Obwohl technisch
leicht zu umgehen ist die Einführung von Netzsperren ein Novum in der Schweiz. Eine Barriere
wird durchbrochen, indem ähnlich wie in totalitären Staaten, gewisse Inhalt von Internet für
Besucher abgeschnitten werden. Dabei werden die Internet provider verpflichtet, gewisse Seiten nicht
im Domain Name System aufzuführen. Man kann jedoch auch leicht trotzdem auf die Seite zugreifen,
wenn man andere Nameserver benutzt oder dann mit einem "Virtual Private Network" herumsurft, oder dann
einfach die IP Addresse des Servers kennt. Das System ist ziemlich unwirksam, denn die Leute, die die
Sperre umgehen wollen haben keine Probleme. Das System kann aber viel Schaden anrichten. Wenn etwa der
Namen einer Firma irrtuemlicherweise gefiltert wird (das ist bei solchen Systemen immer möglich und
auch passiert ist), dann ist die Firma futsch, denn dann sind die Kunden weg.
Auch könnte das System für politische Zwecke
misbraucht werden. Das muss nicht mittels einer korrupten Regierung oder bestochener Richter passieren,
viel wahrscheinlicher ist etwa dass ein Hacker oder IT Insider
Zugriff auf die Filter bekommt und unbemerkt unbequeme Seiten ausfiltert.
Wenn ein System zum Filtern von Netzinhalt installiert ist, dann wird es auch gebraucht und mit grosser
Wahrscheinlichkeit auch misbraucht. Kollateralschäden und mehr Einschräkungen
der Informationsfreiheit sind vorprogrammiert.
20 Min:
In der Schweiz wird erstmals eine sogenannte Netzsperre
eingeführt: Der Zugriff auf ausländische Online-Casinos
soll nach dem Willen von National- und Ständerat blockiert
werden. Während die Befürworter mit der Prävention
und der Einhaltung beschlossener Gesetze argumentieren, beklagen die
Gegner den Tod des freien Internets und befürchten einen Dammbruch.
Umfrage Was halten Sie von Online-Sperren?
Andere Interessensgruppen stünden schon in den Startlöchern,
ist Marcel Dobler, FDP-Nationalrat und Gründer des IT-Onlineshops
Digitec, überzeugt: "Es wird nicht beim Sonderfall Glücksspiele
bleiben." Auch Martin Steiger, IT-Anwalt und Mitglied der Digitalen
Gesellschaft Schweiz, sagt: "Nach diesem Entscheid schliesse ich nichts
mehr aus - Heimatschutz und Abschottung sind gerade sehr in Mode."
Spekuliert wird etwa über Sperren in folgenden Bereichen:
- Musik-/ Filmstreaming: Urheberrechtlich geschützte Filme und
Songs
sollen nicht mehr abgerufen werden können. Die Politik arbeitet
derzeit an einer Anpassung des Urheberrechts, die eine Netzsperre in
diesem Bereich vorsieht. In Österreich werden Streamingportale wie
Kinox.to oder Movie4k.to bereits blockiert.
- Buchungsplattformen: "Dem Schweizer Tourismus sind Plattformen
wie Booking.com schon lange ein Dorn im Auge", so Dobler. Dasselbe
gelte für die Taxibranche und den Fahrdienst Uber: "Für die
Betroffenen wäre es natürlich bequem, unliebsame Konkurrenz
auf diese Weise loszuwerden."
- Amazon und Zalando: Buchhändler und Kleiderläden leiden
unter
den zunehmenden Onlineeinkäufen. "Ob man politisch wirklich so weit
gehen würde, die beiden Anbieter zu sperren, wage ich derzeit noch
zu bezweifeln - mit genügend Lobbying scheint inzwischen aber alles
machbar", so Rechtsanwalt Steiger.
- Medikamente: Auch die Bestellung von günstigeren Medikamenten
aus dem Ausland könnte mit Netzsperren unterbunden werden,
befürchtet FDP-Mann Dobler.
- Gefälschte Produkte: Eine Netzsperre könnte theoretisch
auch
angewandt werden, um den Handel mit illegalen Kopien von Kleidern oder
anderen Waren zu unterbinden.
- Verbotene Pornografie: Heute werden Seiten, die beispielsweise
Kinderpornos enthalten, von einigen Internetanbietern bereits freiwillig
gesperrt. Künftig soll sie der Bund dazu verpflichten können.
- Terror-Propaganda: Für das Sperren von Seiten, auf denen
Propagandamaterial verbreitet wird, gibt es in der Schweiz bereits
eine Grundlage. Seines Wissens sei in diesem Bereich aber noch nie eine
Netzsperre angewandt worden, so Steiger.
- Facebook/ Twitter/ Youtube: Länder wie China, Nordkorea oder
Saudiarabien schränken den Zugang ihrer Bürger zu Social
Media ein. Dass die Schweiz aus politischen Gründen so weit gehen
würde, glaubt niemand. Steiger sagt jedoch: "Die Technologie
ist dieselbe." Ausserdem sei die Androhung einer Sperre ein wirksames
Druckmittel, um etwa die Herausgabe von Nutzerdaten zu erzwingen.
CSP-Nationalrat Karl Vogler befürwortete die Sperre für
ausländische Online-Casinos im Nationalrat. Über die
Schreckensszenarien der Gegner kann er nur den Kopf schütteln:
"Sie vergleichen Äpfel mit Birnen." Wer nun vor einer Zensur im Stil
Nordkoreas warne, bagatellisiere die dortigen Verhältnisse. "Man
kann den Diktatoren-Vergleich so oft wiederholen, wie man will, er wird
dadurch nicht wahrer."
Auch stehe es nicht zur Debatte, aus protektionistischen Gründen
Online-Angebote wie Zalando oder Amazon einzuschränken. "Sie
sind durch die Wirtschaftsfreiheit geschützt." Der Fall der
Online-Casinos sei anders gelagert, weil ein Teil der Spielgelder laut
Gesetz der Gemeinnützigkeit zukommen müsste. "Ohne Sperre
fliesst das Geld einfach ins Ausland ab - das darf nicht sein." Zudem
habe die Massnahme Präventionscharakter.
Dass Sperren im Fall von verbotener Pornografie oder Jihadismus Sinn
machten, liege auf der Hand, so Vogler. Auch für Dobler und Steiger
ist es wichtig, dass der Zugang zu solchen Inhalten verhindert wird.
Beide betonen jedoch: "Löschen ist in solchen Fällen besser
als sperren." Dies inbesondere, weil Netzsperren kinderleicht umgangen
werden könnten. "Jeder, der 30 Sekunden googelt, findet heraus,
wie das geht", so Dobler.
Damit eine Online-Sperre beschlossen werden kann, braucht es in jedem
Fall eine gesetzliche Grundlage, wie es beim Bundesamt für Justiz
auf Anfrage heisst. Diese müsse "durch ein öffentliches
Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig" sein, führt
Sprecherin Ingrid Ryser aus. Sie hält fest: Eine Sperre von Twitter
oder Facebook sei "aus rechtlicher und praktischer Sicht nicht denkbar".
SRF:
Gesperrte Geldspiel-Seiten "Netzsperren bringen statt Lösungen
nur Probleme"
Das sei ein Dammbruch, sagen Experten nach dem Entscheid des Nationalrates
zum Online-Glücksspiel. Mit dem neuen Geldspielgesetz wird erstmals
in der Schweiz eine sogenannte Netzsperre eingeführt. Netzsperren
können immer umgangen werden Mehr zum Thema
Netzsperren seien immer die falsche Option, sagt Alexander
Sander, Geschäftsführer bei der Digitalen Gesellschaft
Deutschland. Erstens, weil sie so gut wie immer umgangen werden
können - ihr beabsichtigtes Ziel also in der Regel nicht
erreichen. Zweitens lösten sie das grundlegende Problem nicht, sagt
Sander. Ein illegales Online-Angebot bestehe nämlich weiterhin,
es werde nur unsichtbar gemacht.
Das sei also keine Ursachen-, sondern Symptombekämpfung. Die
Auswirkungen von Netzsperren seien vor diesem Hintergrund
unverhältnismässig hoch, eine absurde technische
Zensurmassnahme.
In verschiedenen europäischen Ländern werden Netzsperren
regelmässig zum "Schutz vor Terrorismus" und "Kindsmissbrauch"
gefordert. Fachleute sind sich jedoch einig: Löschen bringt mehr als
sperren. Illegale Angebote sollen strafrechtlich belangt, abgeschaltet
und den Hintermännern das Handwerk gelegt werden. Insbesondere im
Fall von Terrorismus und Kindsmissbrauch sei ein Deckmantel des Schweigens
ein fatales und kontraproduktives Signal.
Dass in der Schweiz einschneidende Zensurmassnahmen mit wenig bedrohlichen
Glückspielangeboten gerechtfertigt werden, lässt Schlechtes
für die Zukunft befürchten, sagt Linus Neumann vom Chaos
Computer Club. Dieser ist die grösste europäische
Hackervereinigung und seit über dreissig Jahren Vermittler im
Spannungsfeld technischer und sozialer Entwicklungen.
Seien die technischen Anlagen und juristischen Prozesse für
Netzsperren erst einmal etabliert, würden umgehend Forderungen nach
Ausweitung in andere Bereiche laut, sagt Neumann. Deswegen sei schon
der erste Schritt zum Errichten einer Zensur-Infrastruktur zu unterbinden.