Die wichtige Fernsehdebatte zwischen Donald Trump und Joe Biden
in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurde zum Spektakel und
spannenden Medien-highlight. Das TV-Duell ist an Bedeutung nicht
zu unterschätzen. Zusätzlich angeheizt wurde es durch den
erbitterten Streit um die Neubesetzung der Richterstelle am Obersten
US-Gericht und Trumps fragwürdige Steuernabgaben. Folgende Fragen
beschäftigten mich: Wer punktet mehr? Wer überzeugt besser?
Wer wirkt glaubwürdiger, kompetenter? Wer findet die Balance
zwischen agressiv und präsidial? Wird sich - wie Trump dem Moderator
unterstellte - der Gesprächsleiter parteiisch verhalten?
Um es zusammenzufassen:
Trump bleibt Trump. Er nutzt im Duell die Unterbrechungstaktik. Biden
versucht Angriffe wegzulächeln, lässt sich aber provozieren.
Sehr schnell haben auch die Komedianten die Debatte aufgenommen.
Hier ist Weird Al.
Die erste Debatte zwischen Trump und Biden wurde von Wallace
moderiert, der Schwierigkeiten hatte den Dompteur zu spielen.
Auf 20 Min gibt Thomas Jaeger Tump 5 Punkte, Biden 4 Punkte, meint aber "Das war
fürchterlich. Bei einer CBS Blictzumfrage meinten 48 der Befragten, Biden sei der Gewinner,
41 Prozent Trump, 10 Prozent unentschieden. Nach CNN sahen 60 Prozent Biden vorne.
IM Blick: Totales Chaos bei TV-Debatte.
Spiegel:Wallace erntet Spott in den sozialen Medien. Die Performance des Moderators rufe ins Gedächtnis, dass Kita-Kräfte
unterbezahlt seien, heisst es in einem Tweet der Comedy-Sendung "The Daily Show".
Die Debatte war auch in der Schweiz Live zu sehen
Live. Unten ist eine detailliertere Analyse. Zuerst ein Gedicht von Peter Doerig:
Unfaire Gesellen
Zum Fernsehduell Trump/Biden vom 29. September
Sie schwatzen drein, beschimpfen sich,
benehmen sich gar fürchterlich,
die alten Männer am TV,
Donald and Joe, dies ganz genau.
Was soll die Jugend davon halten,
wenn sich Grossväter so verhalten,
ist das des Wahlkampfs letzter Schluss,
dass man sich so beschimpfen muss?
God bless America sie sagen
und gehen tüchtig an den Kragen
dem andern, ohne sich zu kümmern,
dass viele Leute dabei wimmern.
Peter Dörig
Schaffhausen
Der Rhetorik kommt während der Corona-Pandamie eine besondere
Bedeutung zu. Fernsehduelle haben derzeit auch einen besonderen
Stellenwert. Es geht vor allem um das Visuelle und #Wie" kommuniziert
wird, auch um die Kraft, die ein Kandidat ausstrahlt. Für Biden
war die Coronakrise gleichsam ein Geschenk. Da er Auftritte (freies
Reden ohne Telepromter) meidet, konnte er den aktuellen Wahlkampf vor
dem 1. Duell im Schonprogramm führen. Es musste sich dann aber
fürs Duell umso härter vorbereiten.
Traditionelle Wahlkampfmethoden funktionieren dieses Jahr nicht.
Weil es den Kandidaten unmöglich ist, vor Tausenden von Menschen
aufzutreten, wirkte dieses Jahr vor allem die Wahlkampfkommunikation
online der beiden Kontrahenden. Biden wurde bei seinen Auftritten von
seinem Haus aus als #authentischer" empfunden, als jene des Amtsinhabers
Trump, der meist aus dem weissen Haus verlauten liess. Trump profitiert
seit Jahren von seinen ungezählten Twitter-Accounts. Die Tweets
mit den kurzen, pointierten Sätzen ("Fake News, America First")
sind seine politische Waffe. Sie ist eindruckssvoller als die
gemässigteren Aussagen Bidens. Vorurteile haben die Meinung der
Medienkonsumenten schon vor dem Schlagabtausch beeinflusst. Provokateur
Donald Trump gilt generell als unberechenbar und egozentrisch. Die
Meinung war verbreitet, er habe bei der Coronakrise und bei der Gewalt
in amerikanischen Städten versagt.
Nach einem Aussetzer in einer Rede wurde an Joe Bidens geistiger Fitness
gezweifelt. Obwohl Biden in einer Ansprache alles vom Teleprompter
ablesen konnte, verlor er plötzlich komplett den Faden. Er sagte
einige Sätze, die keinen Sinn ergaben.
Der erste Eindruck prägt
Bei Debatten sind Stimmungen und Details vor einem Millionenpublikum
sehr wichtig. Auch bei diesem TV-Duell. Das Begrüssungsritual war
aufschlussreich. Trump inszenierte sich einmal mehr bei der Begegnung
mit Biden als "Alphatier". Er kennt instinktiv dominantes Verhalten. Auf
das Ritual mit dem Handschlag mussten beide verzichten. Trump schritt
staatsmännisch und ruhig zum Rednerpult. Er ignorierte Biden. Dieser
begrüsste den Gegner mit einem Lächeln und Fäusten,
als wolle er sagen: "Ich verstehe heute, Dich zu schlagen!"
Trump verdankt seinen Erfolg der Körpersprache. Die grossen
ausladenden Gesten (mit grosser Amplitude), die oft gekoppelt mit
schnellen Bewegungen (hoher Frequenz) - im Duell sprach er im Duell
meist mit der rechten Hand, mit offender Handfläche, als wolle er
Bidens Aussagen wegschneiden. Obwohl der ausgestreckte Zeigefinger als
Schulmeistergeste verpönt ist, nutzte Trump sie - wohl bewusst -
als Achtungs- und Aufmerksamkeitsgeste. Trump signalisierte mit seiner
populären Sprache: Ich bin einer von Euch (am Biertisch). Viele
Politiker sind sich dessen nicht bewusst, dass Perfektion sogar Aggression
auslösen kann. Aufschlussreich waren bei Trump Haltung und Mimik. Er
kniff oft die Augen zusammen, als würde er geblendet. Damit
schwächte er die Verbindung zum Gegenüber. (Der Blick ist
die Nabelschnur der Kommunikation). Biden wich mit dem Blick oft Trump
aus und blickte bewusst zur Kamera, wohl antrainiert. Wahrscheinlich
wurde ihm gesagt: #Wer in die Kamera blickt, spricht das Publikum an".
Bidens Gestik war gemässigter. Die Mundwinkel zog Trump vielfach nach unten.
Kabarettisten können Trump leicht immitieren, dank seiner Haltung mit dem seitlich
abgeknickten Kopf, den gefärbten Haaren, dem unatürlich
gelb-roten Gesicht. Bei seinen zum Schmollmund geschürzten Lippen
hat man immer das Gefühl, Trump signalisiere: Ich möchte
andere Aussagen gar nicht hören.
Trumps krasse Unterbrechungstaktik
Trump versuchte ständig - mit Unterbrechungen - Biden zu
destabilisieren. Oft sprachen beide gleichzeitig. Damit gelang es Trump,
die Aussagen des Gegners zu killen. Denn beim Durcheinanderreden verstehen
die Medienkonsumenten nichts. Der Moderator, der auch unterbrochen wurde,
musste sich sogar wehren: "Ich bin hier der Moderator!" Die bewusst
Unterbrechnungstaktik zeigte nach kurzer Zeit Wirkung. Sie vermochte
Biden offensichlich zu irritieren. Biden sagte entnervt: "Würdest
Du bitte die Klappe halten?" später sogar: "Mit diesem Clown kann
man nicht diskutieren!" Damit verlor Biden wertvolle Punkte. Denn in
Stressstituationen gilt immer: Ruhe bewahren! Biden versuchte ansonsten
die Provokationen wegzulächeln (wurde wohl vom Coach empfohlen).
Er bemühte sich. bewusst staatsmännisch zu bleiben. Biden war
aber nicht mehr wie in früheren Gesprächen, der alternde
Gentleman. Man merkte deutlich, dass er lange auf Angriff gecoacht
worden sein muss. Wie ein guter fleissiger Schüler und befolgte
die Anweisungen (wie er zu kontern habe, wann er in die Kamera schauen
soll und dass er sich nie provozieren lassen dürfe). Biden dachte
mir während des Sprechens zu viel an das, was ihm beigebracht
wurde. Das ist nie gut. Die Rolle des kämpferischen Politveteranen
liegt Biden nicht. Wirkungsmässig kam er dadurch nicht so gut
weg. Zu verbraucht? Ausgebrannt? Die Emotionen passten jedenfalls
während der Debatte selten zu seinem üblichen Verhalten.
Wir fragen uns: Warum haben ihn überhaupt die Demokraten
aufgestellt? Fehlt es an jungen, unverbrauchten Kräften? Dennoch
werden ihn wahrscheinlich viele wählen, nur um Trump los zu werden.
Eindruck
Die Kleidersprache brachte keine Überraschung. Die Kontrahenden traten
beide in klassischem Dunkelblau auf. Trump mit gestreifter Kravatte (USA
Farben: rot/blau). Biden auch mit gestreifter Kravatte aber blau/weiss.
Im Gegensatz zur kraftvolleren Stimme Trumps wirkte Bidens Stimme weniger
griffig, gleichsam aufgeweicht. Ein Muster aus dem Wortgefecht. Trump
nutzte die Fragetechnik (Wer fragt, führt) und provoziert: "Hast du
dich gerade als Smart bezeichnet?" fragte Trump. Biden solle sich vor
ihm nie als smart bezeichnen, er habe schliesslich als Schlechtester in
seiner Klasse abgeschlossen. Biden lachte bewusst (wie antrainiert).
Ein Journalist fragte mich nach dem Duell, welchen Tip ich den Beiden
nach dem Duell mit auf den Weg geben würde. Da Trump sich bei
grossen Auftritten so wohl fühlt, dass er sich gerne verrennt,
würde ich ihm empfehlen, einen Hofnarren zu beschaffen, der ihm den
Spiegel vorhält. Dann müsste er sich selbst kritisieren. Ich
vermute jedoch, dass Trump beratungsresistent ist. Biden müsste
lernen, sich bei allen Auftritten von allen Nebengedanken zu entlasten,
damit er sich 100 prozentig nur auf das Gegenüber und das Denken
konzentrieren lernt.
Falls Trump in der Wahl unterliegt, ist noch nicht ersichtlich,
ob er die Niederlage akzeptieren würde. Schon 2016 hat er sich
geweigert, die Frage, ob er eine Niederlage respektieren werde, zu bejahen.
Der Auftritt 2020 hat gezeigt, dass Trump sich gesinnungsmässig
und rhetorisch wenig verändert hat. Biden hat zwar - gemäss
Umfragen - immer noch die Nase vorn. Doch befinden sich seine Zahlen
im leichten Sinkflug. Bei Trump ist auch weiterhin mit einigen
Ueberraschungen zu rechnen. Biden gelang es im Duell, die meisten
Ratschläge der Berater zu befolgen. Aber er liess sich provozieren.
Es fehlte anderseits auch der Befreiungsschlag Trumps. Seine penetrante
Unterbrechungsstrategie zu seinem Schutz kam gar nicht gut an. Das Rennen
ist somit weiterhin offen. Es gibt keinen Sieger. 2016 erhielt Trump
von vielen Wählern die Stimme, nur weil sie den Sieg von Hillary
Clinton verhindern wollten. 2020 könnte nun der profillose
Biden Stimmen viele erhalten, diesmal, nur um Trump zu entmachten. Der
Bevölkerung fehlt heute leider eine echte Auswahl.Sie kann wiederum
nur das geringere Uebel wählen. Medienpofi Trump wird weiterhin
mit Emotionen punkten. Vor allem, weil er selbst glaubt, was er sagt -
auch seine Fakes. Bei Kommunikationsprozessen beeindrucken in erste
Linie Persönlichkeiten mit Engagement. Wichtig ist nicht,
was gesagt wird, sondern WIE es gesagt wird. Ohne AusDRUCK kein
EinDruck.Trump war trotz rhetorischer Mängel in dieser Hinsicht im
Duell besser. Seine Anhängerschaft wird bestimmt auch künftig
alle Fakes des Präsidenten völlig ausblenden. Obwohl er weiter
gegen parteiische Moderatoren, gegen Medien und politisch Ueberkorrekte
wettern wird, bleiben ihm die Anhänger treu. Sie schätzen solche
Töne. Anderseits hätte Biden eine grosse Chance gehabt, nach
den vier Jahren, die von Narzissmus und Skandalen geprägt waren,
die Stimmung für sich mehr zu nutzen. Im Fernsehduell gelang ihm
dies leider zu wenig.
Wichtiger als auf Inhalte zu setzen (die dem Publikum bekannt sind),
ist es bei TV- Duellen, das Narrativ des Abends zu prägen. Auch da
punktete einmal mehr Trump. Er verstand es, seine alten Vorwürfe
auf einfache Art zu wiederholen, damit sie im Langzeitgedächtnis
der Wähler verankert bleiben. Schade, dass Biden die neuen
Streitpunkte - wie die Steuern Trumps - zu wenig hartnäckig
thematisiert hatte. Wir haben auch zu wenig erfahren, für was er
als Präsident konkret einstehen würde.