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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Jun, 2014)

Wulff Buch: ganz oben, ganz unten.

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Christian Wulff revanchiert sich mit seinem Buch "Ganz oben, Ganz unten. Er war im Februar von der Anklage der Korruption freigesprochen. Das gab ihm den Rückhalt, nun mit einem Buch zurückzuschiesssen. Kommentatoren sind sich einig, dass die Wulff Geschichte vor allem eine Mediengeschichte ist. Wulff geht vor allem mit der Zeitung "Bild" hart ins Gericht. Merkur:

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Der Titel lautet "Ganz oben Ganz unten". Kürzer kann man das bisherige Leben von Christian Wulff nicht zusammenfassen. Er war deutsches Staatsoberhaupt, residierte im Schloss Bellevue. Dann kam die "Affäre Wulff", und er verlor alles: Amt, Ansehen und schliesslich auch noch seine Frau. Jetzt steht Christian Wulff in einem Berliner Konferenzsaal und stellt sein Buch vor. Der Andrang ist riesig. Viele wollen wissen, was aus dem Mann geworden ist, dessen Fall die Bundesrepublik an den Rand einer Staatskrise gebracht hat. Erster Eindruck: Wulff scheint es gut zu gehen. Entspannt wirkt er, selbstsicher. Er ist nicht mehr so bleich und eingefallen wie auch schon. Er selber sagt, er sei "auf dem Weg nach oben". Und: "Ich bin ein freier Mann, in jeder Hinsicht." Natürlich ist es ein Ziel dieses Auftritts, sich wieder zu zeigen, in besserer Form. Es ist der symbolische Neuanfang eines Gefallenen. "Ganz oben Ganz unten" ist aber auch eine Art Abrechnung. Wulff schildert darin seine Sicht auf die Affäre, die seinen Namen trägt. Das wirkt zuweilen martialisch: "Die Jagd" oder "Die letzte Kugel" lauten zwei Kapitelüberschriften. Im Kern interpretiert der ehemalige Staatspräsident die Ereignisse als medialen Komplott gegen ihn. Vor allem der "Bild"-Zeitung schreibt er eine böse Rolle zu. Das Boulevardblatt habe ihn verfolgt, weil er dessen Journalisten keine Vorzugsbehandlung zukommen liess; aber auch aus politischen Gründen. Im Verlagshaus Springer, das "Bild" herausgibt, gilt der Islam als Bedrohung für die Freiheit der westlichen Welt. Mit seinem berühmten Satz "Inzwischen gehört auch der Islam zu Deutschland", so die Interpretation Wulffs, habe er die Springer-Leute gegen sich aufgebracht. Die andere Presse, vor allem die bürgerliche, sei den "Bild"-Kollegen dann willig gefolgt. Minutiös zeichnet Wulff den Verlauf der Affäre nach. Die erste Publikation in der "Bild" über seinen Hauskredit, wie dann Hunderte Journalisten begannen, das private und geschäftliche Umfeld des Bundespräsidenten abzuklopfen. Ans Licht gezerrt wurde alles, was irgendwie die Arbeitshypothese bestätigen konnte, bei Wulff stimme etwas nicht. Es ging um Ferien in Häusern -reicher Freunde, um einen Besuch am Oktoberfest, aber auch um einen geschenkten Bobbycar für den kleinen Sohn des Staatsoberhaupts. Über das politische Schicksal Wulffs entschied schliesslich die Staatsanwaltschaft Hannover, die im Februar 2012 die Aufhebung der Immunität verlangte, um ermitteln zu können. Wulff trat -zurück. Bei der Buchpräsentation wird klar, dass Wulff dies für einen Fall von Staatsversagen hält. Denn die Justiz habe auf öffentlichen Druck reagiert - ohne, dass ausreichend Anhaltspunkte für ein Verfahren existiert hätten. Eine "Störung in der Machtbalance" zwischen Medien, Justiz und Politik konstatiert Wulff und zitiert einen Berliner Chefredaktor: "Die Presse ist ja die vierte Gewalt", soll der Mann gesagt haben. "Aber was sind die anderen drei?" Die Wulff-Geschichte ist jedoch in erster Linie eine Mediengeschichte gewesen. Schon früh haben sich kritische Kommentatoren gefragt, ob es Zeitungen und Online-Portale nicht übertrieben haben mit ihrer Hatz auf das Staatsoberhaupt. Der Prozess gegen Wulff hat die Skeptiker bestätigt. Im Februar dieses Jahres ist der ehemalige Staatschef vom Landgericht Hannover vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen worden.
Der Spiegel:
Stolz, Trotz und Verbitterung. Das sind die Gefühle, die Christian Wulff ausbreitet wie ein Strandverkäufer seine Souvenirs. Er erfahre "viel Zuspruch, an der Tankstelle oder beim Einkaufen", sagt der frühere Bundespräsident stolz. "Der Rücktritt war falsch. Ich wäre heute noch der Richtige im Amt", erklärt er trotzig. Wulff beklagt, er sei öffentlich vorverurteilt worden. "Unschuldsvermutung ist ein Menschenrecht, das darf niemandem entzogen werden", meint er verbittert. Der frühere Bundespräsident stellte am Dienstag in Berlin sein Buch "Ganz oben Ganz unten" vor. Wulff schreibt darin über die Zeit zwischen seinem Rücktritt als Staatschef und dem Ende seines Korruptionsprozesses. Allerdings ist Wulff nicht erschienen, um über sein Buch zu diskutieren (lesen Sie hier eine erste Rezension). Stattdessen nutzt der Altbundespräsident den Auftritt für eine Abrechnung mit seinen Kritikern. Im Mittelpunkt steht Wulffs Medienschelte. Vor allem die "Bild"-Zeitung geht er hart an. Er prangert ein "Abhängigkeitsverhältnis zwischen Medien und Justiz" an und mahnt: "Mein Fall darf sich in dieser Weise in diesem Land nicht wiederholen". Der gefallene Bundespräsident sieht im Umgang mit seiner Person gar den Beweis, dass Justiz und Presse im Zusammenspiel die Demokratie gefährden können. Wulff greift die Staatsanwaltschaft Hannover an, die ihn "zum Rücktritt gezwungen" habe. "Am Ende blieb nichts als der Verdacht der Vorteilsannahme beim Münchner Oktoberfest vor sechs Jahren." Wulffs öffentliche Abrechnung ist bis zur Perfektion vorbereitet. Der dunkelblaue Anzug sitzt knitterfrei, die Hitze des Tages ist Wulff nicht anzusehen. Während er spricht und Fragen beantwortet, gibt es keinen Moment des Zögerns, keine spürbare Unsicherheit, kein Straucheln. Der 54-Jährige inszeniert sich als Klartextredner, als Rächer der aus seiner Sicht Entrechteten im Land. Immer wieder blitzt Genugtuung durch seine Sätze. "Alles ist offengelegt, jeder Stein ist umgedreht. Ich bin ein freier Mann, frei in jeder Hinsicht", sagt er etwa, und er habe "einen Freispruch ohne Wenn und Aber" bekommen. In Momenten wie diesen zeigt sich, wie schmal der Grat zwischen Klarstellung und Selbstgefälligkeit ist. Wulff spart aus, dass es bei seinem Sturz nicht nur um strafrechtlich relevante Vorwürfe ging - sondern auch um eine Reihe von Vorwürfen, die ihn politisch unter Druck setzten. Auf derlei Selbstkritik muss man bei der Buchvorstellung lange warten. Wulff spricht eigene Fehler, "die zweifelsohne von mir zu verantworten sind", erst auf Nachfrage an. "Es wäre gelegentlich gut gewesen, Distanz zu wahren", räumt er ein. Es sei falsch gewesen, als Bundespräsident bestimmte Einladungen anzunehmen, dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung auf die Mailbox zu wüten und "nicht allumfassend Auskunft gegeben zu haben im niedersächsischen Landtag." Am Ende des Auftritts bleibt die Frage zurück, warum sich Wulff das alles antut. Er hätte sich auch einfach zurückziehen, in seinem neuen Anwaltsbüro in Hamburg arbeiten und sich in aller Stille weiter für Integrationspolitik engagieren können. Doch das ist Wulff nicht genug, er entschied sich anders. Wulffs Wunsch nach Wiederherstellung seiner Würde zeichnete sich schon ab, als er beim Prozessauftakt in Hannover mit Bundesverdienstkreuz am Revers erschien. Die Buchvorstellung und die dazugehörige 264-Seiten-Lektüre ist nun die nächste Etappe von Wulffs Mission. Es ist sein Versuch, dass von seinem Vermächtnis als Bundespräsident mehr übrig bleibt als die Erinnerung an einen Klinkerbau in Grossburgwedel und ein Mailbox-Zitat ("Der Rubikon ist überschritten"). In ihrer konsequenten Härte, ohne Anflug von Reue, ist Wulffs Endabrechnung erstaunlich. Er ist der Ansicht, dass er unverschuldet zurücktreten musste, dass er unverhältnismässig bestraft wurde. Aus seiner Sicht ist er ein Opfer, das macht Wulff in Berlin klar. "Ich musste die Verletzungen für mich und meine Familie verarbeiten", sagt er. "Mir ist mehr Unrecht getan worden, als ich je Unrecht getan habe." Am Rande des Auftritts sagt ein Verlagsmitarbeiter, dass man Wulff bei der Entstehung des Buches "geradezu habe bitten müssen", einen Einblick in seine Emotionen zu gewähren. Nach diesem Auftritt ist das schwer zu glauben.

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