Zum 10 j&aum;hrigen Jubiläum von Facebook wurde viel geschrieben.
Wie das soziale Netzwerk die Welt verändert hat, wie die Benutzer
zum Produkt wurden, oder gar zum Helfer von Spionen.
Spiegel:
Mark Zuckerberg wurde anlässlich des zehnten Geburtstags
seines Sozialnachrichtenkonzerns interviewt. Der Präsident
des Verfassungsschutzes Hans-Georg Maassen wurde anlässlich des
Spähskandals interviewt. Zwischen Social Network und Geheimdienst
- genau das ist das Spannungsfeld, in dem sich die gesamte digitale
Sphäre befindet. Und deshalb sind sowohl die Weltbilder als
auch Realitätverluste beider Männer essentiell für das
Verständnis des anhaltenden Katastrophenszenarios des Internets.
"Wenn man ständig unter dem Druck der realen Identität
ist, ist das auch ein bisschen eine Last." Das sagt der Mann, dessen
Unternehmen die gegenwärtige Ausformung der Online-Identität
geprägt hat wie sonst niemand. Der Mann, der genau diese Last half zu
konstruieren, zum Beispiel durch den unsäglichen Klarnamenzwang auf
Facebook. Scheinbar aber ist der Satz sogar ein Fortschritt gegenüber
früheren Aussagen von Zuckerberg. "Zwei [Online-] Identitäten
zu haben, ist ein Ausdruck des Mangels an Integrität", hatte er 2010
einem Buchautor erklärt. Tatsächlich sind beide vermeintlich
konträren Positionen in einer Hinsicht auf sehr unangenehme Weise
konsistent. Denn beide gehen davon aus, dass Facebook die Instanz ist, die
Identität im Internet gnädig zuteilt wie eine Lebensmittelration
im Krisengebiet. Erst also schafft Zuckerberg den unerbittlichen Druck
der realen Identität, er baut ein Geschäftsmodell auf,
das ständige Identifizierbarkeit bis in die detailliertesten
Persönlichkeitsmerkmale hinein voraussetzt. Dann lindert er den
selbstgebauten Druck scheinbar ein klein wenig und scheint zwischen den
Zeilen einsichtig davon überzeugt, etwas ernsthaft Gutes zu tun.
Heise:
Am 13. April 2013 stufte die Investmentbank Goldman Sachs die
Microsoft-Aktie erstmals von "neutral" auf "verkaufen" herab, da das
PC-Zeitalter zu Ende zu gehen scheint und es Microsoft an Zugkraft
bei Tablet-Computern und Smartphones mangle. Der designierte neue
Microsoft-Chef Satya Nadella liess unlängst die Nachrichtenagentur
Bloomberg wissen, wie wichtig es sei, die Nähe von aufstrebenden
Jungunternehmen zu suchen - in der Technologiebranche sei es nun einmal
so, "dass die Kleinen gross rauskommen und die Grossen sterben".
Die Ex-Giganten sind, mehr oder minder, alle noch da. Aber sie sind
nicht mehr, was sie einmal waren - unausweichliche Mächte, die
unsere Zukunft in der Hand halten. Das heisst: Eine Welt ohne Facebook
erscheint vielen heute vielleicht unvorstellbar. Denkbar ist sie durchaus.
Ein mögliches Szenario wäre, dass Facebook verschwindet -
und bleibt. Genauer gesagt, dass das Unternehmen zu der Einsicht kommt,
nicht das zu sein, was es heute zu sein glaubt, also ein "soziales
Netzwerk", sondern etwas ganz anderes.
Jeder spürt, dass an dieser Selbstbestimmung etwas nicht stimmt.
Facebook ist eher ein Erwachsenenkindergarten unter algorithmischer
Aufsicht oder eine globale Nutzerabwimmelanlage, als eine soziale
Organisationsstruktur. Wer schon einmal versucht hat, einen
Facebook-Mitarbeiter auch nur per E-Mail zu erreichen - etwa um zu
verhindern, dass einem die digitale Identität abgedreht wird -,
der weiss, was gemeint ist.
Man kann einen solchen dramatischen Erkenntniswandel vergleichen mit der
Firma IBM und ihrem Chef Thomas J. Watson, dem in den Dreissigerjahren
des 20. Jahrhunderts klar wurde, dass sein Unternehmen nicht einfach
Büromaschinen vermietete, sondern Informationsverarbeitung
betrieb. Erst diese neue Wahrnehmung machte den Weg frei für das,
was danach als "Big Blue" die Welt eroberte - der erste Blaue Riese
des Computerzeitalters, seit nunmehr genau einem Jahrzehnt gefolgt
von dem zweitblauen Moloch Facebook (Mark Zuckerberg leidet an einer
Rot-Grün-Sehschwäche und kann Blau besonders gut sehen).
Die These, dass Facebook eigentlich noch gar nicht weiss, was es ist,
und deshalb (so wie wir es heute kennen) verschwinden wird, lässt
sich durch einen Vergleich mit der Raumfahrtindustrie illustrieren. Denn
auch die Nasa beginnt erst jetzt nach einem halben Jahrhundert langsam zu
begreifen, dass sie sich mit einem Raumfahrtunternehmen verwechselt hat -
in Wahrheit aber ein soziales Netzwerk ist. Eigentliches Ziel der immensen
Anstrengungen, die nicht zuletzt zur ersten Mondlandung führten,
waren weder technischer noch wissenschaftlicher Fortschritt, sondern
die Produktion eines grenzüberschreitenden, planetaren und nach
wie vor anhaltenden Gemeinschaftsgefühls: Hello World! Wir sind
auf dem Mond gelandet!
Eine Timeline von
Slate: