Worte sind nicht nur Etiketten auf Dingen. Worte schaffen
Wirklichkeiten. Sie beeinflussen, motivieren, überzeugen. Das
Rahmenabkommen mit der Europäischen Union wird von Befürwortern
als "Freundschaftsvertrag" oder "Schlüsselabkommen" bezeichnet,
die Gegner nennen es "Knebelvertrag". Die Absicht beider Seiten
ist offensichtlich. Vor allem, wenn Worte Bilder wecken, sind
sie wirkungsvoll. Gegner bezeichnen Kernkraftwerke stets als
"Atomkraftwerke". Das Wort assoziiert: Gefährliche Atombombe. Die
Befürworter benutzen hingegen das Wort "Kernenergie". Dieser Begriff
soll das Bild einer positiven Energie vermitteln.
Werbung und Marketing nutzen seit je die Kraft von Worten. Achten Sie
einmal gezielt auf die Wortwahl. Sie werden rasch fündig. Wenn wir
einen Pinot noir trinken, schmeckt er zwar nach Wein, aber der Geschmack
bleibt vage. Werden wir jedoch an einer Degustation darauf aufmerksam
gemacht, dass der Tropfen beim Abgang einen Hauch von Pfirsich hat,
können die meisten diese Wahrnehmung nachvollziehen. Ein Wort ist
somit nicht nur ein Wort, nicht nur Schall und Rauch. Worte müssen
ernst genommen werden. Sie bewirken etwas.
Bei der Corona-Pandemie ist die suggestive Wirkung von Worten ebenfalls
offensichtlich. Besonders wenn Begriffe oder Argumente wiederholt und
mit entsprechenden Bildern im Gehirn verankert werden ("Coronalüge",
stündliche Wiederholung der Toten im Radio oder die Publikation der
Aufnahme der dunklen Lastwagenkolonne mit Leichen in Italien).
Rupert Lay,
Jesuit und Autor zahlreicher Bücher, wies in einem unserer
Seminare auf die Interaktion zwischen Wort und Einstellung hin. Wenn
beispielsweise Knaben Mädchen gegenüber ständig abwertende
oder verletzende Bemerkungen äussern, folgt bald auch entsprechendes
Verhalten, weil Worte unsere Einstellung prägen.
Versuche mit Schulklassen, bei denen im Schulhaus keine verletzenden
Bemerkungen mehr geduldet wurden, zeigten deutlich weniger Gewalttaten.
Trotz der Begründung der Jugendlichen: "Wissen Sie, diese
Sprüche sind ja gar nicht so gemeint. Jugendliche sprechen
heute so. Leben Sie in einer Welt von gestern?", verlangten die
Lehrkräfte konsequent, Worte ernst, gleichsam wortwörtlich,
zu nehmen. Erstaunlicherweise wurde in Klassen, die keine Schimpfworte
äussern durften, erkannt: Es gibt tatsächlich eine Verbindung
zwischen Wortwahl und Verhalten. Selbstverständlich prägen
und beeinflussen auch Farben, Gerüche, Musik und Stimmen (siehe
auch Blog-Beitrag vom 21. Januar 2020).
Wer sich mit Kommunikation und Rhetorik beschäftigt, sollte sich
unbedingt mit der manipulativen Kraft der Worte auseinandersetzen. In
meinem Studium wurde mir beim Modul "Autogenes Training" bewusst, dass bei
der Kombination von Wort-Bild-Stimmfarbe und erzählenden Elementen
die Worte suggestive Kraft entwickeln. Ich bin beim Coaching meist
in wenigen Minuten eingeschlafen, was nicht der Zweck der Übung
war. Die leise sonore Stimme trug viel dazu bei, mit Formulierungen
wie: "Sie liegen an einem ruhigen See und spüren die warmen
Sonnenstrahlen auf der Haut - dunkle Tannen spiegeln sich auf der
ruhigen Wasseroberfläche - Alles ist still - völlige Ruhe -
Sie atmen langsam ein und aus - es riecht nach Moos und Harz - Ruhe -
wohlige Wärme"
Die Psychoanalytikerin
Virginia Satir
(1916-1988) brachte es auf den
Punkt, als sie schrieb: "Worte haben keine Energie, solange sie nicht
ein Bild auslösen." Machen wir uns bewusst, die Kraft der Worte kann
auch missbraucht werden. So wie ein Arzt die Wirkung starker Medikamente
kennt und damit immer verantwortungsvoll umgehen muss, gilt es auch
mit Worten stets bedacht umzugehen. Überall: In der Erziehung,
in der Politik. Auch in den Medien dürfen wir diese manipulative
Kraft nie missbrauchen.
Zum Schluss ein treffender Gedanke von
Eugen Drewermann:
"Um einen Stein zu zertrümmern, braucht man einen Hammer, aber um eine kostbare
Vase zu zerbrechen, genügt eine flüchtige Bewegung, und um
das Herz eines Menschen zu treffen, genügt oft ein einziges Wort."