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"Gegen die Abzockerei", "für die Ausschaffung krimineller
Ausländer", "für die Unverjährbarkeit pornografischer
Straftaten an Kindern": In der Politik macht die Formulierkunst, die voll
ins Schwarze trifft, der Rhetorik den Rang streitig. Das haben auch die
Macher von Volksinitiativen - seien es Parteien oder Privatpersonen - gut
verstanden. Denn führt auch der Wortlaut eines Texts nicht allein zum
Sieg, so trägt er doch dazu bei. In welchem Ausmass? "Dazu gibt es
keine detaillierten Studien", stellt Oscar Mazzoleni, Politologe an der
Universität Lausanne fest. Ein Rezept für eine Formulierung,
die die Mehrheit der Bürger für sich gewinnt, existiert also
nicht - dafür aber Zutaten, die die Sauce sämig machen.
"Es bedarf eines reisserischen Titels, eines Slogans, der die
Aufmerksamkeit auf sich zieht, polarisiert und eint", stellt der Lausanner
Politologe fest. Es ist übrigens nicht unerheblich, dass von 191
Initiativen, die zwischen 1848 und 2014 zur Abstimmung gelangt sind,
84 im Französischen mit einem "pour" ("Für") beginnen. Ein
"pour" als positiver Schritt vorwärts, das darauf abzielt,
die Mehrheit zu einen, ein "pour", dem beim ersten Lesen schwerlich
widersprochen werden kann. Wer würde sich nicht von vornherein
"pour que les pédophiles ne travaillent plus avec des enfants"
("Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen"),
"pour en finir avec les constructions envahissantes de résidences
secondaires" ("Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen"), "pour des
aliments produits sans manipulations génétiques"? ("Für
Lebensmittel aus gentechnikfreier Landwirtschaft") aussprechen? "Je
eher die Initiative es schafft, mit einem von der Bevölkerung
grösstenteils geteilten Empfinden in Einklang zu sein, je eher hat
sie die Chance, ein gutes Resultat einzufahren", meint Oscar Mazzoleni.
Eine gute Form, und schon sieht man über den Inhalt hinweg. Gewiss
"stimmen die Leute nicht über den Titel ab, sie machen sich die
Mühe nachzuhaken, sich zu erkundigen", wie die Freisinnige Isabelle
Moret, Mitglied der Staatspolitischen Kommissionen, betont. Das mag
stimmen. Aber genauso wie ein effizienter Titel die Aufmerksamkeit der
Leser gewinnt (zumindest einige Zeilen lang), spricht auch ein bissiger
Wortlaut die Bürger an.
Ist in diesem subtilen Spiel mit der Sprache, in dem jedes Wort
schwer wiegt, jeder Zug erlaubt? Die Schweizerische Bundeskanzlei
erklärt, dass sie "über diese vertrauliche Phase im
Prozess der Vorprüfungsphase einer Initiative keine Aussagen
macht". Abgesehen von der Tatsache, dass die Überschrift einer
Initiative "weder irreführen, noch verwirrend sein, noch Elemente
kommerzieller oder persönlicher Werbung enthalten darf", bleiben
die Beurteilungskriterien ein Rätsel. Laut Isabelle Moret "ist die
Prüfung jedoch extrem streng", wobei sich die Bundeskanzlei aber
nicht wirklich beim Titel aufhält. Wenn die Verpackung nicht
dem Inhalt entspricht und das Innere des Pakets einer bösen
Überraschung gleicht, ist das ein Problem.
Die Masseneinwanderungsinitiative, die am 9. Februar angenommen wurde,
veranschaulichte dieses Prinzip, das an Kinder-Überraschungseier
erinnert. Unter ihrer reisserischen Überschrift, die die landesweite
Klaustrophobie heraufbeschwor, waren ihre Konsequenzen leider nicht
zu erkennen. Im Ei verbarg sich eine obsolete Überraschung, die
unmöglich ohne Folgeschäden zusammengebaut werden kann. "In
unserer Hyperkommunikationsgesellschaft erleben jene Initiativen
eine Blütezeit, die auf Empörung abzielen, indem sie eine
kleine Bevölkerungsgruppe diskriminieren", bemerkt Nationalrat
Roger Nordmann. "Wir haben es hier mit einer Instrumentalisierung zu
tun. Konstruktive Initiativen hingegen, die sich komplexer Probleme
annehmen, sind leicht abzuschiessen. Es besteht echte Besorgnis
darüber, dass dieses demokratische Instrument degeneriert." Achtung:
Denn wie der Teufel erst aus Kiste springt, wenn diese geöffnet
wird, so springen auch die wirklichen Fragen erst dann ins Auge, wenn
der emotionale Knopf gelöst ist.
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