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Das Bundesgericht hat entschieden, dass
ein sexistisches Lied das die Politikerin Natalie Rickli
zum Thema hatte, keine sexuelle Belästigung sei. Es sei
zwar eine Üble Beschimpfung, eventuell verleumderisch aber
keine sexuelle Belästigung.
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20 Min:
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte die fünf an dem
Musikstück mitwirkenden Interpreten 2018 wegen Beschimpfung und
übler Nachrede zu bedingten Geldstrafen. Vom Vorwurf der sexuellen
Belästigung sprach das Obergericht die Betroffenen frei.
Damit gab sich die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern nicht
zufrieden: In ihrer Beschwerde ans Bundesgericht beantragte sie, die
fünf Musiker zusätzlich der Verleumdung und der sexuellen
Belästigung schuldig zu sprechen.
Nun hat das Bundesgericht die Beschwerde teilweise gutgeheissen. Das
Urteil wird ans Obergericht zurückgewiesen, wie einer
Medienmitteilung des Bundesgerichts zu entnehmen ist. Das Obergericht
werde prüfen müssen, ob anstatt des Tatbestandes der üblen
Nachrede derjenige der Verleumdung erfüllt sei.
Der Freispruch vom Vorwurf der sexuellen Belästigung hingegen
sei bundesrechtskonform und folglich nicht zu beanstanden. Die
Begründung: Der Tatbestand der sexuellen Belästigung setze
unter anderem eine "unmittelbare Wahrnehmung der Äusserungen durch
das Opfer" voraus. Eine gleichzeitige körperliche Präsenz des
Täters und des Opfers sei allerdings nicht zwingend erforderlich.
Im vorliegenden Fall stelle der Song "inhaltlich zweifellos einen
groben verbalen Angriff dar", räumen die Bundesrichter ein. Jedoch
hätten sich die Interpreten mit der Veröffentlichung des
Songs im Internet nicht direkt an Natalie Rickli, sondern an ein dieser
gegenüber kritisch eingestelltes Publikum gewandt.
Das Obergericht habe verbindlich festgestellt, dass die Beschuldigten zu
keinem Zeitpunkt versucht hätten, Natalie Rickli den Song bzw. das
Video zukommen zu lassen. Diese habe davon erst eineinhalb Jahre nach der
Veröffentlichung Kenntnis erhalten. Damit fehle es für eine
Verurteilung wegen sexueller Belästigung am dazu erforderlichen
Kriterium der unmittelbaren Wahrnehmung durch das Opfer.
Die von der SP in die GLP übergetretene Politikerin Chantal
Galladé findet das Urteil enttäuschend. Auf Twitter verschafft
sie ihrem Unmut Luft:
"Dieses Bundesgerichtsurteil ist ein Schlag ins Gesicht aller
Frauen. Für mich unverständlich und enttäuschend,
dass die üblen sexistischen Beleidigungen dieser
Rapper gegen Natalie Rickli keine sexuelle Belästigung sein sollen."
blick:
Urteil des Bundesgerichts Schmähsong gegen SVP-Rickli ist keine
sexuelle Belästigung Es ist ein Leiturteil: Die Rapper, die Natalie
Rickli in einem gewaltpornografischen Schmäh-Song attackierten,
werden nicht wegen sexueller Belästigung verurteilt.
Üble Beschimpfung, eventuell verleumderisch - aber keine sexuelle
Belästigung: Vor fünf Jahren stellten Rapper des Kollektiv
Chaostruppe aus dem Umfeld der Berner Reitschule den Song "Natalie Rikkli"
ins Internet. Sie beschimpften die damalige SVP-Nationalrätin
und heutige Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli (43) in
gewaltpornografischer Sprache.
Das Berner Obergericht verurteilte die fünf Rapper wegen
Beschimpfung und übler Nachrede, sprach sie aber vom Vorwurf der
sexuellen Belästigung frei. Die Staatsanwaltschaft zog das Urteil
ans Bundesgericht weiter.
Dieses musste nun in einem Präzedenz-Urteil entscheiden, was im Zeitalter der sozialen Medien
und der "Metoo"-Bewegung als sexuelle Belästigung gilt - und was
nicht. Gemäss Gesetz muss das Opfer eine sexuelle Belästigung
"unmittelbar wahrnehmen". Die höchsten Richter hatten also zu
entscheiden, was dies heutzutage bedeutet.
Und sie entschieden gegen Rickli und gegen alle Frauen, die künftig
einer solchen Art der Belästigung durch sexistische Rapper ausgesetzt
sind: Für eine Verurteilung wegen sexueller Belästigung fehle
eben das erforderliche Kriterium der unmittelbaren Wahrnehmung durch
das Opfer, heisst es im Verdikt.
Zwar urteilten die Richter, es handle sich "zweifellos um einen groben
verbalen Angriff". Auch sei eine körperliche Präsenz des
Täters und des Opfers für eine Verurteilung nicht zwingend
erforderlich.
Aber die Rapper hätten sich, so das Bundesgericht, mit der
Veröffentlichung des Songs im Internet nicht direkt an Natalie
Rickli gewandt, sondern an ein ihr gegenüber kritisch eingestelltes
Publikum. Die Rapper hätten zudem keine Bemühungen unternommen,
Rickli den Song zukommen zu lassen. Diese habe erst eineinhalb Jahre
nach der Veröffentlichung davon Kenntnis erhalten. 2016 wurde der
Schmähsong auf Ricklis Facebook-Konto gepostet.
Im Urteil des Berner Obergerichts heisst es als Begründung, wieso
die Rapper keine sexuellen Belästiger sind, wörtlich: "Ihr
(Natalie Rickli) stand es - im Gegensatz zu direkten Äusserungen
gegenüber einem anwesenden Opfer - offen, den Text anzuhören
bzw. zu lesen oder dies zu unterlassen."
Strafrechtsprofessor und SP-Ständerat
Daniel Jositsch kritisierte das Urteil im SonntagsBlick. Der
Tatbestand der "Sexuellen Belästigung" sei vom Gesetzgeber geschaffen
worden, als soziale Medien noch keine Rolle gespielt hätten. "Es
wäre daher ohne Probleme möglich, den geltenden Tatbestand
auch im Zusammenhang sozialer Medien auszulegen", so Jositsch.
Immerhin: Rickli konnte vor Bundesgericht einen kleinen Sieg gegen
die Sexisten-Rapper feiern. Die höchsten Richter verpflichten das
Berner Obergericht nochmals zu prüfen, ob anstatt des Tatbestandes
der üblen Nachrede derjenige der Verleumdung erfüllt ist.
"Natalie Rickli nimmt das Urteil des Bundesgerichts zur Kenntnis,
wird es aber nicht kommentieren", sagt ihr Sprecher Patrick Borer auf
BLICK-Anfrage. Grundsätzlich jedoch hoffe sie, dass die Musiker
zur Einsicht gelangen, dass es Grenzen gibt und sie ihre Lehren daraus
ziehen würden.