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www.rhetorik.ch aktuell: (12. Feb, 2018)

Themen der Medienforschung

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Zwei Heise Artikel befassen sich mit der Medienforschung von neuen Informationskriegen, Medientrollen oder Manipulationen. Im ersten Artikel wird von Bernhard Pörksen berichtet:

"Grundfragen der Profession Journalismus" gehören zur Allgemeinbildung. Was relevant sei und welche Nachrichtenfaktoren es gebe, gehe heute einen 13-Jährigen genauso an wie einen arrivierten Zeitungsredakteur."

In einem zweiten Artikel geht es um ein Spektrum von Dingen: vom Beeinflussen von Meinungen durch Internettrolle bis zum Hacken von Informationsmedien.

"Das Ziel der Trolle sei es, Unsicherheit zu erzeugten, was wahr ist und ob Menschen oder Bots, politische oder zivile Agenten hinter dem Treiben steckten. Die grossen Online-Plattformen legten den Trollen und ihren Hintermännern kaum Steine in den Weg, da sie mit ihren Algorithmen ebenfalls bestrebt seien, "die Leute möglichst tief in ihre Agenda hineinzuziehen".


Heise:
Für Wissenschaftler Bernhard Pörksen löst die durchs Internet "radikal veränderte Medienwelt" momentan eine "Phase des grossen Verdachts" über die Überbringer von Botschaften aus. Das Schicksal der Piraten bezeichnete er als symptomatisch. Zunehmende Berichte über im Wahlkampf angreifende russische Trolle, einen ferngesteuerten US-Präsidenten Donald Trump oder Social Bots, die rassistische Kommentare verbreiten, bleiben nicht ohne Wirkung. Davon geht der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen aus, für den die Bürger angesichts dieses medialen Brennglases in die informationelle Verunsicherung hineindriften. "Es beginnt eine Phase des grossen Verdachts: Wer spricht eigentlich?", glaubt der Forscher. Permanent machten Nutzer daher den Turing-Test, um sich über die Identität eines Kommunizierenden zu vergewissern. (...) Pörksen plädierte dafür, dass in den Zeiten der fünften Gewalt in Form von Publizierenden in Blogs, Wikis oder sozialen Netzwerken "Grundfragen der Profession Journalismus" zur Allgemeinbildung gehören müssen. Was relevant sei und welche Nachrichtenfaktoren es gebe, gehe heute einen 13-Jährigen genauso an wie einen arrivierten Zeitungsredakteur. Das Thema Medienkompetenz sei natürlich wichtig, ging die Würzburger Medienpsychologin Astrid Carolus mit ihrem Kollegen etwas konform. Es lasse sich aber immer weniger zwischen Online- und Offline-Leben trennen und Filterbubbles seien keine Erfindung des Internets. Auch schon früher habe es eine "defensive Selektivität" gegeben. Der Einfluss von Medien auf Meinungen von Machern werde überschätzt, viel wichtiger sei das direkte Umfeld. Das Netz bestehe zudem nicht nur aus "Hate" und "Fake", sondern vor allem aus Trivialitäten wie Katzen- oder Essensbildern. Die grosse Masse menschele einfach auch online, was "gut tut". Integrierende Wut und Erregung "Die medialen Möglichkeiten wirken verschärfend, verstärkend", hielt Pörksen dagegen. Es sei zwar in der Tat ein menschliches Phänomen, "dass wir uns in Communities hineinbegeben, in denen wir uns wohlfühlen". Vor allem Wut und Erregung entfalteten andererseits aber gerade in sozialen Netzwerken "integrierende Kraft" und damit einhergehender Protest zerfalle erst wieder, "wenn es ein anderes Thema gibt". Er habe das Schicksal der Piraten da als "symptomatisch" empfunden. Die junge Partei habe vor allem versucht, die Digitalisierung anders zu verstehen. Es sei ihr nicht gelungen, "von der Schwarmformation zum klassischen Kollektiv zu werden" mit einem Programm mit ganz unterschiedlichen Feldern und Strukturen. Die Lehre daraus sei, dass nicht alles im Modus hierarchiefreier Vernetzung organisiert werden könne. In "völlig enthemmte, jegliche Grenzen überschreitende Auswüchse menschlicher Abgründe" glaubte Marcel Ritter, Mitglied der Geschäftsleitung von Telefónica Deutschland, in so mancher "entfesselten" Online-Kommunikation zu blicken: "Wir sehen Menschen, die im Privatleben vermutlich zivilisiert sind, sich im Schutz der digitalen Anonymität aber zu fürchterlichen Dingen hinreissen lassen." Er forderte daher: "Wir brauchen Werte für die digitale Kommunikation; es muss ein Minimum an Anstand und Respekt füreinander gewahrt werden." Den Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), mit dem dieser weit gefasste strafbare Inhalte rascher aus dem Netz bringen will, sah Ritter trotzdem skeptisch. "Wir gewähren freien Zugang zum Internet", betonte der Ritter. Dabei handle es sich um ein "unfassbar hohes Gut". Er unterstrich: "Wir wollen Inhalte nicht kontrollieren, auch nicht zensieren." Vor der Diskussion hatte er bereits erklärt: "Im Kampf gegen Hasskommentare dürfen wir die Freiheit des Internets nicht gefährden."
Heise:
Praktische Beispiele aus Serbien brachte Vladan Joler mit, Professor am Institut für Neue Medien an der Universität Novi Sad. Das von ihm mit ins Leben gerufene Share Lab biete seit vier Jahren Opfern von Cyberangriffen in dem Balkanstaat kostenlose Hilfe an und sei so in rund 400 Fällen "verschiedenster Formen von Gewalt" im Netz quasi als Rettungswagen gerufen worden. Dabei sei deutlich geworden, dass die serbische Regierung oder von ihr beauftragte Saboteure in einer Form von Automatismus immer einen Distributed-Denial-of-Service-Angriff (DDoS) gegen eine Webseite führten, sobald dort Kritik veröffentlicht werde. Joler ist sich sicher: "Wir haben die Spuren gefunden - wie Blut auf dem Boden." Da solche Zensurversuche aber kaum effektiv seien und in der Regel einen Streisand-Effekt auslösten, hat Belgrad dem Experten zufolge als nächstes "die Online-Sphäre mit Kommentaren von Trollen geflutet". Mitarbeiter des Labs hätten eine ins Netz entfleuchte Dokumentation über die eingesetzten Werkzeugkasten entdeckt, sodass sich die Handlungen dieser Truppe nachvollziehen liessen: "Die haben ein Portal, über das sie ihre Aufgaben empfangen", berichtete Joler. Spuren der Trolle seien recht einfach zu finden, da Faulenzer darunter teils dieselben Sätze hunderte Male in diverse Foren per Copy & Paste einfügten. Ziel ist es dem Forscher zufolge, "möglichst jedes Kommunikationsfeld zu besetzen". Es solle Unsicherheit erzeugt werden, was wahr ist und ob Menschen oder Bots, politische oder zivile Agenten hinter dem Treiben steckten. Die grossen Online-Plattformen legten den Trollen und ihren Hintermännern kaum Steine in den Weg, da sie mit ihren Algorithmen ebenfalls bestrebt seien, "die Leute möglichst tief in ihre Agenda hineinzuziehen". Share-Lab-Mitarbeiter hätten rund 6500 Patente und Designmuster von Facebook und Co. analysiert um herauszufinden, wie dort "unser Verhalten in Profit umgemünzt wird". Blackout im Stromnetz - in manchen Ländern legten Angreifer schon ganze Städte lahm (Bild: Transemdiale / Daten von WeLiveSecurity) Gegen den Krieg: Neufassung des vernetzten Subjekts Bei der Frage, wie sich der Nebel des Krieges im Netz lichten lassen könnte, stochern die Wissenschaftler noch weitgehend im Dunkel. Matviyenko sprach sich für die Entdeckung der Langsamkeit aus. Da die Maschinen darauf trainiert seien, ständig alles miteinander zu synchronisieren, täten bewusste Pausen und die Abkopplung von der rechnergesteuerten Echtzeit gut. Nur so könne wieder ein echtes Gefühl für die Verbindung mit der Umwelt entstehen. Boler riet aus ihrer philosophischen Ecke heraus, Spinoza wiederzuentdecken, um das vernetzte Subjekt neu zu fassen. Der niederländische Denker habe im 17. Jahrhundert Gefühle und Affekte gegenüber dem Verstand rehabilitiert. Leidenschaften seien ihm zufolge spontane Emotionen, die der Mensch zwar nicht sofort, aber mit etwas Bemühen richtig einschätzen lernen und aus diesem Prozess Befriedigung ziehen könne. Die Feministin rief das Publikum so auf, "Lücken in den binären Codes zu besetzen, um die affektiven Feedback-Schleifen zu durchbrechen, die zentral sind für die Totalisierung des Kriegs". Nur eine "radikal-feministische Bot-Armee" zu entwickeln, brächte nichts, ergänzte Joler. Damit bleibe man auf dem gleichen Schlachtfeld, auf dem es in typisch maskuliner Denkart darum gehe, wer die besseren Waffen habe und länger durchhalte. Auch der Vorschlag, ein neues, stärker geschütztes Internet oder anderes Kommunikationsmedium aufzubauen, bleibe der Logik technischer Lösungen verhaftet. Maschinen zu stürmen bringe ebenfalls nichts, sodass es wohl hauptsächlich darum gehen müsse, die ausgemachten Probleme durch eine kluge Regulierung einzuhegen.

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