Donald Trump hat seinen Vize vorgestellt:
Mike Pence:

Spiegel:
Es dauert allein zehn Minuten, bis Donald Trump den Namen der Person
nennt, wegen der er hier ist. Lieber spricht er erst mal über sich
selbst, über seine Familie, über seine Hotels, über den
"unglaublichen Parteitag" nächste Woche und über "Crooked
Hillary", wie er seine demokratische Rivalin nennt.
"Mike Pence!", bellt er schliesslich, während der Gouverneur von
Indiana hinter der Bühne wartet wie ein vergessener Schuljunge:
"Der Mann, der in diesem Wahlkampf mein Partner sein wird." Ohne den Blick
zu heben, liest er dann ein paar obligatorische Komplimente vom Blatt:
"Solide Person", "ein Führer, der uns eine sichere Gesellschaft
bringen wird", "ein Freund".
Trump legt den Merkzettel immer wieder mitten im Satz beiseite und
schwadroniert stattdessen von seinen eigenen Vorzügen ("Ich bin der
Law-and-order-Kandidat"), von seinen Bauprojekten, von seinen Kindern
und vom mutmasslichen Nizza-Attentäter, der Terrorparolen "durch
das Fenster gebrüllt" habe.
Ach ja, "zurück zu Mike Pence": Widerwillig widmet sich Trump wieder
den Notizen, die ihm seine Berater aufgeschrieben haben. Erst nach
28 Minuten darf Pence selbst ans Mikrofon treten, um eine völlig
konventionelle, völlig langweilige und schnell vergessene Rede zu
halten, in der er der Trump-Familie "für ihre Opfer" dankt und dem
Herrgott "für seine Gnade".
Die freudlose Premiere von Trumps Nummer zwei am Samstagmittag in
Manhattan - in einem freudlosen Ballsaal vor einem freudlosen Publikum -
ist ein Kondensat dieses gesamten Wahlkampfes: bizarr, undiszipliniert,
demütigend und stets der Person Trumps untergeordnet.
Die seltsame Stunde ist auch ein Vorgeschmack auf den Wahlparteitag
der Republikaner, der am Montag in Cleveland beginnt, und auf eine
mögliche Trump-Präsidentschaft.
Bei seinem ersten Auftritt vor der breiteren US-Öffentlichkeit
präsentiert sich Pence als Dolmetscher, der Trumps Demagogie
in gesellschaftlich akzeptable Phrasen verwandelt. Seine kurze Rede
reduziert sich schliesslich auf einen einzigen Satz: "Hillary Clinton
darf nicht Präsidentin der USA werden."
Trump gibt zu, dass dies eine Pflichtehe für "die Einheit der Partei"
sei. Der christlich-konservative Hardliner Pence soll den religiösen
Flügel bezirzen, der Trump misstraut. Er soll seine Kontakte
im Kongress, in dem er zwölf Jahre sass, spielen lassen, um die
Skeptiker zu besänftigen. Er soll die Milliardärsbrüder
Charles und David Koch, mit denen er befreundet ist, auf Trumps Seite
bringen und die Chaos-Kandidatur in stille Gewässer steuern.
Politisch ist Pence in vielerlei Hinsicht der Anti-Trump: Er war
für den Irak-Krieg, vertrat im Kongress eine moderate Immigrations-
und offene Handelspolitik und kritisierte Trumps Forderung nach einer
Einreisesperre für Muslime als "widerlich und verfassungswidrig"
- was er nun schnell widerrief.
Landesweit bekannt wurde Pence als flammender Homophob: In Indiana
unterzeichnete er voriges Jahr ein Gesetz zum Schutz der "religiösen
Freiheit", das die offene Diskriminierung von Schwulen und Lesben
erlaubt.
Viel steht auf dem Spiel, nicht nur für Trump. Die Vize-Wahl ist eine
der folgenreichsten Entscheidungen eines Präsidentschaftskandidaten.
Eine gute Wahl kann seine Aussichten stärken, eine schlechte kann
sie killen. John McCain begrub seine Chancen, als er Sarah Palin aus
der Wildnis Alaskas holte.
In diesem Fall ging schon vor der verpatzten Vorstellung fast alles
schief. Allein die Interessentenliste war auffallend kurz: Die meisten
Top-Republikaner verbaten sich, für den Posten in Betracht gezogen
zu werden.
Übrig blieben Newt Gingrich, der abgehalfterte Ex-Sprecher des
Repräsentantenhauses, Chris Christie, der abgehalfterte Governeur
von New Jersey, und Pence, ein Relikt der alten Kulturkriege um Sex
und Abtreibung.
Bis zum Schluss zauderte Trump. In letzter Minute - Pence war bereits in
New York - wollte Trump seine Entscheidung angeblich noch mal revidieren:
Um Mitternacht habe er seine Berater gefragt, wie er sich denn "rausreden"
könnte, meldeten mehrere TV-Sender. Das Gerücht soll vom
unterlegenen Rivalen Christie lanciert worden sein. Wahr oder nicht,
es blamierte Pence.
Die miese Stimmung hängt auch über dem lakonischen Auftritt
im Ballsaal. Zum Ende schüttelt Trump Pence kurz die Hand, wendet
sich dann aber sofort wieder ab, um allein in die Kameras zu winken. Aus
den Boxen tönt ein Rolling-Stones-Hit von 1969: "You Can't Always
Get What You Want."