Tagi:
Was für PR-Profis ein GAU ist, wird in den sozialen Medien gefeiert,
die Wutrede Frank-Walter Steinmeiers. Experte Marcus Knill erklärt -
und sagt, wer in der Schweiz die Kunst der Wutrede beherrscht.
"Hart in der Sache sein, aber immer nett im Umgang mit den Menschen,
selbst in Stresssituationen." Oder auch: "Ein Magistrat darf niemals
die Nerven verlieren, er muss sich kontrollieren können." Solche
Verhaltensregeln empfiehlt der Schweizer Kommunikationsberater und
Rhetorikexperte Marcus Knill seinen Klienten, etwa Politikern oder
Unternehmern, die in der Öffentlichkeit stehen.
Über die öffentliche Wirkung einer Person entscheidet allerdings
zuletzt das Publikum. Deshalb kommt es immer wieder vor, dass etwa ein
Politiker, der die Beherrschung verliert, trotzdem Applaus bekommt. Ein
aktuelles Beispiel dafür ist der deutsche Aussenminister Frank-Walter
Steinmeier, der nach Kritik an seiner Ukrainepolitik mit einer Wutrede
Begeisterung ausgelöst hat. Vor allem die Twitter-Gemeinde zeigte
sich begeistert. "Gut gebrüllt, Herr Aussenminister", lobte auch die
"Bild"-Zeitung.
Solche Auftritte von Politikern kommen zumindest bei der eigenen
Anhängerschaft gut an. Sie vermögen Sympathien und
Zustimmung zu mobilisieren. Wie Knill erklärt, mögen die
Menschen Politiker, die auch mal Klartext sprechen, mit Leidenschaft
für ihre Sache einstehen und Emotionen zeigen. Die Emotionen
müssten jedoch authentisch sein, gespielte Emotionen würden
vom Publikum immer durchschaut. "Wenn Politiker zeigen, dass auch sie
Menschen aus Fleisch und Blut sind, können sie vor allem bei ihren
Anhängern punkten", sagt Knill. Nicht zuletzt gelinge es Politikern
mit unkonventionellen Auftritten, in der medialen Arena Aufmerksamkeit
auf sich zu ziehen. Dadurch erhielten sie neue Möglichkeiten,
ihre Botschaften zu verbreiten.
Wie Knill weiter sagt, werden Wutauftritte von Politikern manchmal gezielt
inszeniert. Diese Kunst beherrsche zum Beispiel Christoph Blocher oder
auch sein früherer Kontrahent Peter Bodenmann, als dieser noch
Präsident der SP Schweiz war.
Entscheidend für das öffentliche Image eines Politikers ist nach
Ansicht von Knill die längerfristige Wirkung beim Gesamtpublikum. Im
Fall Steinmeier geht Knill davon aus, dass die Wutrede dem deutschen
Aussenminister weder nützen noch schaden werde.
"Wer ausrastet, hat in der Regel die Zwei am Rücken", sagt
Knill. Als prominentes Beispiel nennt er einen Schweizer Spitzenpolitiker,
SVP-Bundesrat Ueli Maurer, der wiederholt durch verbale Entgleisungen
aufgefallen ist. Der Magistrat, der einen Journalisten schon einmal
als "Aff" beschimpft hatte, habe sich bei einem "Rundschau"-Interview
zur Gripen-Abstimmung unprofessionell verhalten, "zumal es schon der
siebte Ausraster ist", wie Knill damals in einer Analyse feststellte.
Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier ist nach eigenen
Worten erstaunt über den Youtube-Erfolg mit seiner Wutrede auf dem
Berliner Alexanderplatz. "So kennt man sich selten", sagte Steinmeier
am Donnerstag vor ausländischen Journalisten in Berlin. Er
selbst könne sich "das Video kaum angucken", auch wolle er einen
solchen "Erfolg" nicht wiederholen. "Ich bin ein gelassener Mensch,
ich habe eigentlich gute Nerven, aber es gibt Grenzen", sagte der
Minister zu dem Vorfall nun. Bestimmte Vorwürfe "muss man einfach
zurückweisen"."Ich gehe zum Nato-Aussenministerrat und muss mich
da beschuldigen lassen, dass die deutsche Regierung, der deutsche
Aussenminister, zu viel Verständnis für Russland hat",
erläuterte Steinmeier weiter die Situation. "Und dann komme ich
nach Deutschland zurück und muss mir hier auf einer Veranstaltung
vorwerfen lassen, dass wir überhaupt kein Verständnis
für Russland haben" und dass Deutschland die Russen "provoziert und
geärgert" habe. Dabei hätten Demonstranten der Linkspartei
und der EU-kritischen AfD nebeneinander gestanden. Sie "brüllten
alle dasselbe", sagte Steinmeier.