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www.rhetorik.ch aktuell: (04. Sep, 2017)

Fazit zum Merkel-Schulz Duell

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Am 3. September trafen Angela Merkel und Herausforderer Martin Schulz erstmals live im Fernsehen aufeinander. ARD, RTL, SAT1 und ZDF übertrugen die 95 minütige Debatte gleichzeitig. Das garantierte hohe Einschaltquoten und ein lohnender Krimiersatz für die TV Stationen. Es wurde erwartet, dass das das Duell die hohe Zahl von Unentschlossenen noch stark beeinflussen könnte. Aus dem "Merkur":
Das TV-Duell am Sonntag zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Herausforderer Martin Schulz stösst einer Umfrage zufolge auf riesiges Interesse - und könnte die Wahlentscheidung von Millionen Menschen beeinflussen. 48 Prozent aller 61,5 Millionen Wahlberechtigten wollen sich das Duell anschauen, wie eine Umfrage des Forsa-Instituts für den "stern" ermittelte. 2013 hatten fast 18 Millionen Menschen den Schlagabtausch zwischen Merkel und SPD-Herausforderer Peer Steinbrück verfolgt. Von den 48 Prozent der Befragten, am Sonntag einschalten wollen, gaben 22 Prozent an, dass der Ausgang des Duells ihre Wahlentscheidung noch beeinflussen könnte. Das sind hochgerechnet elf Prozent aller Wahlberechtigten - fast 6,8 Millionen Menschen. Kurz vor dem Duell tut sich bei den Umfragewerten ansonsten wenig: Im "stern-RTL-Wahltrend" hält die Union nach wie vor 38 Prozent, die SPD 24 Prozent. Weiterhin gleichauf mit jeweils neun Prozent liegen Linke und AfD. Die FDP liegt bei acht Prozent, die Grünen verharren bei sieben Prozent. Bei der Kanzlerpräferenz gab Merkel im Vergleich zur Vorwoche zwei Punkte ab, Schulz' Zustimmung blieb unverändert. Wenn der Regierungschef direkt gewählt werden könnte, würden sich 23 Prozent aller Wahlberechtigten für ihn entscheiden und 48 Prozent für Merkel. Für den Wahltrend befragte Forsa zwischen Montag und Freitag vergangener Woche 2503 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger. Die Fehlertoleranz liegt bei 2,5 Prozentpunkten mehr oder weniger. Die Umfragen zum TV-Duell wurden vergangenen Donnerstag und Freitag geführt: Befragt wurden 1004 Bundesbürger. Die Fehlertoleranz liegt bei drei Prozentpunkten mehr oder weniger.
Eines stand schon vor der Debatte fest: Die Protagonisten waren sich bewusst, dass sie die politischen und persönlichen Unterschiede herausarbeiten müssten. Das ist ihnen leider nur teilweise gelungen. Merkel wird nach dieser Debatte gewiss wieder gewählt. Sie musst keine Angriffe pariieren. Vorwürfe perlten an ihr ab. Alles andere wäre eine Sensation.

Zu Merkel:

Bei Angela Merkel fielen einmal mehr die vielen Plausibilitätsformulierungen auf. Das sind Gedanken, die unumstritten sind und immer Gültigkeit haben. Zum Beispiel.bei der Abschiebeproblematik von Kriminellen Asylanten: "Wir haben am Thema hart gearbeitet. Wir haben mühevoll viel erreicht. Es ist ein schwieriger Prozess." Generell war Merkel souveräner, überzeugender. Doch wurden auch Falschaussagen ersichtlich: Merkel widersprach, sie habe nie gesagt, dass es unterer ihrer Führung keine maut gebe. Dies stimmt eindeutig nicht. Auch bei der Ehe für alle widersprach sie sich. Merkel verschleiert gerne und blieb - wie üblich - zu oft undeutlich. Bei konkreten Fragen weicht sie immer wieder aus oder erzählt geschickt eine Geschichte aus Ihrem Erfahrungsschatz. Sie liebt das Ungefähre. Sie versteht es, immer wieder auf Bewährtes zurückzugreifen. Sie ist bislang gut gefahren mit der Taktik, sich nicht konkret festzulegen. Konkrete Aussagen waren nie ihr Ding. Die aussergewöhnliche Politikerin ist zwar intelligent, zäh, klug und fleissig. Aber Sie ist und bleibt machtbesessen. Konkurrenten vermochte sie stets wegzuschaffen, wegzubefördern. Sie wirkte auch bei diesem Auftirtt so, als habe sie alles im Griff. Die Kanzlerin vermied stets, ein dunkles Bild der Zukunft zu entwerfen. Schulz gelang es nicht, die routinierte Kanzlerin völlig aus der Ruhe zu bringen oder sie in einer Ecke festzunageln. Wie bei früheren Auftritten profitierte sie von ihrer Erfahrung und ihren Verdienste. Die Kanzlerin vermittelte den Eindruck, sie werde weiterhin Deutschland mit ruhiger Hand durch alle Krisen führen. Merkel formulierte ihre kurzen Gedanken rhetorisch geschickt. Sie verstärktr die Aussagen meist mit gekonnter Pausentechnik. Negativ fiel auf: Die Kanzlerin wirkte generell etwas steif und umständlich, teilweise etwas abgehoben im ersten Teil sogar etwas müde. Störend waren jene Sequenzen, wenn sie während der Voten des Herausforderers überheblich lächelte. Aber ihre Kernbotschaft schimmerte immer wieder durch: "Merkel hat sich bew&aum;hrt".

Zu Schulz

Bei Herausforderer Martin Schulz erwartete alle eine kämpferische Attitüde. Seine Stimme klang erstaunlicherweise nicht so scharf in der üblichen zu hohen Tonlage. Har es am Training gelegen? Es wurde angenommen, die Coachs (der oesterreichische Medien Profi Markus Peichl und der Ex Regierungssprecher Béla Anda und vier weiteren Beobachtern) hätten dem Herausforderer geraten, die Kontrahentin aus der Fassung zu bringen, verbunden mit der Bitte, ja nicht zu übertreiben. Beim Auftritt war es für Schulz nicht einfach, die Balance zu finden zwischen aggresivem offensivem Verhalten und der überlegenen Zurückhaltung. Die Erkenntnis dass jeglichesdas Uebertreiben kontraproduktiv konnte er umsetzen. Er gewann an dialogischer Stärke. Schulz wirkte zwar hoch konzentriert. Am Anfang war er zu wenig locker. Dann gewann er gewaltig an Terrain. Er sprach überzeugender, sogar dialogischer. Obwohl nervöser als Merkel war er doch angriffslustiger. Mit einer unverhofften Zwischenfrage gelang es ihm, Merkel kurz zu irritieren. Er schaffte es - im Gegensatz zu Merkel - mehr über Inhalte zu sprechen. Er war auch viel konkreter. Sein Bemühen, verschiedenen Zielgruppen anzusprechen, war spürbar. Schulz leidet vor der Wahl immer noch unter dem Ruf als Verlierer, Schwarzseher oder ehemaliger Alkoholiker. Seine fröhliche Seite kam bei der Debatte zu wenig zum Tragen. Immerhin reagierte er bei diesem Auftritt nie beleidigt. Er wirkte in der zweiten Hälfte über weiter Strecken überlegt und sicherer. Die Befürchtung, er reagiere zu impulsiv, war unberechtigt. Schade, dass er im Schlussstatement zeitlich überzog. Das Votum wirkte auswendiggelernt. Schulz verhspelte sich.

Fragen

Fragen, die mich interessierten:

Äusserlichkeiten

Details werden bei Medienauftritten immer wieder zum Gesprächsthema. Als Angela Merkel eine Halskette in Rot-Weiss-Gold getragen hatte, schrieb nachher die Presse asuführlich über die Wirkung der sogenannten "Schlandkette" - in Anlehnung an den Ruf an der Fussballweltmeisterschaft 2006 "Schland" für "Deutschland" ("Hopp Schland"). Der Bart von Schulz könnte dieses Jahr in der Nachlese auch zum Gespächsthema werden. Es wurde nämlich noch nie ein Kandidat mit Bart Kanzler. Das sonderbare "Gespinst" ums Kinn kam übrigens bei einigen Betrachtern - schon vor der Sendung - nicht gut an. Schulz blieb seinem Bart treu aber er war gepflegt. Merkels Blazer wurde schon vorgängig auf den türkisfarbenen Hintergrund abgestimmt. Sie erschien mit einem leuchtenden Blau. Diese Antistress Farbe assoziert Himmel, Wasser. In Operationssälen dominiert heute blau. Schulz ging auf sicher - mit seinem dunkelblauen, klassischen Anzug. Vorbereitung Die Berater Merkels waren Regierungssprecher Steffen Seibert und Mdienberaterin Eva Christiansen. Vor dem Duell mit Schröder wurde Merkel vom Journalisten Alexander Niemetz sehr gut beraten. Er befreite sie damals von ihrer Vorstellung, sie dürfe nicht gestikulieren. Schulz könnte zu viele Berater gehabt haben. Viele Köche verderben bekanntlich den Brei. Wenn Schulz gleichzeitig an die Körpersprache, an die Mimik, die Lautstärke und die Wortwahl denken müsste, könnte er während des Auftrittes gar nicht mehr natürlich und authentisch reden. Erstaunlicherweise brachten es aber die Berater fertig, dass Schulz natürlich und erstaunlich eloquent gesprochen hatte. Das Lächeln von Schulz wirkte für mich echt, hicht antrainiert, zu aufgesetzt, zu künstlich. Politiker werden vielfach falsch trainiert und durch zu viele Berater verunsichert werden. Das war bei Schulz nicht der Fall. Er hat gegenüber früheren Auftitten ernorm viel gelernt. Dennoch kann er sich nicht als Sieger feiern lassen.

Kommentatoren

Angela Merkel war bei den bisherigen Duells rhetorisch nie Siegerin. Sie machte bei allen früheren Duellen keine gute Figur. Sie liebte nie direkte Streitgespräche. Auch im Duell mit Gerhard Schröder punktete dieser haushoch. Aber Merkel wurde trotz des schlechten Abschneidens beim jenem Duell dennoch Kanzlerin. Daraus könnten wir schliessen: Auch wenn Merkel medienrhetorisch unterlegen ist, die Wahl gewinnt sie dennoch. Sie verstand es über Jahre, ihre Machtstellung zu bewahren. Merkel liebt keine offenen Diskussionen. Sie bevorzugt bei Auftritten strarre Bedingungen. Ein Kommentator bezeichnete das langweilige "Duell" mit Steinmeier schon damals als "Duett". Auch diese Debatte war keine Fernsehschlacht. Es gab erstaunlich viel Einigkeit. Zu viel Harmonie. Immer wieder war zu hören: "Da sind wir einer Meinung." An Fallstricken fehlte es jedoch bei der jüngsten Debatte nicht. Schulz hätte zwar die Chance gehabt, das Blatt zu wenden und sich als kämpferische, ehrgeizige Alternative zu präsentieren. Doch schaffte er leider keinen Durchbruch. Sein Angebot - wie er Problem lösen will - wurde dem Publikum bei diesem Aufritt zu wenig erfasst. Merkel ist hingegen bei diesem "Duell" die Rechnung aufgegangen, indem sie sich auf Bewährtes, auf Harmonie fokussierte. Sie war sichschon immer bewusst: Angriffe auf den politischen Gegner sind viel zu riskant. Angriffe perlten bei ihr - einmal mehr - ab, wie auf einem Teflonbelag. Schulz, der Impulsivredner, hatte dadurch gar keine Chance, die abgebrühte, unantastbare Machtfrau Merkel zu destabilisieren. Die "Bild" vergleicht "Twitter,Facebook, Google Anfrage" Daten:

Moderatoren

20 Min::
Das Format des TV-Duells im Bundestagswahlkampf hat sich aus Sicht eines Medienwissenschaftlers in seiner jetzigen Form überholt. Die Sendung sei leblos und frei von jeder Überraschung gewesen. Fast alle wichtigen Zukunftsfragen, vor denen Deutschland stehe, seien ausgeklammert worden. "Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass das Format TV-Duell an Haupt und Gliedern reformiert werden muss, dann wurde er in diesem Jahr endgültig geliefert", Bernd Gäbler, Professor für Journalistik aus Bielefeld, der Nachrichtenagentur dpa. "Die Sendung war mehr Parallelslalom als Duell", so Gäbler. "In diesem Nebeneinander demonstrierten die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz inhaltlich eigentlich nur, dass eine grosse Koalition jederzeit wieder möglich ist." Der Journalistik-Professor kritisierte auch die Moderatoren der vier Sender ARD, ZDF, RTL und Sat 1: "Die viel zu zahlreichen Moderatoren traten in einen Überbietungswettbewerb, beide Politiker ausschliesslich mit Fragen zu traktieren, wie sie von rechts gestellt werden ... Der Wähler, um den es ja angeblich gehen soll, schaute im wahrsten Sinne des Wortes in die Röhre", sagte der Medienwissenschaftler. Er sei in die Rolle eines ungefragten Zuschauers gedrängt gewesen. "Der Appell an die übertragenden Sender kann nur lauten: So nicht noch einmal!"
Der Spiegel: Ueber die Moderatoren:
Was Strunz an präpotenter Schärfe an den Tag legte, liessen Illner, Maischberger und Kloeppel hingegen an professioneller Schärfe vermissen. Der Ton war so locker und heiter, wie es der staatstragende Rahmen des Duells eben zuliess. Vor allem Kloeppel bemühte sich mit Kopfgewackel und Grimassieren um eine lockere Atmosphäre. Fotostrecke Über weite Strecken waren die Moderatoren kaum mehr als Stichwortgeber für Schulz und Merkel. Immerhin verwahrte sich Illner gegen die subtile Einvernahme von Schulz, der sich fortwährend bei aller Welt bedankte. Er möge bitte mit Ja oder Nein antworten, "und bitte nicht bedanken für die Frage". Hin und wieder gelang es allerdings, die Kandidaten über die Bande des Privaten politisch ins Schwimmen zu bringen. Nachdem minutenlang über "den Islam" und damit "die Religiosität anderer Leute" referiert wurde, fragte Maischberger schlicht: "Waren Sie heute in der Kirche?" Schön anzusehen, wie Schulz einen Überraschungspunkt landete und sich darüber freute, Merkel sich ärgerte und nachlegen musste, um nicht als gottlose Kanzlerin zu gelten. Aussenpolitisches wollte kein Ende nehmen. Als Kloeppel anhob mit "Jetzt haben wir lange über einen Autokraten gesprochen", mochte man schon aufatmen, doch fuhr er fort mit "reden wir über einen Diktator. Kim Jong Un hat gerade eine Wasserstoffbombe gezündet" und so weiter, bis sich das doch eigentlich talkshowerprobte Team irgendwann wirklich im eigenen Zeitkonzept verheddert hatte. Das führte zu kuriosen Sprüngen. Schulz sprach gerade von seiner Rolle als SPD-Chef, als Kloeppel überleitungslos zum nächsten Block überleitete: "Dann sind wir beim Thema innere Sicherheit, Terror." Die Hektik wurde bald hörbar. Ständig raschelte Papier, war Kugelschreibergekritzel zu hören. Einmal zischte es gar, als seufze jemand - vermutlich über die davongehoppelte Zeit. Ärgerlich war nicht nur, dass wichtige Themen unter den Tisch fielen. Auch das eigentliche Ziel dieser Debatte, Merkel und Schulz in direkte Konfrontationen zu führen, wurde nicht nur nicht erreicht - es wurde aktiv unterdrückt. "Darf ich?", fragte Merkel höflich. Maischberger barsch: "Nein", und dann durfte Merkel auch nicht. Als umgekehrt Schulz die Kanzlerin angehen wollte ("Darf ich Ihnen mal eine Frage stellen?"), würgte Illner ab: "Nein." Nein, da braucht es wirklich kein zweites Duell.

Fazit

Wir haben bei der Debatte keine Ueberraschung erlebt. Schulz gelang nicht, Merkel richtig aus der Reserve zu locken. Es gelang ihm damit nicht, die Stimmung zu drehen. Der Sendung wurden leider die Zähne gezogen, weil Merkel die Spielregeln diktieren konnte. Der Biss fehlte. Es würde michnicht wundern, wenn Zuschauer weggezappt hätten. Merkel verweigerte im Vorfeld ein Studio-Publikum und ein Nachfragen. Statt eines lebendigen Konzeptes wurde somit die Sendung gleichsam in ein zu enges Korsett gezwängt. Und formalistisches Abfragen hat nichts mit einem Schlagabtausch zu tun. Trotzdem schauten wahrscheinlich bis zu 20 Millionen am Anfang diese Live Sendung. Obschon die Hälfte der deutschen Bevölkerung - drei Wochen vor der Wahl - vor dem Bildschirm sass - bleibt alles beim Alten. Das Duell hat für die SP nicht die erwünschte Wende gebracht. Die erhoffte Beeinflussung der zahlreichen unentschlossenen Wähler wird sich auch nur in bescheidenem Rahmen bewegen. Denkbar, dass die Medienechos die Grundstimmung zusätzlich noch etwas bewirken könnten. Merkel darf damit rechnen, dass sie uneinholbar bis zum Schluss die Nase vorn behält. Beide Seiten werden nun ihre Interpretation des Duells in den Wahlkampf einbringen. Wie es nach der Wahl weitergeht, ob SPD und CDU auch wieder gemeinsam regieren könnten, das wollten übrigens beide nicht ausschliessen.

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