Sind die Schweizer Schüler nicht ehrgeizig genug? Umfragen zeigen
kulturelle Unterschiede zu anderen Ländern.
Die Umfrage wird unterschiedlich kommentiert.
Vielleicht sind die Schweizer bescheidener, man will nicht unbedingt als
Streber gelten, ist aber trotzdem ehrgeizeig. Ist Ehrgeiz gesund? Auch da sind die
Meinungen gespalten. Pädagogen meinen etwa, Ehrgeiz könne auch
lähmend für ein Teil der Schüler sein (vor allem wenn die Ziele
nicht erreicht werden). Man muss aber auch vielleicht die Intelligenz der
Frage anzweifeln. Wer gefragt wird, ob er bei den Besten der Klasse sein will
und "Ja" sagt, muss entweder dumm genug sein, dass er sich eine Chance anrechnen kann, oder
dann in der Spitzengruppe sein, um sich eine Chance auszurechnen. Selbst
ehrgeizige Typen würden wohl eher "Nein" sagen, denn ein Ziel anzugeben,
das nur von ganz wenigen zu erreichen ist, ist eher ein Zeichen
von Naivität oder ein Rezept für Depression.
Besser gewesen wäre die Frage:
Geb ich in der Schule mein Bestes?
Darum fehlt es Schweizer Schülern an Ehrgeiz von A. Schawalder -
Nur 40 Prozent der Schweizer Schüler wollen zu den Besten der
Klasse gehören - viel weniger als in anderen Ländern. Ist
das ein Problem? Bildstrecke im Grossformat " 1|4 Werbung Nur 40
Prozent der Schweizer Schüler wollen zu den Besten der Klasse
gehören. Nur in Korea sind es weniger. Der Schnitt liegt bei
etwa 60 Prozent. Der fehlende Ehrgeiz wirke "lähmend", sagt
Bildungsexperte Patrik Schellenbauer vom Thinktank Avenir Suisse
gegenüber dem "Tages-Anzeiger". Die Schweiz könnte dadurch mit
der Zeit ihren Bildungsvorsprung einbüssen. Urs Moser, Mitglied
der nationalen Pisa-Projektleitung, hält die Unterschiede der
Befragung grösstenteils für kulturell bedingt. Die Soziologin
Marlis Buchmann macht zusätzlich das Schweizer Bildungssystem
verantwortlich. "Es wird früh eingeteilt." Gar positiv findet es
Jürg Brühlmann vom Lehrerverband, dass die Schüler nicht
zu ambitioniert sind: "Dass die Schüler innerhalb ihrer Klasse nicht
die Besten sein wollen, passt zusammen mit dem tieferen Stresslevel. Die
Leistungen stimmen trotzdem."
In der Pisa-Studie fiel abgesehen von der Zufriedenheit der Schweizer
Schüler noch etwas anderes auf: wenig Ehrgeiz. Auf die Frage, ob
sie zu den besten Schüler gehören möchten, antworteten
nur 40 Prozent mit Ja. Zum Vergleich: Im Nachbarland Italien waren es
ganze 86 Prozent. Im Schnitt der OECD waren es knapp 60 Prozent.
Der Dachverband der Zürcher Schulorganisationen kann das Ergebnis
der Pisa-Studie teilweise nachvollziehen. "Es gibt mehrere Gründe,
weshalb Schüler nicht übermässigen Ehrgeiz zeigen", sagt
Sprecher Timothy Oesch. "Es liegt nicht nur daran, dass ehrgeizige
Schüler teilweise als Streber gesehen werden, sondern auch an
ungenügender Förderung von ehrgeizigen und begabten Lernenden."
Der fehlende Ehrgeiz wirke "lähmend", sagt Bildungsexperte
Patrik Schellenbauer vom Thinktank Avenir Suisse gegenüber dem
"Tages-Anzeiger". Die Schweiz könnte dadurch mit der Zeit ihren
Bildungsvorsprung einbüssen. Letztlich beruhe unser Wohlstand aber
auf Wissen und Fähigkeiten.
Ursache für den geringeren Ehrgeiz der Schüler sind laut
Schellenberger unterschiedliche Wohlstandsniveaus der Länder. In
aufstrebenden Ländern mit grossem Unterschied zwischen Arm und
Reich sei der Bildungshunger viel grösser, da ein guter Abschluss
Aufstieg verspreche.
Urs Moser, Mitglied der nationalen Pisa-Projektleitung und Professor
am Institut für Bildungsevaluation der Uni Zürich, will nicht
dramatisieren. Er hält die Unterschiede bei dieser Befragung für
zu einem grossen Teil kulturell bedingt. "Man sieht das oft auch bei
der Selbsteinschätzung. Amerikaner etwa schätzen ihre eigenen
Leistungen in Mathe oft sehr optimistisch ein. Japaner hingegen stufen
sich zu tief ein." In der Realität seien die Japaner im Schnitt
klar besser.
Die Soziologin Marlis Buchman von der Uni Zürich sieht es
ähnlich. Sie fügt an: "Das Resultat ist natürlich
auch vom Bildungssystem abhängig." In der Schweiz würden
Schüler früh in verschiedene Stufen mit unterschliedlichen
Leistungsniveaus eingeteilt. Da stecke man eine Weile in einem
bestimmten Lernmilieu. Übermässiger Ehrgeiz bringe also gar
nicht so viel. Deshalb sehe man etwa in Deutschland mit ähnlichem
Bildungssystem ein ähnliches Resultat wie in der Schweiz.
Gar positiv findet es Jürg Brühlmann vom Lehrerverband, dass
die Schüler nicht zu ambitioniert sind: "Dass die Schüler
innerhalb ihrer Klasse nicht die Besten sein wollen, passt zusammen
mit dem tieferen Stresslevel. Die Leistungen stimmen trotzdem." Die
Schüler könnten auch so ihre Ziele erreichen. Er ergänzt:
"Die Situation ist mir so viel lieber als in Japan, wo der Ehrgeiz
teilweise bis zum Suizid führt."