Rhetorik.ch

Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com
Aktuell Artikel Artikel Inhaltsverzeichnis Suche in Rhetorik.ch:

www.rhetorik.ch aktuell: (12. Sep, 2024)

Punktesieg für Harris, Rennen bleibt offen

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
(PDF) des Artikels
SN vom 12. September, 2024
Hier der ungekürzte Entwurf der Analyse für die "Schaffhauser Nachrichten" von Marcus Knill:

Punktesieg für Harris, Rennen bleibt offen

Das zweite Fernsehduell mit der neuen US- Präsidentschaftskandidatin war ein Punktesieg für Harris, aber das Rennen bleibt offen.

Im ersten Fernsehduell gegen den angeschlagenen Jo Biden hatte Donald Trump noch leichtes Spiel. Dank Bidens Wortfindungsstörungen, konnte er den Kontrahenten schadenfreudig vorführen. Trump: "Ich weiss nicht, was er sagen will. Wahrscheinlich weiss er es selbst auch nicht." Nachdem Biden das Feld räumen musste, kam es dann aber beim zweiten Duell am 10. September zu einer völlig neuen Konstellation. Die Karten waren neu gemischt. Trump stand einer jüngeren, energiegeladenen Frau gegenüber. Wie bei der Analyse des ersten Duells (SN vom 29. Juni 2024), verfolgte ich auch das zweite spannende Fernsehereignis. Mich interessierten wiederum Details, die nachhaltig sein könnten und Verhaltensweisen, die stören oder mit denen gepunktet werden kann.

Bei der Live Übertragung fragte ich mich: Gibt es aufschlussreiche non-verbale Signale? Wer wirkt überzeugender? Lässt sich Trump von der ehemaligen Staatsanwältin Harris destabilisieren? Tappt Trump in die Falle und greift die Kontrahentin bei der Fernsehdebatte als schwarze Frau an? Wie schlät sich Kamala Harris? Sie hatte Trump schon im Vorfeld auf dem linken Fuss erwischt, indem sie sein Verhalten als "seltsam" (engl. "weird") bezeichnete. Mit diesem magischen Wort brachte sie Trump in Rage. "Seltsam" vermittelt das Gefühl einer Störung und lässt erahnen, dass etwas nicht stimmt. Das Gegenüber wird nicht ernst genommen. Diese Stichelei ist weder herabsetzend noch polemisch, aber durch die Wiederholung wirkte sie enorm. 2020 hatte Harris als Kandidatin für die Präsidentschaft noch einen schlechten Eindruck hinterlassen. Sie galt früher als farblos, politisch blass, zu beliebig, mit fehlendem Charisma und war umstritten. Für die US-Bürger war sie sogar als Internet-Meme bekannt. Wer "Kamala Harris" Wortsalat" googelt, findet ungezä¤hlte Beispiele ihrer rhetorischen Entgleisungen. Erstaunlich, wie schnell sich die Kandidatin zu einer präsidialen Rednerin entwickelt hat. Mir fiel auf, dass nach der Nominierung viele Medien offensichtlich kein Interesse mehr haben, Harris zu hinterfragen.

Beobachtungen und Gedanken

Vorweg darf gesagt werden: Trump muss sich nach diesem Duell für den Endspurt warm anziehen. Sein Sieg ist nach dem gelungenen Einstand Harris nicht mehr sicher. Die Debatte zeigte, dass der Kontrast zwischen den Kontrahenten kaum grösser sein kann. Beide attackierten voll. Trump als Sieger ist alles andere als in Stein gemeisselt. Beide punkteten. Beide waren im Angriffsmodus. Beide warfen sich einander vor, zu lüen. Es sieht nach einer Patt - Situation aus. Punktem&aum;ssig hat jedoch nach dem wichtigen Showdown Harris die Nase vorn. Trump wurde genötigt, seine Strategie anzupassen. Trump bleibt nach wie vor der "ungehobelte" Provokateur. Harris war erstaunlich angriffig. Sie sprach im Duell viel ernsthafter und beherrschter als sonst. Wenn jedoch Trump lautstark loslegte, wirkte sich dies bei Harris deutlich aufs Minenspiel und nachher aufs Sprechtempo aus. Harris gelang es aber vermehrt, Trump zu destabilisieren. Die zahlreichen Angriffe irritierten ihn. Als sie die Grösse seiner Wahlkampfveranstaltung in Zweifel gezogen hatte, wurde Trump sogar wütend und reagierte defensiv. Da holte sich Harris wertvolle Punkte. Ein Kandidat darf bei so einer wichtigen Debatte die Nerven nicht verlieren.

Narrative

Harris als Vizepräsidentin war es, die schon lange im Hintergrund die Strippen gezogen hatte, weil Biden dazu schlicht nicht mehr in der Lage war. So ist sie laut Trump für das Versagen der Regierung verantwortlich - vor allem bei der Krise an der Grenze zu Mexiko. Bidens Versagen versuchte Trump immer wieder der "Co-Pilotin Bidens" in die Schuhe schieben. Zudem ging es Trump darum, Kamala Harris den Ruf als Windfahne zu etablieren, weil sie bei zentralen Themen die Meinung zu oft fundamental wechselte. (Grenzmauerbau: Früher dagegen, heute dafür. Oel- und Gasgewinnung "Fracking" Früher dagegen, heute dafür. Verbot von Plastikröhrchen: Früher dafür, heute dagegen).

Das Narrativ von Harris: Als ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien lä¤sst sie bei Auftritten wiederholt durchblicken, sie habe mit Verbrechern aller Art zu tun gehabt. Harris wird auch nach der Debatte weiterhin betonen, sie repräsentiere die Zukunft und Trump nur die Vergangenheit.

Stärken und Schwächen

Trump Harris
Stärken: Er ist ein Instinktpolitiker. Er versteht dank telegener Authentizität, Behauptungen, Halbwahrheiten so zu wiederholen, dass fragwürdige Aussagen für viele glaubwürdig wirken. Es gelingt ihm, Gegner mit wenig Worten zu demontieren: "Harris ist eine Marxistin "Sie will mit irrsinniger Politik das Land zerstören". "Sie versucht sich, von Biden zu lösen." Er beschimpft sie als "verrückt". Er vereinfacht mit begrenztem Vokabular. Als Showman weiss er genau, wie die Medien ticken. Durch Provokationen generiert er grosse Aufmerksamkeit. So gelang es ihm, Harris einmal so stark zu nerven, dass sie tonlos gesprochen hatte, bevor ihr Mikrofon eingeschaltet war. Auffallend war, dass er den Namen Kamala Harris nie in den Mund nahm. Trump versteht die Lenkungstechnik (Beim Antworten immer wieder zu den Kernthemen "Migration" und "Inflation" zu lenken). Schwächen: Ihm fehlt die Empathie. Er ist und bleibt unberechenbar und kann über Nacht seine Meinung ändern. Im Vergleich zu Biden wirkte Trump beim ersten Duell dynamisch und jung. Jetzt ist er der alte Mann. Wenn ihm Argumente fehlen, schiesst er auf die Person, auch unter die Gürtellinie. Er kann bissig, unflä¤tig, verletzend und aggressiv werden. Mit der Wahrheit nimmt er es nicht so genau. Er schweift gerne ab. Stärken: Sie hat das Potential, zu begeistern, zu überzeugen. Ihre Ausstrahlung ist ansteckend. Sie ist voller Energie und bringt es fertig, die Stimmung zu beeinflussen. Sie schaffte sich in Kürze ein persönliches Profil und debattiert heute viel souveräner. Sie kann Unverschämtheit hart parieren. Mit ihrer zur Schau gestelltem Optimismus lässt sie Trump als Griesgram dastehen. Beim Duell wollte sie nicht Trump überzeugen, sondern sie hat es mehrfach verstanden - nach einer Pause - in die Kamera zu schauen, um Unentschlossene Fernsehzuschauer anzusprechen. Harris hat einen reichen Wortschatz. Unangenehme Fragen versteht sie geschickt wegzuwischen. Auch sie hat die Lenkungstechnik gelernt (bei verschiedenen Antworten verlagert sie das Thema auf "Trump als Lüner") Schwächen: Harris fehlt immer noch eine aussagekräftige, klare, auf wenig Worte verdichtete Botschaft (Claim), welche die Vorteile ihrer Wahl hervorhebt. Claims sind kurz und prägnant. Sie werden verwendet, um die Aufmerksamkeit zu lenken. Bekannt sind: "Amerika first! (Trump), "Trump schlagen!" (Biden), "Steuern senken!" (G. W. Bush) Für Harris haben Wirtschafts- und Migrationsfragen keine Priorität. Das könnte ihr schaden. Bei ihr dominiert vielmehr die Abtreibungsthematik sowie der Kampf gegen die Waffengewalt. Sie müsste ein neues Narrativ entwickeln. Bei "Visionen haben und Träume verwirklichen" als Botschaft fehlt der politische Inhalt. Den Amerikanern brennt aktuell die Inflation und Migration unter den Nägeln. Dazu bräuchte Harris eine konkrete Antwort. Ihre politische Herkunft aus dem linken Milieu könnte ihr ebenfalls zur Hypothek werden. Harris musste sich immer wieder rechtfertigen. In Sachfragen bleibt sie nach wie vor vage. Ihr Dilemma: Sie muss Biden gegenüber loyal sein und man spürt: Sie will keine Fehler machen. So mangelt es ihr an politischem Profil. Mit bewussten schwammigen Antworten will sie möglicherweise Trump keine zusä¤tzliche Munition für seine Vorwürfe liefern. Harris hat seit dem Start als Präsidenschaftskandidatin die Komfortzone von orchestrierten Auftritten zu spät verlassen. Sie hat zu lange keine Interviews gegeben und mied kritische Fragen unabhängiger Journalisten. Das war für Trump eine Steilvorlage: Ich traue mich, sie nicht!


Zur Sprache des Körpers der Akteure:

Beim Start schaffte es Kamala Harris mit ihrer ausgestreckten Hand, dass es nach Trumps Verweigerung (bei den letzten TV Duellen mit Biden) wieder zu einem Handshake kam. Trump konnte sich dieses Angebot nicht ablehnen. Damit hat Harris bereits beim Start gepunktet. Wie erwartet trugen beide Kontrahenten einen klassischen staatsmännischen Anzug. Harris in dunkelblau und Trump in den Farben der amerikanischen Flagge: Blau (Anzug)-rot (Kravatte)-weiss (Hemd).

Trump schert sich keinen Deut um körpersprachliche Aspekte. Trump bleibt Trump. Er punktet mit seinem ungefilterten Gehabe. Dies gab ihm in der Oeffentlichkeit den Ruf, offen, echt und ehrlich zu kommunizieren.

Beim Start, als Harris sprach, machte er mit dem missmutigen Gesicht, den heruntergezogenen Mundwinkeln und den zugekniffenen Augen keinen positiven Eindruck. Meist spricht er mit schief gelegtem Kopf, schürzt den Mund (Schmollmund). Er spitzt die Lippen, wenn ihm etwas missfällt. Mit der Handkante bringt er auch fragwürdige Behauptungen auf den Punkt. Seine Gestik ist dynamisch. Das Nonverbale, das Paraverbale (Art der Ansprache) ist bekanntlich sehr wichtig, um das Publikum zu erreichen. Trump manipuliert vor allem mit Betonung, Lautstärke, Akzent, Tonhöhe und Sprechtempo. Die subtile rhythmische Manipulation beeinflusst eine Aussage stark. Trump schliesst oft die Augen, wenn er spricht und meidet den Blickkontakt zur Konkurrentin. Trump lacht wenig. Er hat gelernt: Wer zu laut lacht, gibt seinen Schutz auf und verliert die Kontrolle.

Bei früheren Auftritten dominierte bei Harris das offene Lachen. Es war dann nie ein halbes, aufgesetztes Lächeln. Ihr ganzes Gesicht lacht bis zu den Lachfalten an den Augen. Dies strahlt Selbstvertrauen aus. Lachen ist ansteckend. Harris lachte in der Regel häufig und deutlich. Veilleicht auch zu häufig. Nicht immer war ihr Lachen angemessen. Auch schon vor dem Duell. Beispielsweise lachte sie, wo es nichts zu lachen gab. (Legalisierung von Cannabis und beim Thema Ukrainekrieg) Dieses legendäre Lachen fehlte nun beim Duell. Sie wirkte zurückhaltender, beherrschter ernsthafter. Das haben ihr wohl die Berater beigebracht. Ich empfand es so, als versuche sie, das Lachen bewusst zu unterbinden. Nur wenn Harris beim Duell mit Aussagen von Trump gar nicht einverstanden war, lachte sie beim Zuhören das Gehörte weg.

Beim Lachen geht es vor allem um die Frage der Häufigkeit und Lautstä¤rke ."Wer zu oft lacht, macht sich angreifbar. Es kann so der Eindruck entstehen, man nehme die Sache nicht ernst und lasse sich von Emotionen leiten." ( Zitat NZZ)

Lachen kann auch Politiker menschlicher machen (Bundesrat Merz - "Sequenz mit dem Bündnerfleisch").

Bei wichtigen Argumenten nickte Harris öfter bei ihrer Aussage leicht und bestätigt damit die eigene Botschaft. Nicken ist eine Vorstufe der Zustimmung und wirkt bei den Angesprochenen induktiv, d.h. unbewusst.

Harris scheut den Blickkontakt zum Gegenüber nicht. Sie versteht es sogar, mit scharfem Blick das Gegenüber zu fixieren, um dann kurz verbal auszuteilen und wieder zu schweigen - den Blickkontakt weiter haltend. Das war für Trump ungewohnt und provozierte ihn zusätzlich. Der angriffslustiger Stil irritierte ihn offensichtlich - vor allem von einer Frau.

Harris macht bei der Gestik grosse Ausgriffe. Sie nimmt Raum ein und signalisiert mit ihrer dominanter Gestik Offenheit. Damit verleiht sie den Aussagen Nachdruck. Mit Bewegungen werden Spannungen abgebaut. Wer die Gestik unterbindet, macht oft unpassende stressreduzierende Bewegungen, die stören und ablenken (Wippen mit den Füssen, Körperwindungen, mit den Fingern spielen usw.) und neigt zu Versprechern.

Fazit und Prognose:

Hinsichtlich "Schläge austeilen" blieben sich beide Seiten nichts schuldig. Trump mit dem Zweihänder. Harris mit dem Degen. Beide beherrschten die Lenkungstechnik. Trump verstand es bei den unterschiedlichen Themen auf die kriminellen Migranten zu sprechen zu kommen. Und Harris gelang es immer wieder die Thematik "Krimineller Präsidentschaftskandida" anzusprechen.

Harris inszenierte sich als Person, die ernst genommen werden muss. Sie ist wohl beim Publikum als glaubwürdiger beurteilt worden. Dennoch bleibt alles offen, weil in Amerika die Bevölkerung für Ueberraschungen gut ist und in den nächsten Wochen beide Kandidaten noch in unvorhergesehene Fettnäpfe tappen könnten.

Die Auftrittskompetenz allein wird bei der Wahl nicht entscheidend sein. Debatten werden mit Emotionen gewonnen und weniger mit Inhalten.

Es gilt ferner zu berücksichtigen: Zum Sieg ist es noch ein langer Weg. In den USA gewinnt nicht zwangsläufig der Kandidat, der die meisten Wählerstimmen bekommen hat, sondern derjenige, der die meisten Wahlmänner erhält. Will heissen: jener Kandidat, der die richtigen Bundesstaaten gewinnt, ist vorn.

Es siegt nur, wer mindestens 270 von 538 Elektorenstimmen auf sich vereinigt. Somit bleibt alles offen und der Endspurt verspricht Hochspannung.

Rhetorik.ch 1998-2024 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com