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www.rhetorik.ch aktuell: (14. Feb, 2025)

So ticken die vier Kanzlerkandidaten

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Am Donnerstagabend haben sich die vier Kanzlerkandidaten von SPD, Union, AfD und Grünen im Fernsehen in der Sendung "Klartet" Fragen des Publikums gestellt. ZDF Chefredakteurin Bettina Schausten und Heute Moderator Christian Sievers hatten durch die Sendung geführt.

Wir wollen hier bewusst machen, dass nicht nur die politische Gesinnung, die Parteizugehörigkeit die Wahl eines Kandidaten oder einer Kandidatin beeinflusst. Wichtig ist auch die Ausstrahlung die Überzeugungskraft, die kommunikative oder medienrhetorische Kompetenz. Die Glaubwürdigkeit einer Person ist entscheidend. Kanzlerwahlen sind vor allem Persönlichkeitswahlen.

Ein paar Gedanken zur Frage: Wie ticken die vier Kanzlerkandidaten: Habeck, Scholz, Merz und Weidel?

Wie wirkt Robert Habeck?

Die ständigen Sorgenfalten auf der Stirn des Grünen Kanzlerkandidaten machen den Eindruck, als würden ihn ständig Schmerzen plagen. Der deutsche Spitzenpolitiker, der die gescheiterte Ampelpolitk mit prägte, wirkt in Gesprächen kumpelhaft. Er ist "auf Du" mit den "Menschen" und stets darauf bedacht, dass sich das Gegenüber wohl fühlt. Zu seinen kommunikativen Stärke zählt: Aufmerksames Zuhören. Immer wieder fällt sein verständnisvolles Gesicht auf, wenn er vermitteln will, dass ihn nichts aus dem Lot bringen kann. Auch äusserlich gibt er sich gerne als "Macher" mit hochgekrempelten Aermeln. Habeck trug früher gerne Wollpullover mit Schals. Dann mutierte der Wirtschaftsminister vom grünen alternativen Outfit zum Politiker mit schnittiger schwarzer Kleidung. Der oberste Knopf der weissen Hemden ist bei ihm geöffnet. Die Haare wurden kürzer, den Bart liess er wachsen. Er ist offensichtlich darauf bedacht, sich als "Tatmensch" zu präsentieren.. Das Gegenüber betrachtet er vielfach von unten - mit leicht gesenktem Kopf. Psychologen behaupten, dass ein Mensch, der seine Kehle mit dem Kinn abdeckt, sich schützen will oder darauf bedacht ist, alles unter Kontrolle zu haben. Weil Habeck"gefällig" wirkt, hatte er schon 2018 eine überdurchschnittlich hohe Medienpräsenz. Er ist auch einer der wenigen Politiker, der ohne Spickzettel frei reden kann. Als Pazifist liegt es dem Kanzlerkandidaten nicht, mit grobem Geschütz zu kämpfen. Seinen Ehrgeiz, seinen Machteifer tarnt er mit einer leidvollen aber emotionalen Zuwendung. Er hat das politische Vokabular in Deutschland emotionalisiert. Auch legt sich Habeck nicht gerne fest. Zu seinem Vokabular gehört: "Jein", "Entscheidungen haben Schattenseiten." Er kann sich aber auch problemlos einer ungehobelten Umgangssprache bedienen. Seine Stimme klingst meist etwas belegt und wirkt sanft, einschläfernd, mit wenig Intonation. Denkbar, dass seine Stimmfarbe bei Frauen besser ankommt, als bei Männern.

Wird "Scholzomat" nochmals Kanzler?

Olaf Scholz war nach dem Ende der Ampel abgeschrieben. Den faden Auftritten des Kanzlers (er bekam deshalb den Beinamen "Scholzomat") fehlt das notwendige Herzblut. Er politisiert meist ohne Ecken und Kanten. Es fehlen mutige, visionäre Ideen. Sein krampfhaftes Bemühen, kraftvoll aufzutreten, wirkt eher kontraproduktiv. Er verbreitet Langeweile. Mit dem Vorteil: In heissen Situationen wirkt Scholz beruhigend. Das war für mich bei der letzten Kanzlerwahl der Hauptgrund, dass er für viele etwas Staatsmännisches vermittelte. Scholz hat nach seinem Tief bis heute wieder erneut gepunktet. Dennoch sehe ich für ihn kaum Chancen für eine Wiederwahl. An Scholz haftet zu viel Ampelmief.

Wie tickt Favorit Friedrich Merz?

Merz ist der Gegenentwurf zu Merkel. Er polarisiert. Seine bissige, ungeschminkte Rhetorik eckt an, wird aber auch gelobt. Merz zeigt Kante und nimmt kein Blatt vor den Mund. Sein überbordendes, robustes Selbstbewusstsein wird immer wieder als Arroganz ausgelegt. Twitter schreibt von "überheblich." Spannend finde ich das Stärken-Schwächen Profil von Friedrich Merz. Merz ist ein brillanter Rhetoriker. Seine Auftritte überzeugen (Ausdruck, freie Rede, einfache, verständliche Sprache, kurze Sätze). Als Redner wurde er mehrfach ausgezeichnet (goldenes Mikrofon, deutscher Rhetorik-Preis). Merz schaffte das ohne Coach und ohne Video-Training. Als Oppositionsführer verstand er es, die Ampel-Regierung vor sich her zu treiben. Dank deren Streitereien und Uneinigkeiten hatte er leichtes Spiel. Im Parlament wird hingegen seine Bissigkeit von vielen als süffisant, ironisch empfunden. Ob es Merz an der notwendigen "Impulskontrolle" fehlt? Er ist jedenfalls dünnhäutiger und impulsiver, als er nach aussen wirkt. Wahrscheinlich hat Merz ein Sympathieproblem. Wenn er lacht, wirkt das oft aufgesetzt. Sein Lachen kommt nicht von Herzen. Schlimm, wenn Lächeln etwas Geringschätziges vermittelt. Bei Kommunikationsprozessen wirkt es besonders negativ, wenn der Gesprächspartner gleichsam "ausgelacht" wird. (Harris lässt grüssen). Weil Merz wenig lächelt, wirkt er wie ein Sorgenonkel. Der Kandidat hat ein zu hohes Sprechtempo. Ich habe immer den Eindruck, Merz versucht jede emotionale Regung zu vermeiden. Als Merz im Privatflieger zur Hochzeit von Finanzminister Christian Lindner auf Sylt fliegt, fliegt ihm der alte Vorwurf um die Ohren: arrogant, abgehoben, elitär. Bei den Formulierungen fällt die Sequenzierung der Gedanken auf. Merz hat eine besondere Pausentechnik. Folgendes Beispiel aus einem Video veranschaulicht dies: ""¦"¦liegt über Jahre über dieses Land - wie ein Nebelteppich - die Untätigkeit - und die mangelnde Führung durch die Bundeskanzlerin - legt." Der bildhafte Gedanke wird mit Pausen in kurze Untersequenzen aufgeteilt. Seine Körpersprache sagt: "Für mich ist alles sonnenklar." Leichtes Schulterzucken, leichtes Kopfschütteln. Die nach unten gezogenen Mundwinkel vermitteln dem Publikum: Der andere liegt offenbar ganz falsch. Als denke Merz: "Ich kläre das gerne, du hast es wohl einfach noch nicht verstanden."

Alice Weidel wohl chancenlos.

Obwohl chancenlos, wurde von ihrer Partei Alice Weidel zur Kanzlerkandidatin gekürt. Alice Weidel darf als Co-Vorsitzende der Partei "Alternative für Deutschland" von den erstaunlichen Wahlerfolgen für sich eine Scheibe abschneiden. Sie ist überzeugt, dass ihre Kandidatur berechtigt ist. Wenn jeder fünfte Deutsche AfD wählt, mutiert die Rechts - Partei eigentlich zu einer Volkspartei und dürfte wohl nicht länger von den Medien ignoriert werden. Trotz fehlender Unterstützung will Weidel nach den Erfolgen mit der Kandidatur den den Anspruch ihrer Partei unterstreichen. Bisher versuchte sie ihr Privatleben aus der Oeffentlichkeit herauszuhalten. Auf dem Parkett legt die promovierte Oekonomin grossen Wert auf seriöses Auftreten: In der Regel mit dunkelblauem Blazer oder Rollkragenpulli, Hose oder Rock, weissem Hemd und Perlenkette. Die blonden Haare stets mit einem strengen Dutt. Sie hat die Fähigkeit, zwei Gesichter zu zeigen. Obschon sie recht scharf auszuteilen versteht, wirkt sie bei ihren Auftritten unterkühlt. Medien finden positive Zuschreibungen wie: "gescheit", "seriös", "fokussiert", "intelligent", aber auch "streng". Denn die Politikerin kann herrisch, teils verachtend wirken, wenn sie Gegner im Plenum zurechtweist. In Interviews spricht sie eher gedehnt und ruhig. Ihre Stimme befindet sich in einer zu hohen Resonanzebene, was leicht verbessert werden könnte. Für Weidel heisst "Führung"nicht, sich unbedingt beliebt zu machen. Aber, falls notwendig, auch schwierigere, unangenehmere Entscheidungen zu treffen. Kritiker lassen kein gutes Haar an ihr. Im "zdf heute"wurde sie als "egozentrisch" und "arrogant" beschrieben. Zitat: Sie hat nicht umsonst den Spitznamen "Eisprinzessin". Vorgeworfen wird der AfD-Politikerin mitunter Inkompetenz, und dass es ihr vor allem vorn sein will. Anhänger loben hingegen Weidels Intelligenz, ihre Belastbarkeit und ihr erstaunliches Durchsetzungsvermögen. Bei der Wahl bleibt sie wohhl nach wie vor chancenlos.

Unprofessionelle Moderation

In diesem Klartext sah man ein Musterbeispiel, wie nicht moderiert werden darf! Es geht mir nicht um die Manipulation bei der Auswahl der Fragesteller, noch um die fragwürdige Auswahl des Publikums. Er geht vor allem um den Profijournalisten Christian Sievers, der im Gegensatz zu Kollegin Bettina Schausten bei Alice Weidel die Fassung verlor. Er unterbrach die Kandidatin ständig und es kam soweit, dass er plötzlich genervt, anstatt zu moderieren, sich zum Fragesteller hinsetzte und als dessen Anwalt agierte. Statt zu moderieren, begann er gegen die ihm missliebige AfD Chefin heftig zu argumentieren. Weil er Weidel nicht destabilisieren konnte, hat er wohl die Fassung verloren. Anstatt sich aus dem Konzept zu bringen, nahm die Kanzlerkandidatin Anteil am Schicksal einer Frau, die befürchtete, ausgewiesen zu werden. Weidel erkundigte sich, wie lange die eingewanderte Frau schon in Deutschland weile. Der Moderator stoppte sofort Weidel, sie dürfe keine Fragen stellen. Diese entgegnete freundlich, sie interessiere sich für diesen Fall. Als sich dann zeigte, dass die Frau schon zwei Jahre in Deutschland lebt, gut deutsch spricht und Steuern bezahlt, überraschte Weidel das Publikum mit folgender Aussage: "Wenn jemand arbeitswillig ist, sich integriert, deutsch gelernt hat, darf aus unserer Sicht bleiben. Die AfD will nur kein illegalen Kriminellen, die ausgeschafft werden müssten."Das brachte Sievers in Rage. Weil sein Konzept nicht aufging, unterstellte er der Kanzlerkandidatin, ein unredliches Spiel zu spielen. Als der Fragesteller ein Vertreter der "Willkommkultur" ebenfalls behauptete, Weidel lehne doch alle "Fremden" ab, antwortete Alice Weidel erneut sachlich aber bestimmt: "Sie haben mir wohl nicht zugehört, Fachkräfte, die sich integrieren sind uns willkommen." Moderieren heisst, andere zum Reden zu bringen.

Einseitigkeit von ZDF

Auch der ZDF Beitrag "Scholz, Merz, Habeck und Weidel im Check" hatte illustriert, wen das ZDF bevorzugt. Beispiel: Im Faktencheck wird bei Weidel beanstandet, dass nicht 6 Atomkraftwerke abgestellt wurden, sondern 3+3 Atomkraftwerke in zwei Schritten abgestellt worden sind. Auch das Publikum wirkte eher Weidel-feindlich. Schon vor einer Woche haben Medien und Politiker das ZDF für die Auswahl des Publikums kritisiert. Man hatte in der Wahlsendung "Schlagabtausch" zwei Unis als Zuschauer angeschrieben. Das ZDF musste damals auf Anfrage der "Bild" eingestehen, dass es zu einseitigen Reaktionen gekommen sei. Auch bei der gestrigen Sendung "Klartext" wurde man das Gefühl nicht los, dass das Publikum nicht gerade representativ war. Der Moderator Sievers konnte seine persönliche politische Einstellung nicht kontollieren. Die zweite Moderatorin Schausten war viel professioneller.

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