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www.rhetorik.ch aktuell: (20. Apr, 2019)

Rhetorischer Boxkampf

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Der Spiegel berichtet über einen Rhetorischen Zweikampf, der auf viel Interesse stiess: 3000 präsente Zuschauer und 6000 zahlende Internetzuschauer haben ein Rhetorik Duell zwischen Slavojv Zizek und Jordan Peterson verfolgt. Der Schlagabtausch fand in Toronto statt. Das Thema war ``Glueck: Kapitalismus gegen Marxismus".
Der Spiegel Artikel vergleicht den Schaukampf mit einem Boxkampf. Das Duell ist spannend. Die Redner gehen aufeinander ein, erzählen viele Annektoten.
  • Zum Beispiel die Geschichte vom Wissenschaftler Niels Bohr, der ein Hufeisen ueber der Tuer hat. Als er gefragt wurde, warum er das mache, er glaube ja nicht daran, meinte Bohr, dass er gehört habe, dass es funktioniere, auch wenn man nicht daran glaube.
  • Eine andere Allegorie: ein Bauer wird von einem Gottähnlichen Wesen versprochen, er könne sich jeden Wunsch erfüllen. Es gäbe nur eine Auflage: alles was er kriegt wird seinem Nachbarn zweimal gegeben. der Bauer sagt: nimm mir ein Auge raus.
Auf Youtube.
Marxist trifft auf rechten Vordenker, 3000 Zuschauer füllen die Ränge. Und dann das: Slavoj Zizek hat im Duell mit Jordan Peterson lächerlich leichtes Spiel. Protokoll einer rhetorischen Meisterleistung. In der linken Ecke also Slavojv Zizek, 70, der binnen 30 Jahren eine ganze Bibliothek mit Büchern über Marxismus, Ideologie, Postmoderne, Psychoanalyse, Romantik, Gewalt, Toleranz, Totalitarismus, Oper, Kino und Literatur gefüllt hat. In der rechten Ecke Jordan Peterson, 54, der ein Buch über die neurologische Konstruktion von Sinn und einen Lebensratgeber geschrieben hat. Im Vorfeld wurde dieser Witz von einer Diskussion als "Debatte des Jahrhunderts" annonciert. Wäre "Zizek vs. Peterson" ein Boxkampf, müsste er wegen mangelnder Fairness abgesagt werden. Überdies eint, bei allen Unterschieden, Zizek und Peterson die gleiche Skepsis in Fragen der Identitätspolitik, der LGBTQ-Bewegung und der Political Correctness. Worüber also streiten? Wenn Tickets für das 3000 Sitzplätze fassende Sony Centre von Toronto trotzdem binnen weniger Stunden ausverkauft waren und auf Ebay zuletzt für mehr als 1000 Dollar gehandelt wurden, wenn im Vorfeld an das legendäre Duell zwischen Noam Chomsky und Michel Foucault 1971 erinnert wurde und weltweit im Internet 6000 Menschen zuschauten (15 Dollar für den Stream), dann hat das ernste Gründe - und einen banalen Anlass. Peterson geht mit der Idee hausieren, die LGBT- und die MeToo-Bewegung sei eine marxistische Methode, die Fundamente der westlichen Kultur anzugreifen. Zizek konterte öffentlich, der kanadische Kollege sei da wohl einer Verschwörungstheorie der Alt-Right-Bewegung auf den Leim gegangen - als deren Stichwortgeber er gilt. Peterson forderte Zizek daraufhin zum Duell. Auf öffentlichen Spektakeln beruht sein Geschäftsmodell als konservativer Youtube- und Podcast-Influencer. Ein Auftritt mit dem einflussreichen Philosophen erschien ihm vermutlich als Win-Win-Situation. Thema des Schaukampfs: Wie steht es um das Glück des Menschen im Kapitalismus, wie im Marxismus; gemeint war vermutlich der Sozialismus, aber die kategoriale Verirrung wird sich als symptomatisch erweisen. Jeder Kontrahent darf 30 Minuten reden, dann zehn Minuten antworten - und sich am Ende einer offenen Diskussion von 45 Minuten stellen. Unter Verweis auf die astronomischen Ticketpreise freut sich Peterson gleich im ersten Satz, seine Karriere habe nun einen neuen Höhepunkt erreicht. Da steuert er schon ahnungslos auf ihren Tiefpunkt zu. In seinem Vortrag kapriziert er sich auf eine überraschend naive Kritik am "Kommunistischen Manifest", nichts weiter. Er will es als zentrale Handlungsanweisung des Marxismus gelesen haben. Im 170 Jahre alten Text findet Peterson "fast alle Ideen falsch". Klassenkämpfe hätten mit dem Kapitalismus nichts zu tun, Hierarchien gebe es auch im Tierreich "mindestens seit dem Paläolithikum". Als Kapitalist erreiche man nichts, indem man Menschen ausbeute. Gelächter im Publikum. Ein paar bei Ronald Reagan geborgte Gedanken und von Ayn Rand geliehene Argumente später ist selbst dem Laien klar, dass tatsächlich nichts mehr kommt - dass Jordan Peterson wirklich gar keine Ahnung hat, wovon er redet, wenn er sein angestammtes Feld der Psychologie verlässt. Zizek, der das wohl schon vorher wusste, schnieft und zauselt sich hastig durch sein übliches Bühnenprogramm. Eine Tour d'Horizon, die immer auch als Trailer und Teaser für seine Bücher dient. Glück ist für Idioten. Der angebliche Konservatismus von Donald Trump nur "postmoderne Performance". Identitätspolitik eine Lüge der Linken, ein "stilles Eingeständnis" ihrer Niederlage im eigentlichen Kampf. Utopisch sei nicht der Kommunismus. Sondern der Glaube, es könne so weitergehen wie bisher: "We are in a deep mess!" In krassem Kontrast zu Peterson bleibt Zizek konziliant. Nie wirkt er um den Eindruck bemüht, wirklich Bescheid zu wissen: "Hier sehe ich Probleme, aber ich sehe keinen einfachen Ausweg!". Er dämpft sogar den Jubel nach dem Ende seiner Rede: "Bitte, macht das nicht! Nehmt das nicht als billigen Wettbewerb hier", es gehe um "schreckliche Probleme". Die bekommt in der folgenden Fragerunde dann doch sein Kontrahent. Immerhin gilt es, etwas auszufechten. Zizek wundert sich über Petersons "dummen Optimismus", der sei doch eigentlich Sache der Marxisten. Dann will er gerne wissen, wer genau diese Marxisten sind, die Peterson hinter den Umtrieben neulinker Identitätspolitiker und LGBTQ-Aktivisten vermutet. Nichts. Peterson dreht an seinem Ehering. Jetzt leistet Zizek sogar Hilfestellung, nennt die Namen einiger randständiger Neomarxisten. Nichts. Peterson streichelt seinen verschlossenen Laptop, den er jetzt leider nicht aufklappen kann. Worauf ihm Zizek mit grausamer Eleganz den Knock-out versetzt: "Das ist keine rhetorische Frage, mit der ich freundlich impliziere, dass Sie ein Idiot sind und keine Ahnung haben, wovon Sie reden". Spätestens jetzt wissen die 3000 Menschen im Saal und die 6000 im Netz, spätestens jetzt dämmert auch Peterson, was er sich angemasst und dass er verloren hat. Er ist so eitel, mit dem Taschenmesser zu einem Artilleriegefecht zu erscheinen. Und spätestens jetzt rückt das gesetzte Thema des Abends vollends in den Hintergrund - zugunsten einer denkwürdigen Lektion in der Kunst, einen vernichtenden Sieg davonzutragen, ohne dem Gegner auch noch die Würde zu nehmen. Peterson rollt quasi auf den Rücken und fragt den "charismatischen, einnehmenden" Zizek, wozu er denn noch diesen dummen Marxismus nötig habe, wo er doch längst einen Zizekismus hätte begründen können. Zizek hilft ihm auf und räumt ein, dass Marx durchaus seine Fehler habe, er selbst sei eigentlich Hegelianer "and so on and so on". Sichtlich benommen darf Peterson sich berappeln und noch ein wenig Werbung für seine Bücher machen, während Zizek entspannt ein "Best Of" seiner berüchtigten "Witze" vom Stapel lässt, die beispielhaft seine Thesen illustrieren sollen. Nils Bohr und sein Glücksbringer. Die ideologische Funktion von Toiletten. Die heitere Anekdote aus der jugoslawischen Mangelwirtschaft. Nach drei Stunden ist auch ihre angebliche Übereinstimmung dahin. Peterson sucht und provoziert die Konfrontation mit den Verfechtern der Political Correctness, um erfolgreich in deren Gegenwind zu kreuzen. Darauf gründet seine Karriere und sein Ruhm in der Alt-Right-Bewegung. Zizek hingegen hat keine Interessen, er hat Anliegen. Den "hypermoralischen" Shitstorm empfindet er als irritierendes "Friendly Fire", das er als Linker mit sokratischem Lächeln auf sich nimmt. Ein unterhaltsames, vielleicht sogar heilsames Meisterstück.

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