Rhetorik.ch

Knill+Knill Kommunikationsberatung

Knill.com
Aktuell Artikel Artikel Inhaltsverzeichnis Suche in Rhetorik.ch:

www.rhetorik.ch aktuell: (01. Feb, 2013)

Mundart im Smartphone

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Auch Wikipedia ist auf Schweizerdeutsch zu sehen. Sie heisst die "Alemannisch Wikipedia". Ein NZZ Artikel macht bewusst, dass das Schweizerdeutsch online auf Smartphones auch digital eine Renassance erlebt. Schweizerdeutsch gilt sonst als gesprochene Sprache, im Gegensatz zur Schriftsprache. Man sieht, dass Medien die Sprache beinflussen können.
Wer Kinder hat, weiss, dass sie ihre SMS in Mundart verfassen. Schreibt man nun auf Hochdeutsch oder Mundart zurück? Die Frage ist von tiefgreifender Bedeutung für den Gebrauch der Mundart, der sich bisher auf Mündlichkeit beschränkte. Es ist eine linguistische Revolution im Gange, deren Ende weit offen ist. Auf Facebook gibt es eine Seite, sie heisst "Schwyzerdütsch" und zählt über 270 000 Follower. Zum Vergleich: Analoge Seiten für die "Deutsche Sprache" bringen es zusammen auf etwa 85 000 Fans, und sogar die internationale "English Language"-Community auf Facebook ist kleiner. Auf der Schwyzerdütsch-Seite tauscht man sich, wie in jedem sozialen Netz, über alles Mögliche aus, mit Vorliebe über "heimische" Themen und sehr viel - über Dialektwörter. Man fragt zum Beispiel, ob jemand wisse, was "pfägsä" heisse; es laufen Sammelaktionen für Dialektausdrücke, so wie etwa für die "Pfütze": Glungge, Guntä, Glonge, Gudlä, Gumpi, Guddla - zum Wort sind 1400 "Kommentär" eingegangen. Doch die Facebook-Seite ist nicht nur als Volks-Idiotikon interessant. Und sie ist auch nicht nur Zeugnis des markanten Interesses, das viele Schweizer heute an ihrer Mundart haben. Die Seite gibt auch Einblick in die spannende Entwicklung, die Schweizerdeutsch zurzeit durchmacht. Es ist eine Entwicklung, die den linguistischen Wissensstand über Schweizerdialekte in vielen Aspekten überholt hat. Die neue Handy-Generation Das Erste, was nicht mehr zutrifft: dass Schweizerdeutsch eine mündliche Sprachvarietät ist, in der nur "gelegentlich" geschrieben wird. Die altersdurchmischte, zum grössten Teil jedoch aus jüngeren Leuten bestehende Schwyzerdütsch-Gemeinschaft kommuniziert auf Facebook eben auf Mundart. Das wäre gar nicht möglich gewesen, wenn sich diese im letzten Jahrzehnt nicht zu einer etablierten Schriftsprache entwickelt hätte. Dies hat mit dem Phänomen der neuen Schriftlichkeit zu tun, das weltweit im Zusammenhang mit der Entwicklung der elektronischen Medien zu beobachten ist. Denn wir Handy-, Smartphone- und Computerbesitzer schreiben heute unvergleichlich öfter und oft auch anders als vor zwanzig Jahren. In den meisten Sprachen wirkt sich dies auf die eine oder andere Weise aus. In der Schweiz hat diese Entwicklung eine unerwartete Folge: die Verschriftlichung der Mundart. Bei einem Teil der Bevölkerung, zumal bei Kindern und Jugendlichen, ist mittlerweile eine schriftliche Parallel-Sprache entstanden. Bei den Jungen läuft der private schriftliche Austausch - per SMS, Chat, Mail, Postkarte - fast ausschliesslich in der Mundart ab. Die Gründe dafür sind vielfältig: Schriftdialekt bedient die neue allgemeine Tendenz zur Informalität, es schreibt sich, vor allem in der "dialogischen" Kommunikation, leichter, spontaner und authentischer. Es gibt hier keine Klassenschranken. (...)

Wie geht es nun weiter mit Mundart und Hochdeutsch? Wie pegeln sich all diese Entwicklungen ein und aus? Dem heimatbeschwörenden Kult der Mundart steht eine vermehrte öffentliche Präsenz von Hochdeutsch durch Einwanderung gegenüber. Wer wird sich hier wem anpassen? Die Zukunft wird es zeigen. Schriftdialekt wiederum wird von immer mehr Schweizern geschrieben werden. Wie lange noch antworten die Eltern auf die Dialekt-SMS ihrer Kinder auf Hochdeutsch? Es könnte sein, dass in absehbarer Zeit Zweischriftigkeit in der Schweiz allgemein wird. Dass der Schriftdialekt nicht mehr nur für das Private reserviert bleibt, sondern auch ins Öffentliche einsickert und irgendwann die Weihen des Offiziellen erhält. So wie es im Laufe der Geschichte mit verschiedenen Dialekten passiert ist, wie etwa in Luxemburg. 1984 wurde dort das einheimische Lëtzebuergesch, eine Gruppe von moselfränkischen Dialekten, zur Nationalsprache ernannt. Seither fungiert es neben Hochdeutsch und Französisch als "offizielle", auch schriftliche Sprache. Für Lëtzebuergesch wurde eine Grammatik verfasst, es ist teilweise im Schulunterricht zugelassen. Staatsbeamte sind verpflichtet, die Briefe der Bürger in der Sprache zu beantworten, in der sie diese bekommen. In den Zeitungen findet man, neben Artikeln auf Französisch und Hochdeutsch, meist auch einige auf Lëtzebuergesch. Selbst auf Wikipedia ist die Sprache zu finden, wo man etwa lesen kann: "D'Schwäiz ass e Staat a Mëtteleuropa. D'Land grenzt am Norden un Däitschland, am Osten u Liechtenstein an Éisträich, am Süden un Italien an am Westen u Frankräich." Womöglich ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir ebenda einen Artikel über Luxemburg uf Schwyzerdütsch läse chönd.

Rhetorik.ch 1998-2013 © K-K Kommunikationsberatung Knill.com