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www.rhetorik.ch aktuell: (03. Jun, 2014)

Metapher als Kernpunkt

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Bildidee Im Tagi ist ein Ausschnitt von einem Vortrag von Peter von Matt zu finden. Er beinhaltet einen interessanten Gedanken über die Rolle der Metapher, auch in der Wissenschaft. Der Kerngedanke ist, dass die Metapher im Grunde eine komprimierte -Erzählung ist, um eine komplexe Gegebenheit auf einen Ausdruck zu verdichten. Ein Beispiel ist Einsteins Satz: "Gott würfelt nicht".


Ein Jahr vor seinem Tod hat Heinrich von Kleist den folgenden kleinen Text veröffentlicht. Er nennt ihn Fragment:

"Man könnte die Menschen in zwei Klassen abteilen; in solche, die sich auf eine Metapher und in solche, die sich auf eine Formel verstehn. Deren, die sich auf beides verstehn, sind zu wenige, sie machen keine Klasse aus."


Das ist ein exemplarischer Akt der Klassifizierung. Und er betrifft gleich alle Menschen. Die Kommentatoren sind vorwiegend der Meinung, Kleist wolle hier die Wissenschaftler von den Künstlern unterscheiden. Nun bilden aber Wissenschaftler und Künstler zusammengenommen nur einen kleinen Teil der ganzen Menschheit. Die Aussage ist jedoch eine übergreifend anthropolo-gische. Als solche betrifft sie auch die Wissenschaftler, bei denen es folglich ebenfalls beide Klassen geben muss, jene, die sich auf eine Metapher, und jene, die sich auf eine Formel verstehen. Damit umreisst Kleist fast hundert Jahre vor Dilthey die Trennung in zwei wissenschaftliche Kulturen. Die Formel und die Metapher, je als ein Grundakt der Erkenntnis - kann man das überhaupt gelten lassen? Ist denn die Metapher nicht der Inbegriff des Verwaschenen, eine diffuse Aussage, die überdies im Verdacht steht, alles zu beschönigen? Metaphern, heisst es, sind etwas für lyrische Seelen, die lieber fühlen als denken. Das ist ein Irrtum. Die Metapher ist eine hochkomplexe intellektuelle Operation mit einem Effekt von geschliffener Präzision. Als Kennedy seine Rede in Berlin hielt - ich hörte sie damals live am Radio - und unerwartet ausrief: "Ich bin ein Berliner", schien die Stadt im Bruchteil einer Sekunde zu -explodieren. Ein einziger Jubelschrei stieg zum geteilten Himmel. Das war eine Metapher, aber alles andere als eine diffuse Aussage. Jeder hatte verstanden. Es war der genauestmögliche Ausdruck für ein vielschichtiges politisches Programm. Wenn wir das, was Kennedy damit mitteilte, ausformulieren müssten, würde ein langer Text entstehen.

(...) Dass die Metapher auch im wissenschaftlichen Diskurs ihre Funktion hat, zeigt eines der berühmtesten Beispiele des 20.Jahrhunderts. Es zirkuliert als vereinfachtes Zitat und lautet: "Gott würfelt nicht." Historisch gesichert ist die Formulierung in einem Brief Albert Einsteins an Max Born über die Quantenmechanik: "Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt." Mit dem Alten ist Gott gemeint, aber nicht als theologisches Bekenntnis. Es geht vielmehr um die innersten Gesetzmässigkeiten der Materie. Der Alte ist also Teil der Metapher. Ob Einstein mit dieser Aussage recht oder unrecht hatte, wissen die Fachleute. Wichtig ist hier nur, dass auch die Naturwissenschaftler auf die Dauer nicht ohne Metaphern auskommen. Ist doch sogar der Big Bang eine solche.

Wenn wir versuchen, Schlüsselmetaphern, die einen komplexen Zusammenhang auf den Punkt bringen, auszuformulieren, entdecken wir, dass die Metapher im Grunde eine komprimierte -Erzählung ist, eine Schilderung, die auf ein paar Wörter schrumpft. Wenn ich von jemandem sage: "Er ist ein Don Quijote", dann schrumpft dabei sogar ein Roman von tausend Seiten auf ein paar Wörter zusammen. Wer sich auf Metaphern versteht, versteht sich also auf das Erzählen. Damit aber tut sich eine immense wissenschaftsgeschichtliche Perspektive auf. Das Ordnen der Welt begann einst mit den Erzählungen von ihrem Anfang und ihrem Untergang. Erzählen ist nie der Abklatsch eines verworrenen Ganzen, Erzählen ist die Übersetzung eines verworrenen Ganzen in ein Modell. Als ein Modell ist die Erzählung die ältere Schwester der Theorie. Und wenn eine Theorie schliesslich vom Modell zur Formel vorstösst, wirkt darin immer noch die ordnende Kraft der Erzählung fort. Daher hat eine Formel wie E#=#mc˛ die gleiche geschliffene Präzision wie eine Metapher, der es gelingt, eine komplexe Gegebenheit auf einen Ausdruck zu verdichten.

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