Christian Wulff revanchiert sich mit seinem Buch "Ganz oben, Ganz unten.
Er war im Februar von der Anklage der Korruption freigesprochen. Das gab ihm
den Rückhalt, nun mit einem Buch zurückzuschiesssen.
Kommentatoren sind sich einig, dass die Wulff Geschichte vor allem eine
Mediengeschichte ist. Wulff geht vor allem mit der Zeitung "Bild" hart ins Gericht.
Merkur:
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Tagi
Der Titel lautet "Ganz oben Ganz unten". Kürzer kann man das
bisherige Leben von Christian Wulff nicht zusammenfassen. Er war
deutsches Staatsoberhaupt, residierte im Schloss Bellevue. Dann kam die
"Affäre Wulff", und er verlor alles: Amt, Ansehen und schliesslich
auch noch seine Frau.
Jetzt steht Christian Wulff in einem Berliner Konferenzsaal und stellt
sein Buch vor. Der Andrang ist riesig. Viele wollen wissen, was aus
dem Mann geworden ist, dessen Fall die Bundesrepublik an den Rand
einer Staatskrise gebracht hat. Erster Eindruck: Wulff scheint es gut
zu gehen. Entspannt wirkt er, selbstsicher. Er ist nicht mehr so bleich
und eingefallen wie auch schon. Er selber sagt, er sei "auf dem Weg nach
oben". Und: "Ich bin ein freier Mann, in jeder Hinsicht." Natürlich
ist es ein Ziel dieses Auftritts, sich wieder zu zeigen, in besserer Form.
Es ist der symbolische Neuanfang eines Gefallenen.
"Ganz oben Ganz unten" ist aber auch eine Art Abrechnung. Wulff schildert
darin seine Sicht auf die Affäre, die seinen Namen trägt. Das
wirkt zuweilen martialisch: "Die Jagd" oder "Die letzte Kugel" lauten
zwei Kapitelüberschriften. Im Kern interpretiert der ehemalige
Staatspräsident die Ereignisse als medialen Komplott gegen
ihn. Vor allem der "Bild"-Zeitung schreibt er eine böse Rolle
zu. Das Boulevardblatt habe ihn verfolgt, weil er dessen Journalisten
keine Vorzugsbehandlung zukommen liess; aber auch aus politischen
Gründen. Im Verlagshaus Springer, das "Bild" herausgibt, gilt
der Islam als Bedrohung für die Freiheit der westlichen Welt. Mit
seinem berühmten Satz "Inzwischen gehört auch der Islam zu
Deutschland", so die Interpretation Wulffs, habe er die Springer-Leute
gegen sich aufgebracht. Die andere Presse, vor allem die bürgerliche,
sei den "Bild"-Kollegen dann willig gefolgt.
Minutiös zeichnet Wulff den Verlauf der Affäre nach. Die erste
Publikation in der "Bild" über seinen Hauskredit, wie dann Hunderte
Journalisten begannen, das private und geschäftliche Umfeld des
Bundespräsidenten abzuklopfen. Ans Licht gezerrt wurde alles,
was irgendwie die Arbeitshypothese bestätigen konnte, bei Wulff
stimme etwas nicht. Es ging um Ferien in Häusern -reicher Freunde,
um einen Besuch am Oktoberfest, aber auch um einen geschenkten Bobbycar
für den kleinen Sohn des Staatsoberhaupts.
Über das politische Schicksal Wulffs entschied schliesslich
die Staatsanwaltschaft Hannover, die im Februar 2012 die Aufhebung
der Immunität verlangte, um ermitteln zu können. Wulff trat
-zurück. Bei der Buchpräsentation wird klar, dass Wulff dies
für einen Fall von Staatsversagen hält. Denn die Justiz habe auf
öffentlichen Druck reagiert - ohne, dass ausreichend Anhaltspunkte
für ein Verfahren existiert hätten. Eine "Störung in
der Machtbalance" zwischen Medien, Justiz und Politik konstatiert Wulff
und zitiert einen Berliner Chefredaktor: "Die Presse ist ja die vierte
Gewalt", soll der Mann gesagt haben. "Aber was sind die anderen drei?"
Die Wulff-Geschichte ist jedoch in erster Linie eine Mediengeschichte
gewesen. Schon früh haben sich kritische Kommentatoren gefragt, ob
es Zeitungen und Online-Portale nicht übertrieben haben mit ihrer
Hatz auf das Staatsoberhaupt. Der Prozess gegen Wulff hat die Skeptiker
bestätigt. Im Februar dieses Jahres ist der ehemalige Staatschef
vom Landgericht Hannover vom Vorwurf der Vorteilsannahme freigesprochen
worden.
Der Spiegel:
Stolz, Trotz und Verbitterung. Das sind die Gefühle,
die Christian Wulff ausbreitet wie ein Strandverkäufer seine
Souvenirs. Er erfahre "viel Zuspruch, an der Tankstelle oder beim
Einkaufen", sagt der frühere Bundespräsident stolz. "Der
Rücktritt war falsch. Ich wäre heute noch der Richtige im
Amt", erklärt er trotzig. Wulff beklagt, er sei öffentlich
vorverurteilt worden. "Unschuldsvermutung ist ein Menschenrecht, das
darf niemandem entzogen werden", meint er verbittert.
Der frühere Bundespräsident stellte am Dienstag in
Berlin sein Buch "Ganz oben Ganz unten" vor. Wulff schreibt darin
über die Zeit zwischen seinem Rücktritt als Staatschef
und dem Ende seines Korruptionsprozesses. Allerdings ist Wulff nicht
erschienen, um über sein Buch zu diskutieren (lesen Sie hier eine
erste Rezension). Stattdessen nutzt der Altbundespräsident den
Auftritt für eine Abrechnung mit seinen Kritikern.
Im Mittelpunkt steht Wulffs Medienschelte. Vor allem die "Bild"-Zeitung
geht er hart an. Er prangert ein "Abhängigkeitsverhältnis
zwischen Medien und Justiz" an und mahnt: "Mein Fall darf sich
in dieser Weise in diesem Land nicht wiederholen". Der gefallene
Bundespräsident sieht im Umgang mit seiner Person gar den Beweis,
dass Justiz und Presse im Zusammenspiel die Demokratie gefährden
können. Wulff greift die Staatsanwaltschaft Hannover an, die ihn "zum
Rücktritt gezwungen" habe. "Am Ende blieb nichts als der Verdacht
der Vorteilsannahme beim Münchner Oktoberfest vor sechs Jahren."
Wulffs öffentliche Abrechnung ist bis zur Perfektion vorbereitet.
Der dunkelblaue Anzug sitzt knitterfrei, die Hitze des Tages ist Wulff
nicht anzusehen. Während er spricht und Fragen beantwortet, gibt
es keinen Moment des Zögerns, keine spürbare Unsicherheit,
kein Straucheln. Der 54-Jährige inszeniert sich als Klartextredner,
als Rächer der aus seiner Sicht Entrechteten im Land.
Immer wieder blitzt Genugtuung durch seine Sätze. "Alles ist
offengelegt, jeder Stein ist umgedreht. Ich bin ein freier Mann, frei in
jeder Hinsicht", sagt er etwa, und er habe "einen Freispruch ohne Wenn
und Aber" bekommen. In Momenten wie diesen zeigt sich, wie schmal der
Grat zwischen Klarstellung und Selbstgefälligkeit ist. Wulff spart
aus, dass es bei seinem Sturz nicht nur um strafrechtlich relevante
Vorwürfe ging - sondern auch um eine Reihe von Vorwürfen,
die ihn politisch unter Druck setzten.
Auf derlei Selbstkritik muss man bei der Buchvorstellung lange warten.
Wulff spricht eigene Fehler, "die zweifelsohne von mir zu verantworten
sind", erst auf Nachfrage an. "Es wäre gelegentlich gut gewesen,
Distanz zu wahren", räumt er ein. Es sei falsch gewesen, als
Bundespräsident bestimmte Einladungen anzunehmen, dem Chefredakteur
der "Bild"-Zeitung auf die Mailbox zu wüten und "nicht allumfassend
Auskunft gegeben zu haben im niedersächsischen Landtag."
Am Ende des Auftritts bleibt die Frage zurück, warum sich Wulff
das alles antut. Er hätte sich auch einfach zurückziehen,
in seinem neuen Anwaltsbüro in Hamburg arbeiten und sich in aller
Stille weiter für Integrationspolitik engagieren können. Doch
das ist Wulff nicht genug, er entschied sich anders.
Wulffs Wunsch nach Wiederherstellung seiner Würde
zeichnete sich schon ab, als er beim Prozessauftakt in Hannover mit
Bundesverdienstkreuz am Revers erschien. Die Buchvorstellung und die
dazugehörige 264-Seiten-Lektüre ist nun die nächste Etappe
von Wulffs Mission. Es ist sein Versuch, dass von seinem Vermächtnis
als Bundespräsident mehr übrig bleibt als die Erinnerung an
einen Klinkerbau in Grossburgwedel und ein Mailbox-Zitat ("Der Rubikon
ist überschritten").
In ihrer konsequenten Härte, ohne Anflug von Reue, ist Wulffs
Endabrechnung erstaunlich. Er ist der Ansicht, dass er unverschuldet
zurücktreten musste, dass er unverhältnismässig bestraft
wurde. Aus seiner Sicht ist er ein Opfer, das macht Wulff in Berlin
klar. "Ich musste die Verletzungen für mich und meine Familie
verarbeiten", sagt er. "Mir ist mehr Unrecht getan worden, als ich je
Unrecht getan habe."
Am Rande des Auftritts sagt ein Verlagsmitarbeiter, dass man Wulff bei
der Entstehung des Buches "geradezu habe bitten müssen", einen
Einblick in seine Emotionen zu gewähren. Nach diesem Auftritt ist
das schwer zu glauben.