In vielen Unternehmen ist zwar eine schnelle E-Mail-Korrespondenz
gewünscht, doch der persönliche Zwang liegt noch
höher. Dieses Fazit zieht Prof. Dr. Markus-Oliver Schwaab von der
Hochschule Pforzheim. Über 75 Prozent der 449 von seinem Projekt
im Studiengang Personalmanagement befragten Arbeitnehmer schauen
stündlich in ihr elektronisches Postfach oder sobald ein Hinweis
auf eine neue Mail vorliegt. Ein Drittel der Befragten versucht, sofort
oder spätestens nach zwei Stunden zu antworten, knapp 50 Prozent
noch am gleichen Tag.
Zwei Drittel der Befragten versenden Mails unabhängig von der
Uhrzeit Zwei Drittel der Befragten versenden Mails unabhängig von
der Uhrzeit Vergrössern "Durch die Möglichkeit einfach und
direkt zu antworten, setzten sich die Befragten oft selbst unter Druck",
kommentiert Schwaab. Zudem vermischen viele inzwischen den privaten
und geschäftlichen Account, eine Trennung finde nicht mehr statt.
Mehr Druck, steigende Arbeitsbelastung
Zwei Drittel der Befragten versenden Mails unabhängig von der
Uhrzeit. Reguläre Arbeitszeiten, Urlaubstage oder das Wochenende
werden dabei ignoriert. Fast jeder zweite Befragte bekommt und liest
geschäftliche Mails im Urlaub, zwei Drittel sind auch am Wochenende
online erreichbar.
"Durch dieses - oft unreflektierte - Verhalten beim Versenden von
Mitteilungen wird der Druck auf Mitarbeiter und Kollegen erhöht",
meint Schwaab. "Beim regelmässigen Checken der Mails, das dank
Smartphones und Tablet-PCs immer einfacher wird, fühlen sich die
Mitarbeiter oft veranlasst, direkt zu antworten." Damit weichen die
regulären Arbeitszeiten auf, Regenerationszeiten schrumpfen und
die Arbeitsbelastung steigt. Spielregeln, keine Gesetze
Betriebliche Einigungen, beispielsweise Mitarbeiter nach Dienstschluss
offline zu stellen, seien zwar oft sinnvoll, träfen aber noch nicht
den Kern des Problems. Schwaab plädiert dafür, massgeschneiderte
Spielregeln in Teams zu vereinbaren, Freiräume zu respektieren, den
Empfängerkreis von Mitteilungen kritisch zu hinterfragen und auch
stets zu überlegen, welche Kommunikationsform am meisten geeignet
sind ist. Von gesetzlichen Vorschriften hält Schwaab nichts. Die
Studie gebe keine Belege dafür her, dass diese die Situation bessern
könnten. Die damalige Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen
hatte 2012 gefordert, dass Arbeits- und Freizeit deutlich getrennt werden
sollten.
An der Swisscom Lifebalance-Studie haben im Zeitraum zwischen dem 20.
Februar und dem 2. März 2012 insgesamt 1977 Personen in der Schweiz
teilgenommen, davon 1586 in der Deutschschweiz und 391 in der Westschweiz.
Die Befragung erfolgte über ein repräsentatives Online-Panel,
das vom LINK Institut für Markt- und Sozialforschung betreut
wird. Die Daten der Stichprobe wurden im Anschluss an die Befragung
nach Geschlecht, Alter, Bildung, Erwerbstätigkeit und Sprachregion
gemäss der Vorgaben der WEMF MA Strategy Studie 2011 gewichtet.
Hingegen geben bis zur Hälfte der Befragten an, in der Freizeit
"immer", "sehr häufig" oder "eher häufig" für
Geschäftliches erreichbar zu sein. Über Mittag und am
Feierabend ist die Erreichbarkeit etwas höher als am Wochenende, an
Feiertagenund in den Ferien. Für Miriam Nido vom Institut für
Arbeitsforschung und Organisationsberatung (iafob) weisen diese Werte
auf eine hohe Erreichbarkeit ausserhalb der Arbeitszeit hin, wie sie
gegenüber 20 Minuten Online erklärt.
Als Gründe für die Erreichbarkeit ausserhalb der Arbeitszeiten
geben die meisten der Befragten an, dass sie ihre Arbeitskollegen
nicht im Stich lassen können (55 Prozent) und ihre Verantwortung
gegenüber Kunden und Klienten wahrnehmen müssen (31
Prozent). 20 Prozent glauben, in einer Branche zu arbeiten, die "keine
Öffnungszeiten kennt". Jeweils 17 Prozent der Befragten gaben an, ihr
Arbeitgeber erwarte das, beziehungsweise es sei für den Arbeitgeber
"normal", immer erreichbar zu sein.
Das zeigt: Das Verantwortungsbewusstsein der Angestellten gegenüber
ihrem Job ist hoch, nicht erreichbar zu sein ist schon beinahe ein
"No-Go". Dies empfinden aber längst nicht alle Arbeitenden
als angenehm. So bewerten rund 35 Prozent der Schweizer berufliche
Telefonanrufe in der Freizeit als belastend. Weniger gestresst
fühlen sich die Befragten, wenn die Kontaktaufnahme per SMS oder
E-Mail erfolgt. Denn während man ein SMS
fürs erste ignorieren, oder ein Mail auch zu einen späteren
Zeitpunkt beantworten kann, wird das Klingeln des Telefons oft als
dringend empfunden.
Nicht-Erreichbarkeit ist wichtig, darin sind sich Experten einig. Der
deutsche Unternehmensberater Wolfgang Zieren sagte gegenüber der
"Süddeutschen Zeitung", seine Kollegen müssten zwar "Phasen
akzeptieren, in denen sie auch mal fast rund um die Uhr erreichbar"
seien. Dennoch bemesse sich die Qualität der Arbeit nicht in
permanenter Abrufbereitschaft. Auch Kommunikationsexpertin Miriam Meckel
plädiert dafür, dass man abschalten sollte, um "für etwas
oder jemanden wirklich da" zu sein, wie sie in der "Annabelle" sagte.
Für Organisationsberaterin Miriam Nido ist das ein zentraler Punkt im
Umgang mit Erreichbarkeit neben dem Job. Sie empfiehlt, dass Unternehmen
genaue Spielregeln festlegen sollten, wer wann und wie ausserhalb
der Arbeitszeit erreichbar ist: "Die Mitarbeitenden sollten wissen,
ob von ihnen erwartet wird, dass sie für Anrufe zur Verfügung
stehen, ihre Mails in ihrer Freizeit, am Wochenende oder in den Ferien
beantworten oder nicht", fordert sie. Zudem sollte man klar abmachen,
wie die Kontaktaufnahme zu erfolgen habe, und wie rasch ein Mitarbeiter
reagieren sollte, wenn er nicht im Büro ist.
"Wichtig ist dabei, dass die Vorgesetzten ein Vorbild sind und ihren
Mitarbeitenden vorleben, was sie von ihnen erwarten", erklärt Nido.
Gemäss Urs Schaeppi, Mitglied der Swisscom-Konzernleitung, muss
es den Unternehmen gelingen, die Anliegen der Erreichbarkeit und der
Nicht-Erreichbarkeit unter einen Hut zu bringen: "Das Arbeits- und
Marktumfeld wird immer dynamischer und globaler. Daher sei es wichtig, mit
innovativen und einfachen Lösungen die Zusammenarbeit innerhalb und
zwischen Unternehmen zu fördern, um diesem Trend gerecht zu werden.