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www.rhetorik.ch aktuell: (12. Okt, 2021)

Christian Lindner, der Macher

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Der Vorsitzende der Freien Demokraten ist zweifelsohne ein begnadeter Redner. Er versteht es, seine Auftritte den Situationen anzupassen. Heute hat er sich hinsichtlich Streitlust und Polemik deutlich gemässigt. Wenn er früher persönlich angegriffen wurde, scheute er harte Gegenangriffe nicht. Im Angriffsmodus sind seine zusammengekniffenen Lippen nur noch ein Strich. Beispielsweise , als er sagte: "Herr Kollege, sind Sie sich bewusst, welchen Eindruck so ein dümmlicher Zwischenruf, wie ihrer, auf irgendeinen gründungswilligen jungen Menschen macht?"

Lindner hat sich inzwischen gewandelt. Er weiss, dass Polemik im Uebermass vom Publikum nicht mehr geschätzt wird.

Die Stimme des Parteivorsitzenden klingt sonorer. Gegenüber früher senkt er die Stimme konsequent am Satzende. Die Aussage hat dadurch mehr Bodenhaftung und wirkt glaubwürdiger. So gelingt ihm auch die richtige Pausentechnik. Die Sprechpausen sind der Parameter der Glaubwürdigkeit. Ferner formuliert Lindner heute viel kürzere Sätze, was souveräner wirkt. Die Aussage wird dadurch besser verstanden. Was Lindners Redekunst vor allem auszeichnet: Er spricht Klartext, wirkt stets authentisch und ist von dem, was er sagt überzeugt.

Zur Zeit sind alle Augen auf Christian Lindner gerichtet, den brillanten, smarten Redner mit Fünftagebart. Als der FDP-Chef in der Bundestagswahl das zweitbeste Resultat in der Geschichte seiner Partei einfuhr - 11,5 Prozent Stimmenanteil, ein Plus von 0,7 Punkten -, gab sich Lindner viel staatsmännischer.


Die politische DNA Lindners und seine Positionierung

"Was wir anstreben, ist eine Koalition der Mitte, die den Wert der Freiheit wieder respektiert." Wie schon 2017 gelte auch heute, dass die FDP einen "Drift nach links" verhindern wolle.
Immer wieder hat Lindner seine Forderungen wiederholt, auch nach den Wahlen. Er sei nur bereit für "eine Regierung der Mitte", in der es keine Steuererhöhung und kein Aufweichen der Schuldenbremse geben werde. Nach den ersten Hochrechnungen am Wahlabend brachte Lindner bereits seine Wunschkoalition auf den Punkt: Die FDP habe zur Union die grösste inhaltliche Nähe.
Lindner wiederholt mehrfach seine kritische Haltung gegenüber der SPD und den Grünen, mit denen die Liberalen möglicherweise eine sogenannte Ampelkoalition (rot-gelb-grün) bilden könnten. Er warnte davor, dass die beiden Parteien für eine Koalition mit der Linken "sperrangelweit offen" seien. Lindner gilt als wirtschaftsnah.
2017 lehnte Lindner eineKoalition ab und rechtfertigte sich: "Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren". Damals liess er nach wochenlangen Gesprächen über ein mögliches Bündnis mit den Konservativen von CDU/CSU und den Grünen die Verhandlungen platzen. Gegen Lindner als "Spielverderber" hagelte es damals harsche Kritik. Es kam zur Bildung der Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten. 2021 ist nun wieder das, was schon einmal war. Diesmal kann es sich Lindner nicht mehr leisten, die Koalitonsverhandlungen platzen zu lassen. Die FDP spielt erneut eine massgebliche Rolle als "Königsmacher" . Diese Rolle geniesst Christian Lindner offensichtlich. In der heutigen Situation hat er wiederholt betont, am liebsten mit CDU/CSU regieren zu wollen. Eine solche Mehrheit ist aber sehr unwahrscheinlich. Lindner hat heute gute Kontakte zu den Sozialdemokraten und den Grünen. Ihm wird nachgesagt, in einer Regierung das Amt des Finanzministers anzustreben. Das zeigt sich auch bei den Koalitionsverhandlungen. Wenn die FDP regieren will, muss sie einknicken. Ohne schmerzhafte Kompromisse kann sie nicht mitregieren. Wir dürfen nicht vergessen: Ein Ministerposten ist attraktiv und Ministern blühen Privilegien. Wussten Sie, dass ein Minister gleichsam mit dem Posten das grosse Los gezogen hat? Er hat Anrecht auf: Beispiel eines Auftrittes Lindners vor Journalisten während der Koalitionsgespräche: (- = Sprechpause)

"Zweifellos sind die Grünen und die FDP die politischen Kräfte, dies sich am stärksten gegen den Status Quo gewandt haben. - Wir fühlen uns gemeinsam beauftragt, in Deutschland einen neuen Aufbruch zu organisieren. - Fraglos - Wir haben den Status Quo der vergangenen Jahre aus unterschiedlichen Perspektiven bewertet und kritisiert. - Deshalb führen wir jetzt Gespräche darüber, wie gemeinsame das Trennende überwunden werden kann, - welche Brücken gebaut werden können. - Im Bereich des Klimaschutzes oder im Bereich der Finanzen - gibt es zweifelsohne Unterschiede. - Und jetzt geht es darum,- diese Brücken zu suchen. - Der Prozess hat heute in einer guten Atmosphäre der Wärme begonnen. - Er ist allerdings nicht abgeschlossen. - Wir spüren, - dass alleine die Art und Weise, - dass und wie wir miteinander sprechen, - wie wir um Lösungen in einer vertrauensvollen Atmosphäre bemühen, -- für viele Menschen Anlass zu Hoffnungen und Motivation ist."
Analyse: Lindner spricht frei, druckreif. Er formuliert klar und deutich. Die Aussage ist sauber strukturiert. Sie wird gut verstanden. Die Gedanken werden portioniert. Sprechpausen sind gut erkennbar. Er betont stets das Wort GEMEINSAM. Inhaltlich sagt er nichts Neues. Lindner versteht es, einen kargen Inhalt wortreich darzulegen. Das beeindruckt. Aber auf den Punkt gebracht, sagt er lediglich: "Wir versuchen Brücken zu bauen zwischen den unterschiedlichen Ansichten von GRUEN und GELB. Wir bemühten uns bis jetzt, in einer guten Atmosphäre Lösungen zu finden." Er ist ein Politiker, der Auftritte geniesst. Prognose: Eine fast unmögliche Koalition zwischen Grünen und FDP ist wahrscheinlich, obwohl sie das Gegenteil wollen, z.B. Grüne mehr Staat, FDP weniger. Aber da es um Macht geht, werden sie Brücken zu einander finden.

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