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Der Vorsitzende der Freien Demokraten ist zweifelsohne ein begnadeter
Redner. Er versteht es, seine Auftritte den Situationen anzupassen.
Heute hat er sich hinsichtlich Streitlust und Polemik deutlich
gemässigt. Wenn er früher persönlich angegriffen wurde,
scheute er harte Gegenangriffe nicht. Im Angriffsmodus sind seine
zusammengekniffenen Lippen nur noch ein Strich. Beispielsweise ,
als er sagte: "Herr Kollege, sind Sie sich bewusst, welchen Eindruck
so ein dümmlicher Zwischenruf, wie ihrer, auf irgendeinen
gründungswilligen jungen Menschen macht?"
Lindner hat sich inzwischen gewandelt. Er weiss, dass Polemik im Uebermass
vom Publikum nicht mehr geschätzt wird.
Die Stimme des Parteivorsitzenden klingt sonorer. Gegenüber
früher senkt er die Stimme konsequent am Satzende. Die Aussage hat
dadurch mehr Bodenhaftung und wirkt glaubwürdiger. So gelingt ihm
auch die richtige Pausentechnik. Die Sprechpausen sind der Parameter
der Glaubwürdigkeit. Ferner formuliert Lindner heute viel
kürzere Sätze, was souveräner wirkt. Die Aussage wird
dadurch besser verstanden. Was Lindners Redekunst vor allem auszeichnet:
Er spricht Klartext, wirkt stets authentisch und ist von dem, was er
sagt überzeugt.
Zur Zeit sind alle Augen auf Christian Lindner gerichtet, den
brillanten, smarten Redner mit Fünftagebart. Als der FDP-Chef
in der Bundestagswahl das zweitbeste Resultat in der Geschichte seiner
Partei einfuhr - 11,5 Prozent Stimmenanteil, ein Plus von 0,7 Punkten -,
gab sich Lindner viel staatsmännischer.
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Die politische DNA Lindners und seine Positionierung
"Was wir anstreben, ist eine Koalition der Mitte, die den Wert der
Freiheit wieder respektiert." Wie schon 2017 gelte auch heute, dass die
FDP einen "Drift nach links" verhindern wolle.
Immer wieder hat Lindner seine Forderungen wiederholt, auch nach den
Wahlen. Er sei nur bereit für "eine Regierung der Mitte", in der
es keine Steuererhöhung und kein Aufweichen der Schuldenbremse
geben werde. Nach den ersten Hochrechnungen am Wahlabend brachte Lindner
bereits seine Wunschkoalition auf den Punkt: Die FDP habe zur Union die
grösste inhaltliche Nähe.
Lindner wiederholt mehrfach seine kritische Haltung gegenüber der
SPD und den Grünen, mit denen die Liberalen möglicherweise eine
sogenannte Ampelkoalition (rot-gelb-grün) bilden könnten. Er
warnte davor, dass die beiden Parteien für eine Koalition mit der
Linken "sperrangelweit offen" seien. Lindner gilt als wirtschaftsnah.
2017 lehnte Lindner eineKoalition ab und rechtfertigte sich: "Es ist
besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren". Damals liess er nach
wochenlangen Gesprächen über ein mögliches Bündnis mit
den Konservativen von CDU/CSU und den Grünen die Verhandlungen
platzen. Gegen Lindner als "Spielverderber" hagelte es damals
harsche Kritik. Es kam zur Bildung der Koalition von Konservativen und
Sozialdemokraten. 2021 ist nun wieder das, was schon einmal war. Diesmal
kann es sich Lindner nicht mehr leisten, die Koalitonsverhandlungen
platzen zu lassen. Die FDP spielt erneut eine massgebliche Rolle
als "Königsmacher" . Diese Rolle geniesst Christian Lindner
offensichtlich. In der heutigen Situation hat er wiederholt betont,
am liebsten mit CDU/CSU regieren zu wollen. Eine solche Mehrheit ist
aber sehr unwahrscheinlich. Lindner hat heute gute Kontakte zu den
Sozialdemokraten und den Grünen. Ihm wird nachgesagt, in einer
Regierung das Amt des Finanzministers anzustreben. Das zeigt sich auch
bei den Koalitionsverhandlungen. Wenn die FDP regieren will, muss sie
einknicken. Ohne schmerzhafte Kompromisse kann sie nicht mitregieren.
Wir dürfen nicht vergessen: Ein Ministerposten ist attraktiv und
Ministern blühen Privilegien. Wussten Sie, dass ein Minister
gleichsam mit dem Posten das grosse Los gezogen hat? Er hat Anrecht auf:
- Gehalt und Kostenpauschale (steuerfrei)
- Freifahrten und Zuschüsse (Nutzung aller staatlichen Verkehrsmittel
frei- auch für private Reisen)
- Zuschüsse zu Versicherungen
- Vergünstigungen beim Autokauf
- Grosszügige Uebergangsregelungen und Altersversorgung.
- Wichtig sind auch die vielen Kontakte für künftige Zeiten,
nach dem Regierungsamt.
Beispiel eines Auftrittes Lindners vor Journalisten während der
Koalitionsgespräche: (- = Sprechpause)
"Zweifellos sind die Grünen und die FDP die politischen Kräfte,
dies sich am stärksten gegen den Status Quo gewandt haben. -
Wir fühlen uns gemeinsam beauftragt, in Deutschland einen
neuen Aufbruch zu organisieren. - Fraglos - Wir haben den Status Quo
der vergangenen Jahre aus unterschiedlichen Perspektiven bewertet und
kritisiert. - Deshalb führen wir jetzt Gespräche darüber,
wie gemeinsame das Trennende überwunden werden kann, - welche
Brücken gebaut werden können. - Im Bereich des Klimaschutzes
oder im Bereich der Finanzen - gibt es zweifelsohne Unterschiede. -
Und jetzt geht es darum,- diese Brücken zu suchen. - Der Prozess
hat heute in einer guten Atmosphäre der Wärme begonnen. - Er
ist allerdings nicht abgeschlossen. - Wir spüren, - dass alleine
die Art und Weise, - dass und wie wir miteinander sprechen, - wie wir
um Lösungen in einer vertrauensvollen Atmosphäre bemühen,
-- für viele Menschen Anlass zu Hoffnungen und Motivation ist."
Analyse:
Lindner spricht frei, druckreif. Er formuliert klar und deutich. Die
Aussage ist sauber strukturiert. Sie wird gut verstanden. Die Gedanken
werden portioniert. Sprechpausen sind gut erkennbar. Er betont stets
das Wort GEMEINSAM. Inhaltlich sagt er nichts Neues. Lindner versteht
es, einen kargen Inhalt wortreich darzulegen. Das beeindruckt. Aber auf
den Punkt gebracht, sagt er lediglich: "Wir versuchen Brücken zu
bauen zwischen den unterschiedlichen Ansichten von GRUEN und GELB. Wir
bemühten uns bis jetzt, in einer guten Atmosphäre Lösungen
zu finden."
Er ist ein Politiker, der Auftritte geniesst.
Prognose: Eine fast unmögliche Koalition zwischen Grünen und
FDP ist wahrscheinlich, obwohl sie das Gegenteil wollen, z.B. Grüne
mehr Staat, FDP weniger. Aber da es um Macht geht, werden sie Brücken
zu einander finden.