In Bundesbern sind derzeit ungewohnt harte Worte zu vernehmen. Von
"Verrat", "Frechheit" und "Unterstellungen, die ich nicht akzeptiere"
ist die Rede. Der Gewerkschaftsbund (SGB) und Bundesrat Johann
Schneider-Ammann liegen sich in den Haaren. Der Streit eskaliert. Das
Rahmenabkommen mit der EU ist gefährdet, weil SVP, SGB, SP und
vielleicht auch die CVP zusammenspannen. "Blick"
wirft nun diesen Akteuren vor, sie würden auf stur schalten.
Beim Gewerkschaftsbund und bei der SVP gibt es im Umgang mit der
EU rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Die
Befürworter des Rahmenabkommens und der Personenfreizügigkeit
finden anderseits, dass man bei Verhandlungen mit der EU auf rote Linien
verzichten müsse und Flexibilität gefragt sei.
Darf man nun dem SGB, der SP und der CVP Sturheit vorwerfen? Ist es bei
Verhandlungen nicht legal, genau festzuhalten, welche Grenze auf keinen
Fall überschritten werden darf? Auch die EU kennt bekanntlich
rote Linien.
SP und SVP zusammen wären fähig, das Rahmenabkommen mit der EU
zu versenken. Vielleicht erkennt nun die EU, dass es der Schweiz ernst
ist mit ihren roten Linien.
Bei Verhandlungen geht es immer um die Durchsetzung von Interessen. Kein
Verhandlungspartner will erworbene Erleichterungen leichtfertig auf
Spiel setzen.
Aus meiner Erfahrung zeigt sich in der Praxis, dass Verhandlungspartner
sehr wohl wissen, dass rote Linien des Gegenübers respektiert werden
müssen, wenn man nicht die eigenen Vorteile aufs Spiel setzen
will. Wir können deshalb davon ausgehen, dass die EU ebenfalls
viel verlieren könnte, wenn sie die gegebene Situation in der
Schweiz ignoriert.
Zwischen den roten Linien gibt es aber stets einen
Verhandlungsspielraum. Auch wenn es rote Linien gibt, dürfen
Gespräche nicht verweigert werden. Es ist ein Kapitalfehler Dialoge
zu verweigern. Keine Seite kann ein Interesse haben, die gemeinsame
Zusammenarbeit mit einem Schlag aufzulösen. Gefragt ist bei allen
Verhandlungen eine Win-Win-Situation. Die EU darf den Prozess nicht
allein bestimmen.
Unschön ist es in diesem Fall lediglich, dass der Zwist um
die legalen roten Linien in Bundesbern öffentlich ausgetragen
wurde. Was die Schweiz lernen müsste: Bevor mit der EU verhandelt
wird, müsste man sich intern rechtzeitig über die Festlegung
der roten Linien einig sein.
Etwas Gutes hat die unschöne öffentliche Auseinandersetzung in
den Medien immerhin: Die EU wird sich bestimmt gut überlegen, ob sie
ihren wichtigen Verhandlungspartner vor den Kopf stossen will, nur weil
dort die Kriterien der direkten Demokratie akzeptiert werden müssen.