Wieviele missliebige Meinungen sind tragbar?
In Deutschland kennen wir die Debatte, ob AfD-Mitgliedern
das Wort verweigert werden kann, nur weil ihre Meinung als extrem
empfunden wird. Sandra Maischberger oder Anne Will klammern jedenfalls
die AfD bei Gesprächen weitgehend aus. Diese Willkür kommt
in der Öffentlichkeit nicht gut an, zumal die AfD gleichsam zu
einer Volkspartei aufgestiegen ist - 12 Prozent - und ihr daher keine
Maulkörbe verpasst werden dürften.
Die Demokratie lebt bekanntlich vom Austausch "Meinung - Gegenmeinung".
Jeder, der sich für Dialoge stark macht und Kommunikationsprozesse
ernst nimmt, lässt auch missliebige Meinungen zu. Ausnahme: Wenn
jemand gegen festgelegte rechtliche Bestimmungen verstösst.
In der Schweiz wurde nach der jüngsten "SRF Club"-Sendung
darüber debattiert, wieviel Raum das Fernsehen den Corona-Skeptikern
geben darf (persoenlich.com berichtete).
Die Diskussion über den Umgang mit Randpositionen läuft
derzeit unter dem Titel "False Balance". Die Auswahl der Gäste
wurde beanstandet und der Tagesanzeiger stellte sogar im Titel seiner
Analyse die Grundsatzfrage: Sollten Medien mit Corona-Skeptikern reden?
Das Dilemma
Auf der einen Seite ist die Meinungsfreiheit hochzuhalten und Moderatoren
sind verpflichtet "moderat", unparteiisch, ausgewogen zu moderieren. Sie
dürfen bei der Auswahl der Gäste nicht manipulieren und
missliebige Meinungen haben sie zu erdulden.
Auf der anderen Seite gibt es die Forderung, dass die Gästeauswahl
die realen Verhältnisse abbilden sollte. Es liegt an der Einstellung
von Journalisten, ob eine Diskussion ausgewogen (ausbalanciert), fair
und dennoch hart geführt wird. Moderieren ist und bleibt eine
Königsdisziplin. Es war noch nie einfach, ein Thema hart aber fair
zu diskutieren.
Bei der Auswahl der umstrittenen jüngsten "Club"-Sendung
wurde beanstandet, dass die beiden Moderatoren Sandro Brotz und
Barbara Lüthi drei Gäste ins Studio eingeladen hatten,
die den Coronamassnahmen kritisch gegenüber standen (Michael
Bubendorf, Priska Würgler und Reto Brennwald). Auf der Seite der
Befürworter hingegen nur zwei Vertreter debattieren durften (Manuel
Battegay und Alain Schnegg).
Wegen dieser anscheinend zahlenmässigen Ungleichheit kann dem
Moderatorenteam kein Vorwurf gemacht werden. Denn es standen im Grunde
genommen zwei Befürwortern zwei Gegner gegenüber. Reto Brennwald
wurde als Autor eines Dokumentarfilmes zur Thematik vorgestellt. Obschon
er persönlich gewisse Massnahmen auch kritisch betrachtet, empfand
ich ihn als neutral, weil er vor allem eine Aussensicht vertrat.
Es ist ein heikles Unterfangen, wenn Teilnehmer an einer Debatte
proportional zur angeblichen Meinung eingeladen werden müssen. In
jedem Duell hat die Minderheitsmeinung meist einen Vorteil. Würde das
Fernsehen bei einer Diskussion über ein Volkseinkommen debattieren
und deshalb nur einen Befürworter und drei Gegner einladen - weil
die Programmverantwortlichen glauben, dass nur wenige das Anliegen
unterstützen - so würde dies sehr manipulativ wirken.
Wer müsste entscheiden, welche Meinung wie stark vertreten ist?
Oder: Welche Seite verbreitet angeblich falsche Argumente?
Bis anhin hat sich die Arena stets an den bewährten Modus gehalten:
Gleich viele Gegner und gleich viele Befürworter kreuzen die Klinge.
Hat tatsächlich das Moderatorenduo im "Club" versagt?
Im Gegenteil: Wir müssen dem Duo Lüthi/Brotz Lob zollen. Es ist
den beiden gelungen, als Brückenbauer ihr Ziel zu erreichen. Beide
Seiten hat das Duo zu Wort kommen lassen und es moderierte ausgewogen.
Auf beiden Seiten standen sich medienrhetorisch gute Debattierer
gegenüber. Das Duo liess missliebige Voten zu und hinterfragte
beide Seiten, soweit dies in einer Live-Sendung möglich ist.
Wussten Sie, dass es eine Manipulationsmöglichkeit gibt, die kaum
jemand erkennt und sie auch nicht nachgewiesen werden kann?
Wenn eine verantwortliche Moderatorin einstellungsmässig auf einer
der Seite steht, kann sie die Sendung völlig korrekt, moderat
und neutral moderieren, bietet aber bei der Auswahl der Diskutanten
auf der einen Seite zwei brillante Redner auf und auf der anderen zwei
schwache Figuren. Diese versteckte Manipulation lässt sich kaum
nachweisen. Sie ist aber äusserst nachhaltig.
Wir sehen: Letztlich steht und fällt die Ausgewogenheit mit der
Kompetenz und Korrektheit der Journalistinnen und Journalisten. Es ist
deshalb wichtig, dass jedes Journalistenteam hinsichtlich politischer
Gesinnung möglichst pluralistisch zusammengesetzt ist.