Hier der ungekürzte Entwurf der Analyse für die
"Schaffhauser Nachrichten" von Marcus Knill:
Punktesieg für Harris, Rennen bleibt offen
Das zweite Fernsehduell mit der neuen US- Präsidentschaftskandidatin
war ein Punktesieg für Harris, aber das Rennen bleibt offen.
Im ersten Fernsehduell gegen den angeschlagenen Jo Biden hatte Donald
Trump noch leichtes Spiel. Dank Bidens Wortfindungsstörungen,
konnte er den Kontrahenten schadenfreudig vorführen. Trump:
"Ich weiss nicht, was er sagen will. Wahrscheinlich weiss er es
selbst auch nicht." Nachdem Biden das Feld räumen musste, kam
es dann aber beim zweiten Duell am 10. September zu einer völlig
neuen Konstellation. Die Karten waren neu gemischt. Trump stand einer
jüngeren, energiegeladenen Frau gegenüber. Wie bei der Analyse des
ersten Duells (SN vom 29. Juni 2024), verfolgte ich auch das zweite
spannende Fernsehereignis. Mich interessierten wiederum Details, die
nachhaltig sein könnten und Verhaltensweisen, die stören oder
mit denen gepunktet werden kann.
Bei der Live Übertragung fragte ich mich: Gibt es aufschlussreiche
non-verbale Signale? Wer wirkt überzeugender? Lässt sich
Trump von der ehemaligen Staatsanwältin Harris destabilisieren? Tappt
Trump in die Falle und greift die Kontrahentin bei der Fernsehdebatte
als schwarze Frau an? Wie schlät sich Kamala Harris? Sie hatte
Trump schon im Vorfeld auf dem linken Fuss erwischt, indem sie sein
Verhalten als "seltsam" (engl. "weird") bezeichnete. Mit diesem
magischen Wort brachte sie Trump in Rage. "Seltsam" vermittelt
das Gefühl einer Störung und lässt erahnen, dass etwas
nicht stimmt. Das Gegenüber wird nicht ernst genommen. Diese Stichelei
ist weder herabsetzend noch polemisch, aber durch die Wiederholung
wirkte sie enorm. 2020 hatte Harris als Kandidatin für die
Präsidentschaft noch einen schlechten Eindruck hinterlassen. Sie
galt früher als farblos, politisch blass, zu beliebig, mit fehlendem
Charisma und war umstritten. Für die US-Bürger war sie sogar als
Internet-Meme bekannt. Wer "Kamala Harris" Wortsalat" googelt,
findet ungezä¤hlte Beispiele ihrer rhetorischen Entgleisungen.
Erstaunlich, wie schnell sich die Kandidatin zu einer präsidialen
Rednerin entwickelt hat. Mir fiel auf, dass nach der Nominierung viele
Medien offensichtlich kein Interesse mehr haben, Harris zu hinterfragen.
Beobachtungen und Gedanken
Vorweg darf gesagt werden: Trump muss sich nach diesem Duell für
den Endspurt warm anziehen. Sein Sieg ist nach dem gelungenen Einstand
Harris nicht mehr sicher. Die Debatte zeigte, dass der Kontrast
zwischen den Kontrahenten kaum grösser sein kann. Beide attackierten
voll. Trump als Sieger ist alles andere als in Stein gemeisselt. Beide
punkteten. Beide waren im Angriffsmodus. Beide warfen sich einander vor,
zu lüen. Es sieht nach einer Patt - Situation aus. Punktem&aum;ssig
hat jedoch nach dem wichtigen Showdown Harris die Nase vorn. Trump wurde
genötigt, seine Strategie anzupassen. Trump bleibt nach wie vor der
"ungehobelte" Provokateur. Harris war erstaunlich angriffig. Sie
sprach im Duell viel ernsthafter und beherrschter als sonst. Wenn
jedoch Trump lautstark loslegte, wirkte sich dies bei Harris deutlich
aufs Minenspiel und nachher aufs Sprechtempo aus. Harris gelang es
aber vermehrt, Trump zu destabilisieren. Die zahlreichen Angriffe
irritierten ihn. Als sie die Grösse seiner Wahlkampfveranstaltung
in Zweifel gezogen hatte, wurde Trump sogar wütend und reagierte
defensiv. Da holte sich Harris wertvolle Punkte. Ein Kandidat darf bei
so einer wichtigen Debatte die Nerven nicht verlieren.
Narrative
Harris als Vizepräsidentin war es, die schon lange im Hintergrund
die Strippen gezogen hatte, weil Biden dazu schlicht nicht mehr in der
Lage war. So ist sie laut Trump für das Versagen der Regierung
verantwortlich - vor allem bei der Krise an der Grenze zu Mexiko. Bidens
Versagen versuchte Trump immer wieder der "Co-Pilotin Bidens" in
die Schuhe schieben. Zudem ging es Trump darum, Kamala Harris den Ruf
als Windfahne zu etablieren, weil sie bei zentralen Themen die Meinung
zu oft fundamental wechselte. (Grenzmauerbau: Früher dagegen, heute
dafür. Oel- und Gasgewinnung "Fracking" Früher dagegen, heute
dafür. Verbot von Plastikröhrchen: Früher dafür, heute dagegen).
Das Narrativ von Harris:
Als ehemalige Generalstaatsanwältin von Kalifornien lä¤sst sie
bei Auftritten wiederholt durchblicken, sie habe mit Verbrechern aller
Art zu tun gehabt. Harris wird auch nach der Debatte weiterhin betonen,
sie repräsentiere die Zukunft und Trump nur die Vergangenheit.
Stärken und Schwächen
Trump
Harris
Stärken: Er ist ein Instinktpolitiker. Er versteht dank telegener
Authentizität, Behauptungen, Halbwahrheiten so zu wiederholen,
dass fragwürdige Aussagen für viele glaubwürdig wirken.
Es gelingt ihm, Gegner mit wenig Worten zu demontieren: "Harris
ist eine Marxistin "Sie will mit irrsinniger Politik das Land
zerstören". "Sie versucht sich, von Biden zu lösen."
Er beschimpft sie als "verrückt". Er vereinfacht mit begrenztem
Vokabular. Als Showman weiss er genau, wie die Medien ticken.
Durch Provokationen generiert er grosse Aufmerksamkeit. So gelang es
ihm, Harris einmal so stark zu nerven, dass sie tonlos gesprochen hatte,
bevor ihr Mikrofon eingeschaltet war. Auffallend war, dass er den Namen
Kamala Harris nie in den Mund nahm. Trump versteht die Lenkungstechnik
(Beim Antworten immer wieder zu den Kernthemen "Migration" und
"Inflation" zu lenken).
Schwächen:
Ihm fehlt die Empathie. Er ist und bleibt unberechenbar und kann
über Nacht seine Meinung ändern. Im Vergleich zu Biden
wirkte Trump beim ersten Duell dynamisch und jung. Jetzt ist er der alte
Mann. Wenn ihm Argumente fehlen, schiesst er auf die Person, auch unter
die Gürtellinie. Er kann bissig, unflä¤tig, verletzend und aggressiv
werden. Mit der Wahrheit nimmt er es nicht so genau. Er schweift gerne ab.
Stärken: Sie hat das Potential, zu begeistern, zu überzeugen. Ihre
Ausstrahlung ist ansteckend. Sie ist voller Energie und bringt
es fertig, die Stimmung zu beeinflussen. Sie schaffte sich in
Kürze ein persönliches Profil und debattiert heute viel
souveräner. Sie kann Unverschämtheit hart parieren. Mit
ihrer zur Schau gestelltem Optimismus lässt sie Trump als Griesgram
dastehen. Beim Duell wollte sie nicht Trump überzeugen, sondern sie hat
es mehrfach verstanden - nach einer Pause - in die Kamera zu schauen, um
Unentschlossene Fernsehzuschauer anzusprechen. Harris hat einen reichen
Wortschatz. Unangenehme Fragen versteht sie geschickt wegzuwischen. Auch
sie hat die Lenkungstechnik gelernt (bei verschiedenen Antworten verlagert
sie das Thema auf "Trump als Lüner")
Schwächen:
Harris fehlt immer noch eine aussagekräftige, klare, auf wenig
Worte verdichtete Botschaft (Claim), welche die Vorteile ihrer Wahl
hervorhebt. Claims sind kurz und prägnant. Sie werden verwendet, um
die Aufmerksamkeit zu lenken. Bekannt sind:
"Amerika first! (Trump), "Trump schlagen!" (Biden), "Steuern
senken!" (G. W. Bush)
Für Harris haben Wirtschafts- und Migrationsfragen keine
Priorität. Das könnte ihr schaden.
Bei ihr dominiert vielmehr die Abtreibungsthematik sowie der Kampf gegen
die Waffengewalt. Sie müsste ein neues Narrativ entwickeln. Bei
"Visionen haben und Träume verwirklichen" als Botschaft fehlt
der politische Inhalt. Den Amerikanern brennt aktuell die Inflation
und Migration unter den Nägeln. Dazu bräuchte Harris eine konkrete
Antwort. Ihre politische Herkunft aus dem linken Milieu könnte
ihr ebenfalls zur Hypothek werden. Harris musste sich immer wieder
rechtfertigen. In Sachfragen bleibt sie nach wie vor vage. Ihr Dilemma:
Sie muss Biden gegenüber loyal sein und man spürt: Sie will keine Fehler
machen. So mangelt es ihr an politischem Profil. Mit bewussten schwammigen
Antworten will sie möglicherweise Trump keine zusä¤tzliche Munition
für seine Vorwürfe liefern.
Harris hat seit dem Start als Präsidenschaftskandidatin die
Komfortzone von orchestrierten Auftritten zu spät verlassen. Sie hat
zu lange keine Interviews gegeben und mied kritische Fragen unabhängiger
Journalisten. Das war für Trump eine Steilvorlage: Ich traue mich,
sie nicht!
Zur Sprache des Körpers der Akteure:
Beim Start schaffte es Kamala Harris mit ihrer ausgestreckten Hand,
dass es nach Trumps Verweigerung (bei den letzten TV Duellen mit Biden)
wieder zu einem Handshake kam. Trump konnte sich dieses Angebot nicht
ablehnen. Damit hat Harris bereits beim Start gepunktet. Wie erwartet
trugen beide Kontrahenten einen klassischen staatsmännischen
Anzug. Harris in dunkelblau und Trump in den Farben der amerikanischen
Flagge: Blau (Anzug)-rot (Kravatte)-weiss (Hemd).
Trump schert sich keinen Deut um körpersprachliche Aspekte. Trump
bleibt Trump. Er punktet mit seinem ungefilterten Gehabe. Dies gab ihm
in der Oeffentlichkeit den Ruf, offen, echt und ehrlich zu kommunizieren.
Beim Start, als Harris sprach, machte er mit dem missmutigen Gesicht,
den heruntergezogenen Mundwinkeln und den zugekniffenen Augen keinen
positiven Eindruck. Meist spricht er mit schief gelegtem Kopf,
schürzt den Mund (Schmollmund). Er spitzt die Lippen, wenn ihm
etwas missfällt. Mit der Handkante bringt er auch fragwürdige
Behauptungen auf den Punkt. Seine Gestik ist dynamisch. Das Nonverbale,
das Paraverbale (Art der Ansprache) ist bekanntlich sehr wichtig, um
das Publikum zu erreichen. Trump manipuliert vor allem mit Betonung,
Lautstärke, Akzent, Tonhöhe und Sprechtempo. Die subtile rhythmische
Manipulation beeinflusst eine Aussage stark. Trump schliesst oft die
Augen, wenn er spricht und meidet den Blickkontakt zur Konkurrentin.
Trump lacht wenig. Er hat gelernt: Wer zu laut lacht, gibt seinen Schutz
auf und verliert die Kontrolle.
Bei früheren Auftritten dominierte bei Harris das offene
Lachen. Es war dann nie ein halbes, aufgesetztes Lächeln. Ihr
ganzes Gesicht lacht bis zu den Lachfalten an den Augen. Dies strahlt
Selbstvertrauen aus. Lachen ist ansteckend. Harris lachte in der Regel
häufig und deutlich. Veilleicht auch zu häufig. Nicht immer war ihr
Lachen angemessen. Auch schon vor dem Duell. Beispielsweise lachte sie,
wo es nichts zu lachen gab. (Legalisierung von Cannabis und beim Thema
Ukrainekrieg) Dieses legendäre Lachen fehlte nun beim Duell. Sie wirkte
zurückhaltender, beherrschter ernsthafter. Das haben ihr wohl die Berater
beigebracht. Ich empfand es so, als versuche sie, das Lachen bewusst zu
unterbinden. Nur wenn Harris beim Duell mit Aussagen von Trump gar nicht
einverstanden war, lachte sie beim Zuhören das Gehörte weg.
Beim Lachen geht es vor allem um die Frage der Häufigkeit und
Lautstä¤rke ."Wer zu oft lacht, macht sich angreifbar. Es kann so der
Eindruck entstehen, man nehme die Sache nicht ernst und lasse sich von
Emotionen leiten." ( Zitat NZZ)
Lachen kann auch Politiker menschlicher machen (Bundesrat Merz -
"Sequenz mit dem Bündnerfleisch").
Bei wichtigen Argumenten nickte Harris öfter bei ihrer Aussage leicht
und bestätigt damit die eigene Botschaft. Nicken ist eine Vorstufe
der Zustimmung und wirkt bei den Angesprochenen induktiv, d.h. unbewusst.
Harris scheut den Blickkontakt zum Gegenüber nicht. Sie versteht
es sogar, mit scharfem Blick das Gegenüber zu fixieren, um dann
kurz verbal auszuteilen und wieder zu schweigen - den Blickkontakt
weiter haltend. Das war für Trump ungewohnt und provozierte ihn
zusätzlich. Der angriffslustiger Stil irritierte ihn offensichtlich
- vor allem von einer Frau.
Harris macht bei der Gestik grosse Ausgriffe. Sie nimmt Raum ein und
signalisiert mit ihrer dominanter Gestik Offenheit. Damit verleiht sie
den Aussagen Nachdruck. Mit Bewegungen werden Spannungen abgebaut. Wer
die Gestik unterbindet, macht oft unpassende stressreduzierende
Bewegungen, die stören und ablenken (Wippen mit den Füssen,
Körperwindungen, mit den Fingern spielen usw.) und neigt zu
Versprechern.
Fazit und Prognose:
Hinsichtlich "Schläge austeilen" blieben sich beide
Seiten nichts schuldig. Trump mit dem Zweihänder. Harris mit dem
Degen. Beide beherrschten die Lenkungstechnik. Trump verstand es bei den
unterschiedlichen Themen auf die kriminellen Migranten zu sprechen zu
kommen. Und Harris gelang es immer wieder die Thematik "Krimineller
Präsidentschaftskandida" anzusprechen.
Harris inszenierte sich als Person, die ernst genommen werden muss. Sie
ist wohl beim Publikum als glaubwürdiger beurteilt worden.
Dennoch bleibt alles offen, weil in Amerika die Bevölkerung für
Ueberraschungen gut ist und in den nächsten Wochen beide Kandidaten
noch in unvorhergesehene Fettnäpfe tappen könnten.
Die Auftrittskompetenz allein wird bei der Wahl nicht entscheidend
sein. Debatten werden mit Emotionen gewonnen und weniger mit Inhalten.
Es gilt ferner zu berücksichtigen: Zum Sieg ist es noch ein langer
Weg. In den USA gewinnt nicht zwangsläufig der Kandidat, der die
meisten Wählerstimmen bekommen hat, sondern derjenige, der die meisten
Wahlmänner erhält. Will heissen: jener Kandidat, der die richtigen
Bundesstaaten gewinnt, ist vorn.
Es siegt nur, wer mindestens 270 von 538 Elektorenstimmen auf sich
vereinigt. Somit bleibt alles offen und der Endspurt verspricht
Hochspannung.