Persoenlich Blog
Eine Mitarbeiterumfrage aus dem Jahr 2015 hat gezeigt, dass das Vertrauen
in SRG-Generaldirektor Roger de Weck und SRF-Direktor Ruedi Matter klein
ist. Matter sagt dazu: "Es gehört zum Selbstbild eines Journalisten,
dass er seine Chefs unfähig bis unnötig findet." Er sei
lange genug Journalist gewesen und habe dieselbe Einschätzung
kultiviert. Zudem hätte es Unsicherheiten gegeben durch die Fusion
von Radio DRS und dem Schweizer Fernsehen im Jahr 2011 - zwei Unternehmen
mit ganz unterschiedlichen Kulturen. "Vor diesem Hintergrund waren die
Ergebnisse nicht schlecht", so Matter.
Wer diese Antworten liest, fragt sich jedoch, ob Matters Verständnis
für die Kritiker echte Selbstkritik ist. Schiebt er mit seiner
Erklärung die Schuld nicht vielmehr auf das Selbstbild vieler
Journalisten ab? Die Frage ist somit berechtigt: Ist der Hinweis auf die
unterschiedlichen Kulturen echte Selbstkritik? Selbstkritik braucht nicht
nur Verständnis für die Kritik, sondern vor allem echte Einsicht
bei den Mängeln. Es ist leider nicht selbstverständlich,
dass Chefs bereit sind, bei Kritik wirklich selbstkritisch über
die Bücher zu gehen.
Christine Maier war bei SRF eine Moderatorin, die erstaunlich
selbstkritisch war. Sie hatte erkannt, dass sie beim Moderieren im
"Club" den Weg finden muss zwischen enger Führung und langer
Leine. Sie schaffte es - dank der Selbstkritikfähigkeit - an die
Spitze. In einer Analyse bezeichnete ich sie später als vorbildliche
Moderatorin. Auch bei Jonas Projer habe ich feststellen dürfen,
dass er die Kritik ernst nimmt und dadurch auf gutem Weg ist, die "Arena"
beim Publikum akzeptabler zu gestalten. Ich habe bei Medienberatungen und
Kommunikationskursen stets gesehen: Teilnehmende, die nicht bereit sind,
sich von aussen spiegeln zu lassen, verbessern sich selten. Ich hatte
bei Lehrerweiterbildungskursen erlebt, dass es Lehrpersonen gibt, die
grosse Mühe im Umgang mit Videofeedback bekunden. Wenn sie wussten,
dass mit der Kamera gearbeitet wird, meldeten sie sich gar nicht erst an.
Hinsichtlich guter Selbstkritikfähigkeit stellte ich vor Jahren
bei den Seminaren mit Piloten fest: Die Feedback-Kultur, das heisst die
Auseinandersetzung mit Kritik, war dort etwas Alltägliches. Sie sind
an das ungeschminkte Debriefing nach einem Flug gewöhnt. Auch bei
Seminaren in einer Klosterschule war die Selbstkritik etwas Normales.
Die Selbstkritikfähigkeit wurde dort schon im ersten Jahr bewusst
geübt. Die Studierenden mussten sich dauernd selbst beurteilen.
Heute wird beim fachgerechten Micro-Teaching das Tonband und die
Fernsehkamera nicht mehr als Instrument benutzt, um Schwächen
hervorzuheben oder zu verstärken, sondern vor allem, um
die Coaches zu befähigen, selbst allfällige Defizite
zu erkennen. Stärken werden dank des Spiegels "Video"
erstaunlicherweise rasch selbst erkannt. Gleichzeitig werden beim
Visionieren auch die Stärken bewusst. Der Coach sucht nur noch
jenen blinden Fleck, der trotz des Spiegels die Teilnehmer nicht erkannt
haben. In meiner langjährigen Tätigkeit ist mir der Spiegel
"Video" gleichsam ein Lernbeschleuniger geworden. Er fördert die
Selbstkritikfähigkeit, sofern dieser Spiegel fachgerecht eingesetzt
wird.
Der Weg über die Selbstkritik führt rascher zum
veränderungswürdigen Lernpunkt. Werden Mängel
selbst erkannt, kommt es viel schneller zu den erwünschten
Verbesserungen. Dank der persönlichen Einsicht braucht es viel
weniger Überzeugung- oder Motivationsarbeit. Die langwierigen
Rechtfertigungsszenarien und Selbstschutzbehauptungen bleiben aus. Wer
bei Kritik-, Beurteilungs- oder Schlechtnachrichtengesprächen die
Selbstbeurteilung an den Anfang stellt, erspart sich zudem nicht nur
die unerwünschten Rechtfertigungsphasen. Der Berater erhält
bereits am Anfang hilfreiche Zusatzinformationen und kann damit viel
gezielter nachfragen.
Die Selbstkritikfähigkeit ist also die wichtigste Voraussetzung
zur Qualitätssteigerung.