Trotz allen Unkenrufen, ist die Email nicht totzukriegen. Es ist ein nun 44 jähriges
Kommunikationsformat, das einmalig ist: es ist schnell, schneller als ein
Postbrief, man muss nicht sofort antworten, muss also nicht die Arbeit unterbrechen
wie beim Telefon oder Instant-Messaging. Man muss sich auch nicht auf Foren, Social networks
oder Intranet Kommunikationslisten einloggen. Und die Email ist auch nicht
unter Kontrolle einer Firma, welche jederzeit den Stecker aus dem Service ziehen
könnte, oder in die Gespräche rienhört. Auch ist das Format so einfach,
dass eine Archivierung oder Organisation von Email einfach ist.
Es ist auch ein Format, bei der man zuerst sicherstellen muss,
dass der Empfänger auch angemeldet ist.
Aber das geht eben nicht, aufhören. Die E-Mail, mit ihren 44 Jahren
ältestes Kommunikationsmittel der Internet-Ära, ist nicht nur
höchst lebendig, sie erlebt gerade ihren zweiten Frühling. Da
kann ein Internet-Unternehmen noch so mobil, volldigital, socialdings
und so weiter sein - ohne E-Mail kommen sie alle nicht aus. Im Gegenteil,
jetzt legen sie erst richtig los.
Twitter zum Beispiel. Der Kurznachrichtendienst hat 2012 für
eine unbekannte Summe ein Start-up gekauft, das eine "Social Marketing
Automation Platform" betrieb - die Firma RestEngine war auf automatisierte
E-Mail-Newsletter spezialisiert. Twitter-Nutzer bekommen nun seit einiger
Zeit regelmässig E-Mails, in denen sie auf besonders populäre
Tweets hingewiesen werden. Kein Witz. E-Mail wird hier gewissermassen
zum entschleunigenden Element im hektischen Echtzeit-Netz.
Instagram macht jetzt das Gleiche. Das Foto-Netzwerk, für das
Facebook einst eine Milliarde Dollar hinlegte, verschickt E-Mails an seine
Nutzer, und zwar zum ersten Mal in der Firmengeschichte . Das magische
Wort lautet hier, wie bei Twitter und RestEngine, "re-engagement":
Wenn den Netzwerken Nutzer verloren gehen, vielleicht, weil die mit dem
ganzen Fotos-Ansehen und Tweets-Lesen nicht mehr nachkommen, werden sie
per E-Mail freundlich daran erinnert, doch mal wieder reinzuschauen.
Auch in der traditionellen Medienbranche ist E-Mail plötzlich wieder
ein heisses Stückchen Technik, wie der Medienjournalist Stefan
Niggemeier am Wochenende in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung"
konstatierte. "Handelsblatt"-Chef Gabor Steingart, "Focus"-Chef Ulrich
Reitz, "Tagesspiegel"-Chef Lorenz Maroldt, "Bild"-Politikchef Bela Anda,
alle schreiben ihren Lesern jetzt direkt. Jeden Tag. Nur auf Wunsch,
versteht sich.
Nun könnte man in Häme über die Bräsigkeit deutscher
Chefjournalisten ausbrechen - ausgerechnet E-Mail! -, wären da nicht
diese ganzen furchtbar hippen Medien-Start-ups aus Amerika, die genau das
Gleiche machen. Oder zumindest fast, nur noch ein bisschen radikaler:
Während Steingart, Maroldt und Co. durchaus noch versuchen, den
E-Mail-Leser mit dem einen oder anderen Link ins eigene Blatt zu locken,
verzichten die E-Mail-Hipster aus den USA selbst darauf.
"Eine der Realitäten der digitalen Welt ist, dass die Leute auf
Ihrer Webseite keine Inhalte konsumieren werden", sagte Aneesh Raman, bei
der US-Firma Ozy fürs Marketing zuständig, dem Branchendienst
"Digiday". Ozy verschickt, klar, Newsletter. Der eine heisst "Presidential
Daily Brief", in Anlehnung an den morgendlichen Lagebericht, den Barack
Obama jeden Tag bekommt, der andere "Daily Dose". Zusammen haben die
beiden Newsletter angeblich über eine Million Abonnenten. Links
sind in diesen E-Mails oft gar keine mehr, mit Absicht.
"Wir betrachten E-Mail als etwas Eigenes, nicht als etwas, das einem
anderen Teil der Plattform dient", so zitiert "Digiday" Gideon Lichfield,
bei der auch sehr hippen Business-Website "Quartz" für deren
Newsletter "Daily Brief" zuständig.
...
Da haben wir es also: Die E-Mail ist deshalb nicht totzukriegen, weil
wir zwar alle permanent unter ihr leiden, aber es auch einfach nicht
lassen können, immer noch eine aufzumachen. Sterben wird sie erst,
wenn wir alle damit aufhören. Gleichzeitig. Also nie.