Marxist trifft auf rechten Vordenker, 3000 Zuschauer füllen
die Ränge. Und dann das: Slavoj Zizek hat im Duell mit Jordan
Peterson lächerlich leichtes Spiel. Protokoll einer rhetorischen
Meisterleistung.
In der linken Ecke also Slavojv Zizek, 70, der binnen 30 Jahren eine ganze
Bibliothek mit Büchern über Marxismus, Ideologie, Postmoderne,
Psychoanalyse, Romantik, Gewalt, Toleranz, Totalitarismus, Oper, Kino
und Literatur gefüllt hat.
In der rechten Ecke Jordan Peterson, 54, der ein Buch
über die neurologische Konstruktion von Sinn und einen Lebensratgeber
geschrieben hat. Im Vorfeld wurde dieser Witz von einer Diskussion als
"Debatte des Jahrhunderts" annonciert.
Wäre "Zizek vs. Peterson" ein Boxkampf, müsste er wegen
mangelnder Fairness abgesagt werden. Überdies eint, bei allen
Unterschieden, Zizek und Peterson die gleiche Skepsis in Fragen
der Identitätspolitik, der LGBTQ-Bewegung und der Political
Correctness. Worüber also streiten?
Wenn Tickets für das 3000 Sitzplätze fassende Sony Centre von
Toronto trotzdem binnen weniger Stunden ausverkauft waren und auf Ebay
zuletzt für mehr als 1000 Dollar gehandelt wurden, wenn im Vorfeld
an das legendäre Duell zwischen Noam Chomsky und Michel Foucault
1971 erinnert wurde und weltweit im Internet 6000 Menschen zuschauten
(15 Dollar für den Stream), dann hat das ernste Gründe -
und einen banalen Anlass.
Peterson geht mit der Idee hausieren, die LGBT- und die MeToo-Bewegung
sei eine marxistische Methode, die Fundamente der westlichen Kultur
anzugreifen. Zizek konterte öffentlich, der kanadische Kollege sei
da wohl einer Verschwörungstheorie der Alt-Right-Bewegung auf den
Leim gegangen - als deren Stichwortgeber er gilt.
Peterson forderte Zizek daraufhin zum Duell. Auf öffentlichen
Spektakeln beruht sein Geschäftsmodell als konservativer Youtube-
und Podcast-Influencer. Ein Auftritt mit dem einflussreichen Philosophen
erschien ihm vermutlich als Win-Win-Situation.
Thema des Schaukampfs: Wie steht es um das Glück des Menschen im
Kapitalismus, wie im Marxismus; gemeint war vermutlich der Sozialismus,
aber die kategoriale Verirrung wird sich als symptomatisch erweisen.
Jeder Kontrahent darf 30 Minuten reden, dann zehn Minuten antworten -
und sich am Ende einer offenen Diskussion von 45 Minuten stellen.
Unter Verweis auf die astronomischen Ticketpreise freut
sich Peterson gleich im ersten Satz, seine Karriere habe nun einen
neuen Höhepunkt erreicht. Da steuert er schon ahnungslos auf ihren
Tiefpunkt zu.
In seinem Vortrag kapriziert er sich auf eine überraschend naive
Kritik am "Kommunistischen Manifest", nichts weiter. Er will es als
zentrale Handlungsanweisung des Marxismus gelesen haben. Im 170 Jahre
alten Text findet Peterson "fast alle Ideen falsch". Klassenkämpfe
hätten mit dem Kapitalismus nichts zu tun, Hierarchien gebe es auch
im Tierreich "mindestens seit dem Paläolithikum".
Als Kapitalist erreiche man nichts, indem man Menschen ausbeute.
Gelächter im Publikum.
Ein paar bei Ronald Reagan geborgte Gedanken und von Ayn Rand geliehene
Argumente später ist selbst dem Laien klar, dass tatsächlich
nichts mehr kommt - dass Jordan Peterson wirklich gar keine Ahnung
hat, wovon er redet, wenn er sein angestammtes Feld der Psychologie
verlässt.
Zizek, der das wohl schon vorher wusste, schnieft und zauselt sich hastig
durch sein übliches Bühnenprogramm. Eine Tour d'Horizon,
die immer auch als Trailer und Teaser für seine Bücher
dient. Glück ist für Idioten. Der angebliche Konservatismus von
Donald Trump nur "postmoderne Performance". Identitätspolitik eine
Lüge der Linken, ein "stilles Eingeständnis" ihrer Niederlage
im eigentlichen Kampf.
Utopisch sei nicht der Kommunismus. Sondern der Glaube, es könne
so weitergehen wie bisher: "We are in a deep mess!"
In krassem Kontrast zu Peterson bleibt Zizek konziliant. Nie wirkt er
um den Eindruck bemüht, wirklich Bescheid zu wissen: "Hier sehe
ich Probleme, aber ich sehe keinen einfachen Ausweg!".
Er dämpft sogar den Jubel nach dem Ende seiner Rede: "Bitte, macht
das nicht! Nehmt das nicht als billigen Wettbewerb hier", es gehe um
"schreckliche Probleme".
Die bekommt in der folgenden Fragerunde dann doch sein Kontrahent.
Immerhin gilt es, etwas auszufechten.
Zizek wundert sich über Petersons "dummen Optimismus", der sei
doch eigentlich Sache der Marxisten. Dann will er gerne wissen, wer
genau diese Marxisten sind, die Peterson hinter den Umtrieben neulinker
Identitätspolitiker und LGBTQ-Aktivisten vermutet. Nichts. Peterson
dreht an seinem Ehering.
Jetzt leistet Zizek sogar Hilfestellung, nennt die Namen einiger
randständiger Neomarxisten. Nichts. Peterson streichelt seinen
verschlossenen Laptop, den er jetzt leider nicht aufklappen kann. Worauf
ihm Zizek mit grausamer Eleganz den Knock-out versetzt: "Das ist keine
rhetorische Frage, mit der ich freundlich impliziere, dass Sie ein Idiot
sind und keine Ahnung haben, wovon Sie reden".
Spätestens jetzt wissen die 3000 Menschen im Saal und die 6000
im Netz, spätestens jetzt dämmert auch Peterson, was er sich
angemasst und dass er verloren hat. Er ist so eitel, mit dem Taschenmesser
zu einem Artilleriegefecht zu erscheinen.
Und spätestens jetzt rückt das gesetzte Thema des Abends
vollends in den Hintergrund - zugunsten einer denkwürdigen Lektion
in der Kunst, einen vernichtenden Sieg davonzutragen, ohne dem Gegner
auch noch die Würde zu nehmen.
Peterson rollt quasi auf den Rücken und fragt den "charismatischen,
einnehmenden" Zizek, wozu er denn noch diesen dummen Marxismus nötig
habe, wo er doch längst einen Zizekismus hätte begründen
können. Zizek hilft ihm auf und räumt ein, dass Marx durchaus
seine Fehler habe, er selbst sei eigentlich Hegelianer "and so on and
so on".
Sichtlich benommen darf Peterson sich berappeln und noch ein wenig
Werbung für seine Bücher machen, während Zizek entspannt
ein "Best Of" seiner berüchtigten "Witze" vom Stapel lässt,
die beispielhaft seine Thesen illustrieren sollen. Nils Bohr und sein
Glücksbringer. Die ideologische Funktion von Toiletten. Die heitere
Anekdote aus der jugoslawischen Mangelwirtschaft.
Nach drei Stunden ist auch ihre angebliche Übereinstimmung dahin.
Peterson sucht und provoziert die Konfrontation mit den Verfechtern
der Political Correctness, um erfolgreich in deren Gegenwind zu
kreuzen. Darauf gründet seine Karriere und sein Ruhm in der
Alt-Right-Bewegung.
Zizek hingegen hat keine Interessen, er hat Anliegen. Den
"hypermoralischen" Shitstorm empfindet er als irritierendes "Friendly
Fire", das er als Linker mit sokratischem Lächeln auf sich nimmt.
Ein unterhaltsames, vielleicht sogar heilsames Meisterstück.