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www.rhetorik.ch aktuell: (16. Feb, 2023)

Von Jonas Fricker lernen

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Meist versuchen Politiker nach gravierenden Fehlern zu schweigen. Sie beschönigen oder wollen Probleme aussitzen. Leider übernehmen nicht alle Führungskräfte die Verantwortung für Fehler. Sie entschuldigen sich selten. Jonas Fricker hat den Auschwitz-Skandal überstanden (er hatte 2017 Tiertransporte mit den Massendeportationen nach Auschwitz verglichen). Er hat sich damals entschuldigt und ist als Parlamentarier überraschend schnell zurückgetreten. Heute zeigt sich, dass er damals klug gehandelt hat. Wer sich entschuldigt, blockiert in der Regel weitere Schuldzuweisungen. Wer Verantwortung übernimmt, beweist nicht Schwäche, sondern Führungsstärke. Heute kandidiert Fricker erneut für den Nationalrat. Er hat grosse Chancen, wieder gewählt zu werden.

Der grüne Nationalrat trat auf Druck der Medien zurück. Er ging über die Bücher und will nun zurück auf die Politbühne. Fricker handelte damals richtig. In der Sonntagszeitung wurde er gefragt: Warum tun Sie sich das an? Er antwortete mit einer passenden Analogie: "Letzten Winter hatte ich einen Velounfall und brach mir die Schulter. Deswegen gebe ich doch das Velofahren nicht auf! Ich fahre künftig bloss vorsichtiger. Auch wenn ich einen grossen Fehler gemacht habe, möchte ich mich nicht aus dem politischen Leben verabschieden. Ich will mich einbringen, wo ich der Gesellschaft am meisten nützen kann. Mit meinen Erfahrungen und meinem Wissen ist die Politik der richtige Ort."

Eine gut bedachte Antwort! Der Vergleich ist medienrhetorisch geschickt. Die Analogie ist bildhaft, narrativ und leuchtet ein. Dass er künftig vorsichtiger fahre zeigt, dass er als Medienopfer etwas gelernt hat. Der Naturwissenschaftler versteht es, für sich zu werben, ohne aufdringlich zu wirken. Im Laufe des Interviews gesteht er den alten Fehler ein. Er betont, Fehler dürfe man nicht ausradieren, sondern müsse sie stehen lassen und daraus lernen. Dies überzeugt. Er schildert, dass der absurde Versuch verschiedener Medien, ihn als Antisemiten abzustempeln, schwer getroffen und verletzt habe. Er musste lesen, was völlig falsch waren. Auch durch die Schilderung der negativen Erfahrungen mit unserer Mediendemokratie punktet Fricker. Dass er während seiner Rede einen Fehler gemacht hatte, sei ihm noch am Rednerpult bewusst geworden. Nur ein paar Minuten nach dem Auftritt habe er sich entschuldigt. Kurz darauf auch beim Schweizerischen Israelitischen Gemeinbund, der die Entschuldigung annahm. Erstaunlich war für mich, dass die Spitze der grünen Partei den eigenen Nationalrat fallen liess, Fricker hingegen dem grünen Gedankengut treu geblieben ist. Dies zeigt einmal mehr: Loyalität und Solidarität sind nur gegenseitig hilfreich. Menschen dürfen Fehler machen (Fehlerkultur). Eine echte Entschuldigung darf nicht ignoriert werden. Die Frau von Jonas Fricker (Sie ist Professorin für politische Kommunikation) hat wohl ihren Mann professionell beraten. Gemäss Interview hat sie jedenfalls den Ehemann ermuntert, die Krise als Wendepunkt und Lernmoment einzuordnen. Aber auch Medienbeobachter können etwas von Jonas Frickers Verhalten lernen. Bleiben wir uns auch in heikeln Situationen unseren Werten treu. Wir müssen nach Fehlern nicht die Segel streichen. Doch lohnt es sich, den Mediendruck zu reduzieren und Medienauftritte zu nutzen.

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