich:
Die Bundesrätin hat natürlich das Recht, bei der Frauenzunft mitzumaschieren. Anderseits besteht bei allen mutigen Handlungen das Risiko, sich zu exponieren und der Kritik auszusetzen. Nachdem wir jedoch gehört haben, dass Frau Calmy-Rey Unruhe und Kritik problemlos in Kauf nimmt, wird bestimmt diese nebensächliche Mediengeschichte keinen gossen Staub aufwirbeln. Die Bundesrätin müsste lediglich beachten, dass die Summe an sogenannten "Geschichten" das Gesamtbild oder Image langfristig beeinflussen können. |
Nachtrag vom 28. April. Rhetorisch geschickt reagiert. In einem mehrseitigen Interview in der Sonntagszeitung vom 27. April mit Bundesrätin Calmy-Rey sehen wir, dass die neue Bundesrätin es versteht, auf Antworten geschickte Klärungsfragen und Gegenfragen zu stellen. Hier einige Beispiele:
Ferner setzt die Politikerin deutliche unmissverständliche Stop-Signale z.B.:
Zu den Schwachpunkten des Interviews zählen nur folgende Antworten:
Diese Art des Übertreibens mittels eine ironischen Antwort kann kontraproduktiv sein. Ein Teil der Leserinnen und Leser wird diese Art von Humor nicht so verstehen, wie sie gemeint ist. Wir raten deshalb davon ab. In diesem Fall sind wir überzeugt, dass es Leser gibt, die tatsächlich glauben, die Bundesrätin habe bestätigt, alles ganz alleine zu machen. |
Nachtrag vom 3. Mai, 2003:
Von der "Public diplomacy" zur "Hidden diplomacy"?
Erstaunlicherweise war Aussenministerin Calmy-Rey am 25. April
offensichtlich nicht mehr auf die vielgepriesene öffentliche Diplomatie
erpicht. In einem Schreiben, das an einem eng begrenzen Adressatenkreis
gerichtet war, machte die Bundesrätin in der EU- Frage einen unverhofften
Rückzieher. Noch am 24. April verteidigte die Magistratin ihre akute
Neigung zur öffentlichen Diplomatie und erklärte
wortwörtlich:
Diese öffentlich bekundete Äusserung hatte Folgen: Die SVP entnahm dieser Aussage ein klares Signal einer Salami-Taktik auf dem Weg in die EU. Die Aussenministerin habe das "skandalöse Doppelspiel, das der Bundesrat treibe", entlarvt. Auch die FDP hatte Bedenken: "Wenn Frau Calmy-Rey mit den bilateralen Verhandlungen den Boden für den EU Beitritt vorbereiten will, so entspricht dies nicht den bisherigen Aussagen des Gesamtbundesrates." Nach diesem Wirbel in der politischen Landschaft setzte die Bundesrätin am 25. April unverzüglich ein Schreiben auf und verfasste für einen kleinen Adressatenkreis die Präzisierung:
Mit diesem an einen kleinen Kreis gerichtetem Präzisierungsbrief hielt sich Calmy-Rey bei der wichtigen Frage - wie es die Europafrage ist - nicht an ihre vielgepriesene "öffentlichen Diplomatie." Wenn "hidden diplomacy" nicht oppertun ist, so gewiss bei einer Frage von breitem öffentlichen Interesse. Wer deklariert, transparent zu informieren, dürfte nicht - mit zweideutigen Aussagen vor den Medien - die Öffenltichkeit irritieren. Beobachter äussserten sich jedenfalls erstaunt darüber, dass ausgerechnet bei einer so zentralen Frage plötzlich "hidden diplomacy" geübt wurde. Die Klarstellung mit dem Brief wurde hingegen begrüsst.
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Nachtrag vom 11. Mai: Dilemma mit 200'000 Fr teurer Koreareise Nachdem die Sonntagspresse die Kritik an Calmy-Reys Koreareise gross aufgemacht hatte, ist das EDA in einer unangenehmen Situation. Bundesrätin Calmy-Rey beabsichtigt am kommenden Donnerstag mit dem Bundesrat-Jet nach Nordkorea fliegen, um dort medienwirksam die Demarkationslinie zu Südkorea zu überschreiten. Wenn die berechneten Kosten von 200'000 Fr für den exklusiven Flug zutreffen, könnte die Bundesrätin zur teuersten Fliegerin in der Geschichte des Bundesrates aufsteigen. Sie würde hinsichtlich Kosten sogar den Spitzenreiter Adolf Ogi überfliegen. Angesichts des Spardrucks gab es harsche Kritik von verschiedensten Seiten:
Die Bundesrätin und die EDA ist sich bewusst, dass diese Reise hinsichtlich Kosten durchaus eine "Schmerzgrenze" haben muss. Doch diese Grenze wurde noch nicht festgelegt. Was für uns feststeht, ist die Bestätigung früherer Analysen. Calmy-Rey weiss was sie will und wird in ihrem Amt die Zähne zeigen. Dass Calmy-Rey Biss hat, hat dies mehrfach bewiesen. Auch in dieser Flugkosten- Frage werden wir die Reaktion der Bundesrätin miterleben können. Frau Calmy-Rey will die Reise durchführen. Selbst das Bundesratskollegium konnte die Aussenministerin nicht von ihren Plänen abbringen. Sie beharrt auf dem Vorhaben. "Schliesslich war das Treffen schon lange abgemacht." Sagt die Aussenministerin die geplante Reise ab, so festigte sich damit Ihr Ruf als "Ankündigungsministerin". Setzt Sie sich durch und fliegt trotz der Kritik mit dem teuren Bundesrats-Jet (Businessjet kostet ca. 200'000 Fr. / Ein Linienflug ca. 45'000.-- Fr.), so geht die SP-Politikerin als teuerste Fliegerin in die Geschichte des Bundesrates ein. Nachdem diese jüngste Geschichte ebenfalls in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, interessiert es nun, zu erfahren, wie die Bundesrätin diese heikle Situation meistern wird. Was wir in unseren Kommentaren prognostiziert haben, bestätigt sich jedenfalls: Medien sind wertvolle Helfer, wenn es darum geht, der Bevölkerung Botschaften zu übermitteln. Doch sind es die nämlichen Medien, die schonungslose Kritik üben, wenn eine Ungereimtheit gefunden wird, die von öffentlichem Interesse ist. Nach dem Motto: "Unangenehme Geschichten verkaufen sich immer gut." Bundesrätin Calmy-Rey ist nicht die erste Magistratin, die jetzt beweisen kann, dass sich krisenähnliche Situationen meistern lassen. |
Nachtrag vom 15. Mai: Reise angetreten
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Nachtrag vom 18. Mai: Schweizer Geiseln wichtiger? Nachdem der Aussenministerin nicht nur die Kosten der Riese vorgeworfen worden war, fanden einige Parlamentarier die Bundesrätin hätte besser nach Algerien fliegen sollen, damit dort die Schweizer Geiseln zu befreien, legte sich vorerst der Sturm im Wasserglas. Dann wurde die Kostenfrage wieder aktualisiert. Bei den Flugkosten zeigte sich nun im Nachhinein, dass Bundesrat Schmid die Vollkosten des Fluges doch voll verrechnen muss. (208'000 Fr.) Im Departement Calmy- Rey hingegen veranschlagte man die Kosten auf "nur" rund die Hälfte. Die humorvolle Aussage eines EDA Diplomaten (Zitat Sonntags-Zeitung) ist aus rhetorischer Sicht erwähnenswert.
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Nachtrag vom 20. Mai: Historischer Schritt der Aussenministerin Das Überschreiten des 38. Breitengrates auf dem Landweg wurde zu einem symbolischen Akt von grosser Resonanz. Die internationale Presse von diese historischen "Schritt über die Grenze" Kenntnis. Der symbolische Akt war recht medienwirksam. Aus rhetorischer Sicht greifen wir zwei Aussagen der Bundesrätin heraus: | |||
Der symbolische Akt macht bewusst, dass Linien und
Grenzen überwindbar sind.
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Damit bewies die neue Bundesrätin, dass sie das verwirklichen konnte, was
angeküntigt worden war. Aller Kritik zum Trotz.
Es zeigte sich: Die neutrale Schweiz hat in Nord- und Südkorea grosse Akzeptanz.
Calmy-Rey betonte:
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Nachtrag vom 8. Juni, 2003: Duell Couchepin - Calmy-Rey Es scheint, dass sich der Bundespräsident und die neue Bundesrätin immer wieder in den Medien duellieren. Als gehe es darum: Wer hat mehr Medienpräsenz? Nach dem G-8 Gipfel lobte der Bundespräsident das internationale Treffen in hohen Tönen. In der Westschweizer Sonntagszeitung "Le Matin Dimanche" kritisierte hingegen die Bundesratskollegin Calmy-Rey den Gipfel wie folgt:
Auf diese Verlautbarung drohten diplomatische Verwicklungen. Es folgte ein innenpolitischer Protest. Pascal Couchepin zog die Notbremse und konterte den Entwurf der Kollegin mit einem eigenen Papier. Die Aussenministerin gab in diesem Fall klein bei und übernahm die Worte des Couchepin-Papiers. Der Waadtländer Nationalrat und Ex-Regierungsrat Claude Ruey bemerkte:
Dass die Spannung zwischen Calmy-Rey und Couchepin wächst, ist längst kein Geheimnis mehr. In beiden Departementen beschuldigt man sich gegenseitig (laut Sonntagszeitung vom 8. Juni). Wir vermuten, dass das Duell noch lange nicht abgeschlossen ist. |
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