Herr Knill, bringt ein solcher Anlass überhaupt etwas zur Meinungsbildung?
Es wurden vor allem parteipolitische Fragen diskutiert.
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Marcus Knill: Wenn die Argumente verständlich, logisch und
einleuchtend vorgetragen werden, kann es doch noch zu einer gewissen
Meinungsbildung kommen. Der Anlass vermittelte immerhin ein Stimmungsbild
und zeigte, wie emotionalisiert die Thematik geworden ist.
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Wie wirkte die Stimmung im Saal auf Sie?
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Marcus Knill:Die Stimmung war aufgeladen,
zum Teil gereizt, und es wurde mit harten Bandagen duelliert. Oft unter
der Gürtellinie.
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Die meisten Leute hatten ihre Meinung schon. Weshalb besuchen sie
den Anlass trotzdem?
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Marcus Knill:Die Zuschauer wissen, dass das Publikum einen
grossen Einfluss haben kann auf die Wirkung nach aussen. Bei einer
öffentlichen Versammlung, die in den Medien gross aufgemacht wird,
gibt es vielfach einen organisierten Aufmarsch von Gleichgesinnten, um
nach aussen zu demonstrieren, wie das Befinden der Bevölkerung ist.
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Weshalb sehen sich die Leute in einem grossen Saal ermutigt, eine
Magistratin auszubuhen und ihr laut "Lügnerin" zuzurufen?
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Marcus Knill:Bei einer aufgeheizten Stimmung schaukeln sich die Teilnehmer gegenseitig auf, wie
Fans an einem Fussballmatch. Sommarugas Behauptung, das Volk habe schon
heute das letzte Wort, war für die Befürworter der Initiative
gleichsam eine "Lüge". Ihre Argumentationskette war für sie
nicht nachvollziehbar, weil für die Befürworter Europa bei zu
vielen Problemen nachweisbar das letzte Wort hat.
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Haben die Moderatoren ihre Rolle erfüllt?
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Marcus Knill:Für die verbalen
Entgleisungen kann den Moderatoren kein Vorwurf gemacht werden. Sie
mahnten als Schiedsrichter, die Spielregeln einzuhalten. Bei hitzigen
Situationen muss damit gerechnet werden, dass Akteurinnen und Akteure
die Fassung verlieren.
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Ist Bundesrätin Simonetta Sommaruga glaubwürdig, wenn sie
den Buh-Rufen lächelnd entgegnet: "Wenn Diskussionen heftig sind,
ist das gut."
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Marcus Knill: Ich kann mir vorstellen, dass sie gelernt hat, sich
nicht auf Provokationen einzulassen. Aus rhetorischer Sicht nutzt sie
das antizyklische Verhalten nach dem bewährten Prinzip "Taxifahrer
fahr langsam, es eilt!" Konkret: Brüllt jemand, spreche ich bewusst
leise. Ist jemand unfreundlich, bin ich bewusst freundlich. Das muss
aber trainiert werden.
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Philipp Müller sagte entnervt: "Ich gehe heim. Dass ich mir
diesen Mist anhören muss!", wie ordnen Sie das ein?
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Marcus Knill: Wer die Nerven verliert, hat normalerweise verloren. Das darf einem erfahrenen
Politiker nicht passieren. Besonders, wenn er in Diskussionen auch nicht
zimperlich ist.
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