Es wäre eine Überraschung. Gerüchte kursieren, dass
Sepp Blatter es sich nochmals überlegt und einen Rücktritt
vom Rücktritt im Auge habe:
Aus dem
Spiegel:

Seit 1998 führt Joseph Blatter die Fifa, regiert den
Weltfussballverband wie ein kleiner König. Dass er da
so einfach seinen Posten räumt, wäre schon fast eine
Überraschung. Selbst wenn er am 2. Juni, auf dem Höhepunkt
der Fifa-Krise, genau das versprochen hat: einen Rücktritt
zum Ende des Jahres. Nun jedoch kommen aus der Schweiz ganz andere
Töne. Der 79-Jährige habe über seine berufliche Zukunft
nachgedacht, heisst es in der Zeitung "Schweiz am Sonntag". Ergebnis
der Gedankengänge: Blatter kann sich angeblich vorstellen, doch
noch weiterzumachen.
Als Grund für diesen angeblichen Kurswechsel wird in dem Bericht die
vehemente Unterstützung für Blatter aus den Verbänden in
Afrika und Asien genannt. Diese schmeichelt Blatter angeblich so sehr,
dass er seine Demissionsankündigung überdenken möchte,
heisst es.
PR-Berater Klaus J. Stöhlker, persönlicher Berater Blatters bei
dessen Wiederwahl, sagte der Zeitung: "Es ist schwer, jemanden zu finden,
der ebenbürtig ist. Blatter hat den Verband zu einem globalen, sehr
erfolgreichen Konzern aufgebaut - und er ist ein Spitzendiplomat." Weiter
äusserte er: "Blatter hat eine faire Chance. Es kommt nun drauf an,
wie er sich in den nächsten Monaten verhält." Ausserdem sei
Blatter der "gewählte Präsident".
Kokettiert Blatter hier nur, ist es eins seiner Machtspielchen? Oder
gar ein ernst gemeinter Pitch? Bisher sagen Fifa und Blatter-Büro
nichts zu den Spekulationen. Das übernehmen andere, die Reaktionen
auf die "Schweiz am Sonntag"-Meldung sind deutlich. Etwa vom Deutschen
Fussball-Bund (DFB): "Wir kennen auch nur die Medienberichte aus der
Schweiz, die uns in unserer klaren Haltung bestärken: Der von
Blatter selbst angekündigte Rücktritt muss jetzt so schnell
wie möglich formal vollzogen werden", sagte DFB-Mediendirektor Ralf
Köttker. Ähnlich hatte sich auch Domenico Scala als Vorsitzender
der Fifa-Compliance-Kommission geäussert.
Laut "Schweiz am Sonntag" könnte Blatters Sinneswandel der Grund
für den Rücktritt von Mediendirektor Walter De Gregorio gewesen
sein. Dieser soll den Fifa-Chef zu einem Neuanfang und einem sofortigen
Rücktritt geraten haben. De Gregorio wollte sich auf Anfrage nicht
zu diesem Thema äussern.
Auch für die Anti-Korruptions-Expertin Sylvia Schenk scheint
eine Rolle rückwärts des umstrittenen Fifa-Bosses kaum
denkbar zu sein: "Nach dem, was er da vorgeführt hat, kann er
nicht weitermachen", sagte die Leiterin der Arbeitsgruppe Sport von
Transparency International: "Das würden auch die Sponsoren und
sonst niemand anderes mitmachen. Das weiss Blatter auch."
(...)
Ein kompletter Sinneswandel des Funktionärs scheint angesichts der
massiven Gegenstimmen zwar kaum vorstellbar - ein gewisses Kalkül bei
den Gegnern von Fifa-Reformen wollte Korruptionsexpertin Schenk aber nicht
ausschliessen: "Einige mögen es sicher so haben wollen, dass Blatter
bleibt. Vielleicht geht es auch darum, bestimmte Nachfolger zu verhindern,
vielleicht aber auch um einen Kampf zwischen Afrika und Europa."
Aus der
Tagesschau:
Gerade mal zwei Wochen ist es her, seit sich Joseph S. Blatter
vom letzten FIFA-Kongress für eine fünfte Amtszeit
wählen liess: Trotz aller Turbulenzen um Festnahmen hochrangiger
FIFA-Funktionäre in einem Züricher Luxushotel, trotz einer 160
Seiten starken knallharten Anklageschrift der US-Justizbehörden
gegen 14 Personen und trotz massiven Rücktrittsforderungen. Doch
vier Tage später kam die Rücktrittsankündigung des
Präsidenten des Fussballweltverbandes.
Und jetzt eine neue Variante. Plant Sepp Blatter einen Rücktritt
vom Rücktritt? Die Wochenzeitung "Schweiz am Sonntag" meldet das
heute. Als Aufmacher. Und berichtet weiter: Afrikanische und asiatische
Fussballverbände setzten sich für Blatter ein und wollten
verhindern, dass er wie angekündigt, vorzeitig abtritt. Als Quelle
wird das engste Umfeld des Präsidenten des Weltfussballverbandes
genannt. Die "Schweiz am Sonntag" spricht bereits von der "Operation
Comeback". Blatter selbst sei über die Unterstützungsbekundungen
hocherfreut und schliesse nicht aus, sein Amt fortzuführen.
Damit würde das FIFA-Drama nicht nur um eine weitere Variante
ergänzt, sondern weitergehen. Hat Blatter also einmal mehr mit
seiner Rücktrittsankündigung geblufft? Spielt er nur auf
Zeit, um die Karten neu zu mischen und seine Truppen in Stellung zu
bringen? Bei "Seppi" ist vieles möglich. Der 79-jährige
Walliser ist mit allen Wassern gewaschen, kennt jeden Trick in der
Branche und hängt an seinem Amt. Der "Fussballpapst" hat schon
bei früheren Wahlen seine letzte Amtszeit angekündigt und
dann die Rolle rückwärts gemacht. Taktische Finten sind die
Spezialität des gerissenen Fussballspitzenfunktionärs.
Blatter weiss ausserdem, dass er immer noch grosse Unterstützung bei
vielen Verbänden geniesst. Der Grund: Er ist mehrheitsfähig,
bisher gibt es noch kaum herausragende Nachfolgekandidaten und Blatter
kennt die Furcht vieler afrikanischer und asiatischer Verbände
vor der europäischen Dominanz. Und der Noch-Präsident sei
in bester Laune, heisst es in der FIFA-Zentrale, und widme sich seinem
neuen Lieblingsprojekt, den FIFA-Reformen. Die brauche es, hat der ewige
Präsident bei seinem letzten Auftritt eingeräumt.
Doch kann der oberste Fussballfunktionär, in dessen Ära
die Korruption derart blühte, solche Reformen glaubhaft
exekutieren? Ob Blatter bleibt, hängt längst nicht mehr
von ihm selbst ab. Sondern davon, welche Ergebnisse die Ermittlungen
der amerikanischen Justizbehörden zutage fördern. Und davon,
wer von den bisher Verhafteten was ausgepackt hat und wer noch plaudern
wird. Um sich zu wappnen, hat Blatter offenbar den Schweizer Staranwalt
Lorenz Erni angeheuert. Der wurde am vergangenen Donnerstag bereits in
der FIFA-Zentrale gesichtet.