Tagi:
Was ein Kommunikationsprofi über Thomas Aeschis Auftritte sagt
Der Bundesratskandidat sei medienrhetorisch top, hinterlasse aber
einen zwiespältigen Eindruck, meint Marcus Knill. Und er sagt,
ob der K.-o-Tropfen-Gag dem SVP-Politiker schaden könnte.
Senkrechtstarter der SVP und Kronfavorit für die Bundesratswahl im
Dezember: Thomas Aeschi.
Marcus Knill arbeitet als selbstständiger Kommunikationsberater
und Coach. Der Experte für Medienrhetorik aus Uhwiesen ZH coacht
Führungskräfte aus Wirtschaft und Staat, Politiker, Piloten,
Staatsanwälte, Lehrkräfte und Spitzensportler. Auf seinen
Blogs Rhetorik.ch und Knill Blog analysiert er regelmässig
die mediale Öffentlichkeit und ihre Protagonisten aus dem In-
und Ausland. Auf Anfrage von Tagesanzeiger.ch/Newsnet hat Knill das
Auftreten von Bundesratskandidat Thomas Aeschi analysiert. Hier folgt
seine Einschätzung im Wortlaut:
"Der erste Eindruck prägt bekanntlich. Der junge, dynamische
Bundesratskandidat überzeugt auf Anhieb dank seiner bescheidenen,
unverkrampften Art. Der mehrsprachige Politiker wird in den Medien
als weltoffen, intellektuell und integer beschrieben. Der strebsame
Ökonom ist rhetorisch begabt und sehr gut ausgebildet (HSG
und Harvard). Er spricht ohne Marotten. Niemand zweifelt an seiner
Kompetenz. Ist dieser Kronfavorit nun wohl die Verkörperung der
neuen SVP-Generation?
Während des Sprechens fühlt man sich durch den wachen
Blick angesprochen. Dennoch sehen viele meiner Berufskollegen in den
Gesichtszügen des Senkrechtstarters etwas Zwiespältiges. Darauf
angesprochen, nennen sie Details - wie zum Beispiel das asymmetrische
Gesicht, die schmale Oberlippe, den schrägen Mund beim Sprechen
oder auch die eng stehenden Augen.
Wenn ich den Begriff #zwiespältig# nochmals aufnehme, so nicht
des Gesichtes wegen (das ist für mich kein Kriterium), sondern
hinsichtlich der Wirkung des Politikers. Er gibt sich in den Interviews
sehr bescheiden. Jeder weiss aber genau, dass sich niemand ohne Ehrgeiz
und Ellbogen so rasch emporarbeiten kann. Die Bescheidenheit muss
somit bei dieser steilen Karriere relativiert werden. Ich zitiere einen
Parlamentarier: #Sein Ehrgeiz kann zu Übereifer führen.# Er
glaubt zu allem immer etwas sagen zu müssen. Mein Gesamteindruck:
Trotz medienrhetorischer Topnote hinterlässt Aeschi einen
zwiespältigen Eindruck.
Als strategisch denkender Unternehmensberater bedenkt Aeschi jedes
Wort, jede Formulierung. Er antwortet eindeutig, ohne Zögern,
ohne Füllwörter. Es besteht keine Gefahr, dass er in
Fettnäpfchen tritt. Der talentierte Rhetoriker wirkt forsch
und über Strecken etwas spröd. Aeschi sei immer sehr gut
vorbereitet, heisst es. Aber die Sitzungen sind meist länger als
geplant. Ob er wohl Mühe hat, Prioritäten zu setzen? Der Mangel
an grosser, langjähriger Führungserfahrung scheint wohl das
einzige nennenswerte Defizit des Bundesratskandidaten zu sein.
Als Präsident der Zuger SVP, die wegen der Sexaffäre um Markus
Hürlimann und Jolanda Spiess-Hegglin unruhige Zeiten durchmachte,
gelang es Aeschi, die Wogen in der Partei wieder zu glätten. Sein
Auftritt im SVP-Wahlvideo "Welcome to SVP" und damit der Gag mit einer
Flasche Zuger Kirsch und den K.-o.-Tropfen wird kaum einen Einfluss auf
seine Bundesratskandidatur haben. Das wird Aeschi nicht schaden. Man kann
es der SVP nicht verübeln, dass sie sich über die Sexaffäre
lustig machte, nachdem die Strafuntersuchung nichts Relevantes ergeben
hatte."