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www.rhetorik.ch aktuell: (16. Apr, 2016)

Das Erdogan Schmaehgedicht

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:


Eine Zote ist nach Duden ein derber obszöner Witz, der gegen den guten Geschmack verstösst. In Deutschland tobt zur Zeit ein Streit auf verschiedenen Ebenen über Jan Böhmermann und sein Schmähgedicht gegen Erdogan. Wer es liest, muss sich die Frage stellen, ob primitiven Zoten auch geschützt werden müssen. Das Gedicht wurde im ZDF gesendet. Die Zeilen führten jedenfalls zu einer Auseinandersetzung auf diplomatischer Ebene. Angela Merkel verbrennt sich die Finger, wenn sie Böhmermann, der Satiriker angeklagt. Und verbrennt sich die andere Hand, wenn die beleidigenden Worte unter dem Segel "Medienfreiheit" verteidigt werden, Es ist eine "No-win Situation" für das politische Berlin. Das ZDF hat die Passage im Archiv zwar gelöscht, weil der nicht den gängigen Qualitätsanforderungen genüge, der Text ist trotzdem weit verbreitet worden. Vielleicht gerade wegen der vielen Diskussionen. Nachtrag vom 23. April: Merkel rudert in derAffaire Boehmermann zurueck.


Hier ist der Text:
Jan Böhmermann: Schmähkritik
Sackdoof, feige und verklemmt,
ist Erdogan der Präsident.
Sein Gelöt stinkt schlimm nach
Döner,
selbst ein Schweinefurz riecht schöner.
Er ist der Mann, der Mädchen
schlägt,
und dabei Gummimasken trägt.
Am liebste mag er Ziegen ficken,
Das wäre jetzt quasi eine Sache
die Ralf Kabelka: Nee(und schüttelt den Kopf)
Jan Böhmermann:
Kurden treten, Christen hauen,
und dabei Kinderpornos schauen.
Und selbst abends heisst
statt schlafen,
Fellatio mit hundert Schafen.
Ja Erdogan ist voll und ganz,
ein Präsident mit kleinem Schwanz.
Das ist eine Sache...
Ralf Kabelka: Das darf man nicht machen.
Böhmermann: Das darf man nicht machen.
Ralf Kabelka: Nicht Präsident sagen.
Böhmermann: Jeden Türken hört man flöten,
die dumme Sau hat Schrumpel- klöten.
von Ankara bis Istanbul,
weiss jeder, dieser Mann ist schwul.
Pervers, zerlaust und zoophil
Recep Fritzl Priklopil.
Sein Kopf so leer wie seine Eier,
Der Star auf jeder Gangbang-Feier.
Bis der Schwanz beim pinkeln
brennt,
das ist Recep Erdogan, 
der türkisiche Präsident.
Der Text provoziert und wirft alte Fragen auf: Müssen auch solchte Texte als Pressefreiheit geschützt werden? Wie weit darf Satire gehen? Gibt es nicht auch Grenzen des guten Geschmacks? Angela Merkel und ihre Berater sind nicht zu beneiden. Sie stecken derzeit alle in einem Dilemma.

Im Focus hat sich ein Philologe Oliver Jahraus:
In der aufgeregten Debatte um die sogenannte Schmähkritik, die Jan Böhmermann in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen hat, gibt es mittlerweile so viele, aufgeregte und besonnene, dumme und kluge Stimmen, die die Affäre aus politischer, juristischer, medial-institutioneller Perspektive beleuchten, dass die Sicht eines Philologen auf diese Sache nun wirklich gerade noch gefehlt hat. Das ist ironisch gemeint - und doch auch wieder nicht. Denn in der Tat gibt es bei allen extremen Ausfaltungen dieser Diskussion doch einen Konsens darüber, wie geschmacklos und schlecht dieses Gedicht selbst sei, woraus fast alle denselben Schluss ziehen: dass es noch nicht einmal der Mühe wert ist, den Text selbst genauer anzuschauen. Damit umgeht man auch das Paradox der Entschuldigung für eine Beleidigung, die die Beleidigung, um den Gegenstand der Entschuldigung deutlich zu machen, wiederholen muss, allerdings im Modus des Zitats. Um es deutlich zu sagen: Ich teile diesen Konsens, aber kann als Philologe nicht anders, als den Text dann eben selbst anzuschauen. Philologen verstehen vielleicht nichts von Verfassungsrechten oder grosser Politik, sie verstehen aber wohl etwas davon, wie Texte funktionieren, wie sie strukturiert sind, was sie mit Sprache machen, welche argumentativen und rhetorischen Strategien sie anwenden. Drei Momente, die auch schon in der einen oder anderen Hinsicht in den Diskussionen genannt wurden, können deutlicher herausgestellt werden, wenn man sich dem Text zuwendet. Wann immer ein Philologe einen Text untersucht, muss er wissen, was der Text ist, das heisst vor allem: wo der Text seine Grenzen hat. Es kann hier nicht um das Gedicht allein gehen, das Jan Böhmermann vorgelesen hat, es muss auch um den Rahmen gehen, weil der Rahmen wesentlich dazu beiträgt, wie wir das Gedicht verstehen. Es macht ja auch einen Unterschied, ob wir jemanden im dichten U-Bahn-Gedränge hören, wie er über den Unterschied von Sein und Nichtsein schwadroniert oder eben auf einer Bühne vor zahlendem Publikum. Im ersten Fall wären wir irritiert, im zweiten angerührt. Auf den ursprünglichen Text (das wäre die Sendung selbst gewesen) können wir nicht mehr zurückgreifen, weil das ZDF sie aus der Mediathek entfernt hat. Für Philologen immer ein Problem. Nun gibt es zwar eine Verschriftlichung, sozusagen ein Protokoll oder Textbuch der Passage im Netz, aber wie im Grundkurs der Theaterwissenschaft gelernt, sehen wir den Unterschied zwischen Drama (schriftlicher Text) und Theater (Aufführung des Dramas im Theater, hier: die gesendete Sendung). Nungut. Selbst innerhalb dieses Textbuchs darf man das Gedicht, genannt Schmähkritik, nicht isolieren, weil es auch hier einen Rahmen gibt, der die Bedeutung des Gedichts verändert. Es wird nämlich angekündigt als ein Text, der nicht durch das Grundrecht der Pressefreiheit gedeckt ist - und das in einer Art von performativem Widerspruch. Was heisst das? Indem Böhmermann angibt, den Bereich der Pressefreiheit zu verlassen, beruft er sich unausgesprochen eben damit - indem er das sagt - genau auf dieses Recht - zurecht. Der deutsche Soziologe Niklas Luhmann hätte es wohl so formuliert: Wenn man also ein Aussen, in dem ein Text als Beleidigung gelten mag, von einem Innen unterschiedet, in dem derselbe Text als Satire gilt, dann will Böhmermann genau auf diesen Unterschied aufmerksam machen, in dem er innen (im Rahmen seiner Sendung, im Rahmen der Ankündigung, etwas Unerlaubtes zu sagen) genau diesen Unterschied wiederholt. Aber das ist eine interne Unterscheidung, die nirgendwo den äusseren Rahmen einer Satiresendung verletzt. Neben der Pressefreiheit wird auch die Kunstfreiheit für Jan Böhmermann bemüht. Aber ist das Kunst? Halthalthalt. Wer so fragt, ist schon begrifflich verloren, denn nun wird er nicht anders können als weiterzumachen, bis er bei der Definition angelangt ist: Kunst komme von Können. Wollen wir das wirklich? Betrachten wir die Geschichte der Kunst, so gibt es grosse Kunst, aber andererseits ist alles Kunst, was sich selbst als Kunst in irgendeiner Weise zu erkennen gibt. Das eine ("grosse Kunst") ist ein normativer Kunstbegriff (die Norm lautet: Kunst muss gross sein), das andere ein beschreibender oder formaler Begriff von Kunst. Wie auch immer: Man erkennt in diesen Tagen nicht immer, wie diese Sphären auseinandergehalten werden. Von Woody Allen gibt es den Witz: In diesem Restaurant ist das Essen so schlecht und auch die Portionen so klein. So etwas kann man in der derzeitigen Debatte häufig nachverfolgen. Die Grenzen zwischen einer moralischen, ästhetischen, politischen und juristischen Beurteilung verschwimmen. Die mangelnde ästhetische Qualität des Gedichts gibt Anlass, an ihrem Charakter als Satire zu zweifeln. Dazu ist zweierlei zu sagen: Das Gedicht ist ein unzulässig isolierter Textbaustein (siehe: Rahmen), die Berufung auf ein Grundrecht kann nicht mit der Berufung auf ästhetische oder moralische Qualitäten gerechtfertigt werden, und wo es geschieht, sind wir auf dem Weg zur Hölle. Allerdings ist dies in der Kulturgeschichte vielfach geschehen - und damit bin ich beim letzten Punkt. Blicke ich nun auf das Gedicht selbst, dann ist es schlecht und geschmacklos und pennälerhaft - alles geschenkt, aber es ist auch dramatisch undramatisch. Solche Formen der Schmähungen Mächtiger hat es immer schon gegeben, und wie unterschiedlich wir heute entsprechende Text auch bewerten, wir können entdecken, dass sie in ihrem zeitgenössischen Kontext genauso abgelehnt wurden wie jetzt Böhmernanns Schmähkritik. Man könnte eine lange Liste grosser deutscher Autoren, aus der Literaturgeschichte nicht mehr wegzudenken, auflisten, die ähnliche Erfahrungen wie Böhmermann gemacht haben, was nicht heissen soll, dass ich dem Namen Böhmermann einen Platz in zukünftigen Literaturgeschichten prognostiziere. Und auch ein Blick in den Text des Gedichtes zeigt, dass Böhmermann nicht besonders originell ist. Ich will nur zwei Elemente herausgreifen, die Metapher und die Überschreitung: Die sexuelle, (anal-)sadistische, sodomitische Verunglimpfung ist im Grunde genommen ein bekanntes Instrumentarium der Schmähung. Auch Hitler und Kim Jong Un mussten sie erfahren. Für die Macht, die man als Ohnmächtiger zu treffen sucht, gibt es eine Zentralmetapher: die (sexuelle) Potenz. Die abstrakte Macht wird somit als konkrete Sexualkraft angreifbar. Die Macht wird entlarvt, indem sie als Potenz, die versagt, vorgeführt wird. Das Versagen wird wiederum kompensiert durch die Perversion: Pädophilie, Sodomie, Sadismus werden aufgefahren. Und die Art, wie sie aufgefahren werden, folgt einer Dramaturgie der Überbietung: Jede Perversion wird so eingeführt, dass sie von einer anderen noch überboten wird. Ein anderes Instrument, das hier eher im Hintergrund bleibt, ist das Lächerlich-Machen, man denke an Chaplins Hitler-Parodie. Das alles ist - historisch - bekannt. Und da ist er wieder, der begrenzte Blick des Philologen, der alles, was er beobachtet, vor der Folie einer historischen Entwicklung beobachtet. Andererseits, so begrenzt ist dieser Blick nicht, denn manchmal kann man selbst heute noch aus der Geschichte lernen. Wie schlimm es auch Schmähkritikern im einzelnen ergangen sein mag, in der long run war ein Kampf gegen Schmähkritik nie erfolgreich.

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