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Eine Zote ist nach Duden ein derber obszöner Witz, der
gegen den guten Geschmack verstösst.
In Deutschland tobt zur Zeit ein Streit auf verschiedenen Ebenen über
Jan Böhmermann und sein Schmähgedicht gegen Erdogan.
Wer es liest, muss sich die Frage stellen, ob primitiven Zoten auch
geschützt werden müssen.
Das Gedicht wurde im ZDF gesendet. Die Zeilen führten jedenfalls
zu einer Auseinandersetzung auf diplomatischer Ebene.
Angela Merkel verbrennt sich die Finger, wenn sie Böhmermann, der
Satiriker angeklagt. Und verbrennt sich die andere Hand,
wenn die beleidigenden Worte unter dem Segel "Medienfreiheit"
verteidigt werden, Es ist eine "No-win Situation" für
das politische Berlin. Das ZDF hat die Passage im Archiv zwar gelöscht,
weil der nicht den gängigen Qualitätsanforderungen genüge,
der Text ist trotzdem weit verbreitet worden. Vielleicht gerade wegen der
vielen Diskussionen.
Nachtrag vom 23. April:
Merkel rudert in derAffaire Boehmermann zurueck.
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Hier ist der Text:
Jan Böhmermann: Schmähkritik
Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdogan der Präsident.
Sein Gelöt stinkt schlimm nach
Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann, der Mädchen
schlägt,
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebste mag er Ziegen ficken,
Das wäre jetzt quasi eine Sache
die Ralf Kabelka: Nee(und schüttelt den Kopf)
Jan Böhmermann:
Kurden treten, Christen hauen,
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heisst
statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.
Das ist eine Sache...
Ralf Kabelka: Das darf man nicht machen.
Böhmermann: Das darf man nicht machen.
Ralf Kabelka: Nicht Präsident sagen.
Böhmermann: Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpel- klöten.
von Ankara bis Istanbul,
weiss jeder, dieser Mann ist schwul.
Pervers, zerlaust und zoophil
Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer wie seine Eier,
Der Star auf jeder Gangbang-Feier.
Bis der Schwanz beim pinkeln
brennt,
das ist Recep Erdogan,
der türkisiche Präsident.
Der Text provoziert und wirft alte Fragen auf:
Müssen auch solchte Texte als Pressefreiheit geschützt werden?
Wie weit darf Satire gehen? Gibt es nicht auch Grenzen des guten Geschmacks?
Angela Merkel und ihre Berater sind nicht zu beneiden. Sie stecken
derzeit alle in einem Dilemma.
Im
Focus hat sich ein Philologe Oliver Jahraus:
In der aufgeregten Debatte um die sogenannte Schmähkritik, die
Jan Böhmermann in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen
hat, gibt es mittlerweile so viele, aufgeregte und besonnene, dumme
und kluge Stimmen, die die Affäre aus politischer, juristischer,
medial-institutioneller Perspektive beleuchten, dass die Sicht eines
Philologen auf diese Sache nun wirklich gerade noch gefehlt hat.
Das ist ironisch gemeint - und doch auch wieder nicht.
Denn in der Tat gibt es bei allen extremen Ausfaltungen dieser
Diskussion doch einen Konsens darüber, wie geschmacklos und
schlecht dieses Gedicht selbst sei, woraus fast alle denselben
Schluss ziehen:
dass es noch nicht einmal der Mühe wert ist, den Text selbst
genauer anzuschauen. Damit umgeht man auch das Paradox der Entschuldigung
für eine Beleidigung, die die Beleidigung, um den Gegenstand der
Entschuldigung deutlich zu machen, wiederholen muss, allerdings
im Modus des Zitats. Um es deutlich zu sagen: Ich teile diesen
Konsens, aber kann als Philologe nicht anders, als den Text dann
eben selbst anzuschauen. Philologen verstehen vielleicht nichts von
Verfassungsrechten oder grosser Politik, sie verstehen aber wohl
etwas davon, wie Texte funktionieren, wie sie strukturiert sind,
was sie mit Sprache machen, welche argumentativen und rhetorischen Strategien sie anwenden.
Drei Momente, die auch schon in der einen oder anderen Hinsicht in
den Diskussionen genannt wurden, können deutlicher herausgestellt
werden, wenn man sich dem Text zuwendet.
Wann immer ein Philologe einen Text untersucht, muss er wissen, was der
Text ist, das heisst vor allem: wo der Text seine Grenzen hat. Es kann
hier nicht um das Gedicht allein gehen, das Jan Böhmermann
vorgelesen hat, es muss auch um den Rahmen gehen, weil der Rahmen
wesentlich dazu beiträgt, wie wir das Gedicht verstehen. Es macht ja auch
einen Unterschied, ob wir jemanden im dichten U-Bahn-Gedränge
hören, wie er über den Unterschied von Sein und Nichtsein schwadroniert
oder eben auf einer Bühne vor zahlendem Publikum. Im ersten Fall wären
wir irritiert, im zweiten angerührt.
Auf den ursprünglichen Text (das wäre die Sendung selbst
gewesen) können wir nicht mehr zurückgreifen, weil das ZDF
sie aus der Mediathek entfernt hat. Für Philologen immer ein
Problem. Nun gibt es zwar eine Verschriftlichung, sozusagen ein Protokoll oder Textbuch der Passage
im Netz, aber wie im Grundkurs der Theaterwissenschaft gelernt, sehen
wir den Unterschied zwischen Drama (schriftlicher Text) und Theater
(Aufführung des Dramas im Theater, hier: die gesendete Sendung).
Nungut. Selbst innerhalb dieses Textbuchs darf man das Gedicht,
genannt Schmähkritik, nicht isolieren, weil es auch hier einen
Rahmen gibt, der die Bedeutung des Gedichts verändert. Es wird
nämlich angekündigt als
ein Text, der nicht durch das Grundrecht der Pressefreiheit gedeckt
ist - und das in einer Art von performativem Widerspruch. Was
heisst das?
Indem Böhmermann angibt, den Bereich der Pressefreiheit zu
verlassen, beruft er sich unausgesprochen eben damit - indem er das sagt -
genau auf dieses Recht - zurecht. Der deutsche Soziologe Niklas
Luhmann hätte es wohl so formuliert: Wenn man also ein Aussen, in dem
ein Text als Beleidigung gelten mag, von einem Innen unterschiedet,
in dem derselbe Text als Satire gilt, dann will Böhmermann genau
auf diesen Unterschied aufmerksam machen, in dem er innen (im Rahmen
seiner Sendung, im Rahmen der Ankündigung, etwas Unerlaubtes zu
sagen) genau diesen Unterschied
wiederholt. Aber das ist eine interne Unterscheidung, die nirgendwo
den äusseren Rahmen einer Satiresendung verletzt.
Neben der Pressefreiheit wird auch die Kunstfreiheit für Jan
Böhmermann bemüht. Aber ist das Kunst? Halthalthalt. Wer so
fragt, ist schon begrifflich verloren, denn nun wird er nicht anders
können als weiterzumachen, bis er bei der Definition angelangt
ist: Kunst komme von Können. Wollen wir das wirklich?
Betrachten wir die Geschichte der Kunst, so gibt es grosse Kunst, aber
andererseits ist alles Kunst, was sich selbst als Kunst in
irgendeiner Weise zu erkennen gibt. Das eine ("grosse Kunst") ist
ein normativer Kunstbegriff (die Norm lautet: Kunst muss gross sein),
das andere ein beschreibender oder formaler Begriff von Kunst.
Wie auch immer: Man erkennt in diesen Tagen nicht immer, wie diese
Sphären auseinandergehalten werden. Von Woody Allen gibt es
den Witz:
In diesem Restaurant ist das Essen so schlecht und auch die
Portionen so klein. So etwas kann man in der derzeitigen Debatte
häufig nachverfolgen. Die Grenzen zwischen einer moralischen,
ästhetischen, politischen und juristischen Beurteilung
verschwimmen. Die mangelnde ästhetische Qualität des Gedichts
gibt Anlass, an ihrem Charakter als Satire zu zweifeln.
Dazu ist zweierlei zu sagen: Das Gedicht ist ein unzulässig
isolierter Textbaustein (siehe: Rahmen), die Berufung auf ein
Grundrecht kann nicht mit der Berufung auf ästhetische
oder moralische Qualitäten gerechtfertigt werden, und wo es
geschieht, sind wir auf dem Weg zur Hölle. Allerdings ist dies
in der Kulturgeschichte vielfach geschehen - und damit bin ich beim
letzten Punkt.
Blicke ich nun auf das Gedicht selbst, dann ist es schlecht und
geschmacklos und pennälerhaft - alles geschenkt, aber es ist
auch dramatisch undramatisch. Solche Formen der Schmähungen
Mächtiger hat es immer schon gegeben, und wie unterschiedlich wir
heute entsprechende Text auch bewerten, wir können entdecken,
dass sie in ihrem zeitgenössischen Kontext genauso abgelehnt
wurden wie jetzt Böhmernanns Schmähkritik.
Man könnte eine lange Liste grosser deutscher Autoren, aus
der Literaturgeschichte nicht mehr wegzudenken, auflisten, die
ähnliche Erfahrungen wie Böhmermann gemacht haben, was
nicht heissen soll, dass
ich dem Namen Böhmermann einen Platz in zukünftigen
Literaturgeschichten prognostiziere. Und auch ein Blick in den Text des
Gedichtes zeigt, dass Böhmermann nicht besonders originell ist.
Ich will nur zwei Elemente herausgreifen, die Metapher und die
Überschreitung:
Die sexuelle, (anal-)sadistische, sodomitische Verunglimpfung ist im
Grunde genommen ein bekanntes Instrumentarium der Schmähung. Auch
Hitler und Kim Jong Un mussten sie erfahren. Für die Macht,
die man als Ohnmächtiger zu treffen sucht, gibt es eine
Zentralmetapher: die (sexuelle) Potenz. Die abstrakte Macht wird somit
als konkrete Sexualkraft angreifbar. Die Macht wird entlarvt, indem
sie als Potenz, die versagt, vorgeführt wird. Das Versagen wird
wiederum kompensiert durch die Perversion: Pädophilie, Sodomie,
Sadismus werden aufgefahren.
Und die Art, wie sie aufgefahren werden, folgt einer Dramaturgie der
Überbietung: Jede Perversion wird so eingeführt, dass sie
von einer anderen noch überboten wird. Ein anderes Instrument,
das hier eher im
Hintergrund bleibt, ist das Lächerlich-Machen, man denke an Chaplins
Hitler-Parodie. Das alles ist - historisch - bekannt.
Und da ist er wieder, der begrenzte Blick des Philologen, der alles,
was er beobachtet, vor der Folie einer historischen Entwicklung
beobachtet. Andererseits, so begrenzt ist dieser Blick nicht, denn
manchmal kann man selbst heute noch aus der Geschichte lernen. Wie
schlimm es auch Schmähkritikern im einzelnen ergangen sein mag,
in der long run war ein Kampf gegen Schmähkritik nie erfolgreich.