Gab es einen Coup in Nordkorea?
Kim Jong Un wird vermisst. Spekulationen und Vermutungen
tauchen auf. Das Internet ist voll von Gerüchten:
Er habe sich die Knöchel gebrochen. Er liebe Käse und sei dadurch
dicker geworden, er habe Diabetes, er habe Ebola. Er sei der ISIS beigetreten.
Offiziell erholt er sich nördlich von Pyongyang.
Tatsache ist, dass seit dem 3. September 2014 nichts mehr von Kim Jong Un zu sehen war.
Das ist ungewöhnlich. Morgen, am Freitag, an einer wichtigen Zeremonie wird man mehr wissen.
Wenn er dann nicht zu sehen ist, muss man mit einem Problem rechnen.
Zeit vom 8. Oktober:
Gewissermassen aus heiterem Himmel reiste am Samstagmorgen eine hoch-
bis höchstrangige Delegation aus dem Norden zur Abschlussfeier
der Asienspiele in der südkoreanischen Hafenstadt Incheon an. Die
Regierung in Seoul war nur Stunden zuvor informiert worden, konnte aber
in Windeseile den Premier, den Vereinigungsminister und den Nationalen
Sicherheitsberater von Präsidentin Park für Gespräche
mobilisieren.
Immerhin waren aus Pjöngjang die Nummer zwei und die Nummer
drei gekommen, so viel Prominenz aus dem Norden hatte Südkorea
seit fünf Jahren nicht gesehen. Dazwischen lagen nordkoreanische
Granatenangriffe, Raketentests, Atomversuche und Kriegsdrohungen.
Und jetzt schwebt plötzlich Marschall Hwang Pyong-so ein,
Vize-Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und damit in
der strengen Hierarchie des Nordens Zweiter hinter dem höchsten
Führer und Jungdiktator Kim Jong-un.
Was Beobachter elektrisierte: Der Marschall reiste in der
Präsidentenmaschine, die sonst allein der Nummer eins vorbehalten
ist. Und er wurde von einer Phalanx hochgewachsener Leibwächter
begleitet, die üblicherweise allein Kim schützen.
Seither wird spekuliert: Ist die Nummer zwei die neue Nummer
eins? "Da sind gewisse Dinge im Gange", sagt ein in ostasiatischen
Angelegenheiten sehr erfahrener Diplomat. "Die ganzen Umstände
sind ungewöhnlich."
Seit dem 3. September ist Kim Jong-un nicht mehr in der
Öffentlichkeit gesehen worden. Die jüngsten Fernsehbilder
zeigten ihn humpelnd. Kim sei "unpässlich", erklärten die
offiziellen Medien seine Abwesenheit.
Wenn aber der wahre Grund seines Unwohlseins darin liegt, das ihm das
Militär die Macht entzogen hat? Hatte Kim, als er nach dem Tod
seines Vaters Kim Jong-il im Winter 2011 mit Ende Zwanzig die Macht
übernahm, nicht ohnehin ein Autoritätsproblem bei der hohen
Generalität?
Nachtrag vom 10. Oktober:
Kim Jong Un ist nicht zum Jahrestag der Gründung der Arbeiterpartei
erschienen. Prof. Dr. Patrick Köllner ist Direktor des Instituts für
Asien-Studien am German Institute of Global und Area Studies (GIGA) meint,
dass das noch nicht viel bedeuten müsse:
20 Min:
- Zur Krankheit: "Kim Jong Un hat offenbar gesundheitliche
Probleme. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass seine
Rolle in Staat und Partei geschwächt ist", sagt Köllner. "Die
Staatsmedien berichten nach wie vor über Besuche Kim Jong Uns von
Militäreinheiten, Kooperativen etc. im Land. Wann genau die Visiten
stattgefunden haben, ob vor oder nach dem Verschwinden Kim Jong Uns,
weiss man aber nicht."
- Zu einem interner Putsch:
"Dass Hwang Pyong So den Staatsführer gestürzt haben soll
ist reine Spekulation. Es gibt keine Anzeichen für einen internen
Putsch", sagt Köllner. "Hwang Pyong So ist seit Kurzem Kim Jong Uns
offizieller Stellvertreter in diesem wichtigen Gremium und wurde auch
bereits vom Parlament bestätigt. Dies wurde seit Monaten erwartet,
ist also nichts Ungewöhnliches. Das hat unseres Wissens nach nichts
mit Kim Jong Uns Rückzug aus der Öffentlichkeit im letzten
Monat zu tun."
- Zu einer Familienfehde: "Auch Gerüchte über eine Familienfehde haben
keinen Anhaltspunkt. Das sind reine Spekulationen", sagt Köllner.
- Um einen Sündenbock zu finden:
"Nordkorea hat eine hochrangige Delegation nach Südkorea
geschickt. Dass Kim Jong Un seinen Stellvertreter in der Nationalen
Verteidigungskommission, Hwang Pyong So, mitschickte, ist nicht
bedenklich", sagt Köllner. "Es erscheint eher als symbolischer Akt,
um die Beziehungen zu verbessern und sendet ein Signal an Südkorea."
- Propaganda: "Dass Kim Jong Un der
Öffentlichkeit fernbleibt,
sehe ich nicht als bewusste Taktik", sagt Köllner. "Eigentlich
präsentieren sich nordkoreanische Regierungschefs häufig der
Öffentlichkeit, um Präsenz und Macht zu markieren - so wie Kim
Jong Un es auch in den letzten drei Jahren getan hat. Auch dass Kim Jong
Un nicht an den Feierlichkeiten zum 69. Jahrestag der Arbeiterpartei in
Nordkorea teilnahm, ist nicht weiter ungewöhnlich. Sein Vater Kim
Jong Il nahm zu Lebzeiten nur zweimal an den Feierlichkeiten teil."
Nachtrag vom 13. Oktober:
Kim Jong Un
soll nach 40 Tagen wieder aufgetaucht sein.