Aus dem Tagi:
Lance Armstrong hat im TV seine Dopingbeichte abgelegt. Hat er
das glaubwürdig gemacht? Was hat seine Körpersprache
verraten? Antworten gibt der Kommunikationsberater Marcus Knill.
Hat Lance Armstrong in seiner TV-Beichte aufrichtige Reue gezeigt? Oder
nur schauspielerisches Talent offenbart? Marcus Knill: Der Auftritt
von Armstrong war sehr gut vorbereitet und gut inszeniert. Dennoch
nimmt man ihm seine Aussagen nicht als echte Reue ab. Es genügt
nicht zu sagen, dass es ihm leid tue. Echte Reue müsste von
tiefstem Herzen kommen. Und ich erinnere an das Sprichwort "Wer einmal
lügt...". Während des Interviews wurden immer wieder alte
TV-Sequenzen ausgestrahlt, bei denen Armstrong professionell gelogen
hatte. Diese Bilder schaden ihm nun enorm: Sie machen alle noch so
glaubwürdig wirkenden Interviewantworten unglaubwürdig. Weshalb
soll man bei so einem durchtriebenen Falschspieler sein inszeniertes
Geständnis ernst nehmen? Armstrong hat zu lange und zu perfekt als
Lügenmanager alle getäuscht und erstaunlich glaubwürdig
erklärt, er sei sauber. Als Dopingsünder war Armstrong
ein Ausnahmetalent. Er hätte wohl mit seinen Beteuerungen auch
Lügendetektoren täuschen können. Vielleicht hatte er mit
der Zeit begonnen, selbst daran zu glauben, dass er sauber sei.
Mit welchen Argumentationsketten versuchte Armstrong zu punkten?
Armstrong machte zuerst eindeutige Geständnisse. Die heiklen
Fragen beantwortete er kurz und bündig mit Ja. "Ja, ich habe
verbotene Substanzen eingenommen", sagte er zum Beispiel. Oder auch:
"Ich habe den Entscheid gefällt. Es ist mein Fehler gewesen." Er
verzichtete darauf, andere Fahrer zu beschuldigen. Nach dieser Beichte
versuchte Armstrong, seine Dopingvergehen abzuschwächen und als
normale Vorgänge darzustellen. Doping sei im Radsport üblich
gewesen. Ich zitiere Armstrong: "Doping war für mich Teil des Jobs -
wie Reifenaufpumpen und Wasserflaschenauffüllen." Ohne Doping sei
es auch nicht möglich gewesen, zu gewinnen. "Ich wollte siegen, ich
musste dopen", sagte Armstrong. Und mit der Aussage, dass er das Doping
nicht erfunden habe, verlagerte Armstrong die Schuld auf die Erfinder von
Dopingmitteln. Schliesslich versuchte er, die Dopingübertretungen
mit seiner Krebserkrankung zu koppeln. Es sei erst das zweite Mal gewesen,
dass er die Kontrolle über das Geschehen nicht mehr gehabt habe. "Das
erste Mal war beim Krebs."
Können Sie diese Argumentation von Armstrong genauer
erläutern? Armstrong zeichnete von sich das Bild eines furchtlosen
Kämpfers. Ich zitiere ihn: "Ich wuchs auf als Kämpfer
auf. Wir standen immer mit dem Rücken zur Wand. Und vor der
Diagnose war ich ein Kämpfer. Aber nach dem Krebs war ich ein
furchtloser Kämpfer." So wie bei der Diagnose Krebs habe er als
Kämpfernatur Medikamente respektive Dopingmittel eingesetzt,
gab Armstrong zu verstehen. Ich vermute, dass Armstrong diese clevere
Argumentationskette professionell trainiert hatte. Trotz eingeübter
Argumentation und trotz betont lockerer Sitzhaltung während des
TV-Interviews zeigten viele kleine Signale, dass etwas nicht stimmen kann.
Sie sprechen die Körpersprache von Armstrong an. Was ist
Ihnen besonders aufgefallen? Armstrong griff sich immer wieder ins
Gesicht. Beim Zuhören und nach dem Sprechen presste er die Lippen
eigenartig zusammen - im Sinne von "Pass auf, dass du nichts Falsches
sagst". Armstrongs Lachen huschte wie antrainiert über sein
Gesicht. Bei heiklen Fragen stockte der Sprechfluss. Während des
Sprechens brach er den Blickkontakt zur Moderatorin zu oft ab. Manchmal
hatte man den Eindruck, Armstrong suche konzentriert die antrainierte
Formulierung auf einem Teleprompter. Jedenfalls stimmte die sonore ruhige
Stimme von Armstrong nicht mit dem Inhalt der Aussagen und den nonverbalen
Signalen überein. Ungewöhnliche Signale waren nicht nur bei der
Lippen-, sondern auch bei der Augensprache festzustellen. Beispielsweise
zog Armstrong das untere Lid plötzlich leicht nach oben. Solche
Signale werden vom Publikum unbewusst wahrgenommen und interpretiert.
Zurück zum Inhalt des Interviews. Die Verquickung von Dopingvergehen
und Krebserkrankung haben Sie als geschickt bezeichnet. Hat Armstrong
nicht aber auch Aussagen gemacht, die ihm ganz klar schaden? Plump und
unglaubwürdig war zum Beispiel Armstrongs Behauptung, die Spende
von 125'000 Dollar an die Anti-Doping-Behörde sei dazumal kein
Bestechungsversuch gewesen. Auch das Unrechtsempfinden Armstrongs gibt
zu denken. Ich zitiere Armstrong: "Ich habe nicht gedacht, dass ich
betrüge. Doping war damals kein Betrug für mich." Doping sei
für ihn sozusagen das Sicherstellen von Waffengleichheit im Radsport
gewesen. Solche Aussagen sind aus meiner Sicht kontraproduktiv. Damit
signalisierte Armstrong Uneinsichtigkeit - und er entwertete seine
Geständnisse.
Was ist im zweiten Teil des TV-Interviews, das in der Nacht auf Samstag
ausgestrahlt wird, zu erwarten? Ich bin kein Kaffeesatzleser. Dennoch
müssen wir damit rechnen, dass Armstrong strategisch handeln
wird. Dabei geht es um das Thema "Kronzeugenaussage gegen die
Funktionäre des Weltradsportverbands". Armstrong wird sich an die
Anweisungen seiner Berater halten. Dass er die Radsportfunktionäre
konkret anschwärzt, glaube ich nach dem ersten Teil des TV-Interviews
weniger. Er wird wohl durchblicken lassen, dass die Dopingsünder
keine Angst haben mussten. Jahrelang sei nichts geschehen. Damit werden
die Dopingkontrolleure indirekt beschuldigt, versagt zu haben.
Macht es bei einer Beichte Sinn, auf Fehler und Versäumnisse
von Radsportfunktionären und Dopingkontrolleuren hinzuweisen?
Seine Rechtsberater werden Armstrong klargemacht haben, bei welcher
Version er am besten wegkommen kann. Falls sich seine Kronzeugenaussagen
und das Mitaufdecken von Missständen auf das Strafmass günstig
auswirken, wird Armstrong die mutmasslichen Versäumnisse der
Radsportbehörden konkret benennen. Diese Thematik wird vermutlich
im zweiten Teil des TV-Interviews wiederum genau inszeniert worden sein.
Die TV-Beichte ist nur ein Teil von Armstrongs "Gang nach Canossa".
Welches Prozedere muss er noch durchlaufen? Wenn es Armstrong gelingt,
zu vermitteln, dass auch noch eine Prise echte Reue durchschimmert,
könnte er zusätzliche Punkte holen. Ein echtes Mea culpa
würde heissen: Er nimmt die Schuld auf sich - damit würde
er ENT-schuldigt. Wenn ein Angeschuldigter die Schuld auf sich nimmt,
fällt es schwer, ihn noch mehr zu belasten.
Mit welchem öffentlichen "Urteil" muss Armstrong rechnen? Nebst der
lebenslangen Sperre, der Aberkennung der sportlichen Erfolge und einer
allfälligen Gefängnisstrafe - man rechnet zwar beim Meineid
mit einer Verjährung - wird Armstrong trotz dieses TV-Interviews von
echten Sportfreunden geächtet bleiben. Sein Image ist dahin. Promis
liegt enorm viel am Image.
Ist die Dopingvergangenheit ein grosses Hindernis für das weitere
Berufsleben von Armstrong oder für den Fall, dass er in ein
paar Jahren Politiker werden möchte? Bei solchen gravierenden
Vorkommnissen sehe ich kaum ein Revival, obschon Armstrong Aufmerksamkeit
gewonnen hat, wie ich es im Sport selten gesehen habe. Ein dermassen
negativer Bekanntheitsgrad ist kaum zu übertreffen. Die traurige
Geschichte ist noch nicht fertig. Jedenfalls geht Armstrong in die
Sportgeschichte ein. Der Fall ist einmalig. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Blick publiziert eine treffende Beschreibung des zweiten Teils des
Interviews.
Sehr emotional erzählt der frühere Rad-Held von der Zeit,
als er von seinen Sponsoren fallen gelassen wurde und als Boss
seiner Stiftung Livestrong zurücktreten musste. "Das war das
Schlimmste. Es war nicht so, dass ich zum Rücktritt gezwungen
wurde. Es wurde mir vielmehr nahegelegt, dass es besser für mich
wäre, zurückzutreten. Ich verstand, dass es das Beste war
für die Organisation. Doch es tat höllisch weh." Ob es denn
sein könne, dass das viele Doping mit ein Auslöser für
seine Krebs-Erkrankung gewesen war, will Oprah danach wissen. Lance:
"Das glaube ich nicht. Jedenfalls hat mir das nie ein Doktor so gesagt."
Als Oprah einen Beitrag aus vergangenen Tagen einspielt, sagt Armstrong:
"Das ist krank, ich mag diesen Typen nicht. Ein Typ, der glaubte,
er sein unzerstörbar." Er sei jetzt in Therapie, am Anfang
eines langen Prozesses. Dann zählt Armstrong Menschen auf,
denen er eine Entschuldigung schulde: "Ich schulde so vielen Leuten
eine Entschuldigung. Frankie, Betsy, Greg LeMond, Tyler Hamilton
Floyd Landis, Emma OšReilly. Ich verstehe eure Wut, es tut mir leid." Oprah will wissen,
ob er wieder in den Sport zurückkehren möchte. "Ja! Ich will
mich wieder messen. Nicht an der Tour de France, andere Dinge. So wie
etwa mit 50 den Chicago-Marathon laufen. Aber ich darf nicht, wegen
meiner Sperre." Er finde seine lebenslange Sperre nicht unfair. "Aber
andere werden 6 Monate gesperrt, ich erhalte die Todesstrafe. Das
ist etwas anderes. Ich weiss nicht, ob ich das verdient habe." Lance
weiter: "Ja, es gibt Menschen, die die ganze Wahrheit wussten."
Besonders seine Familie sei derzeit sehr mitgenommen. Armstrongs
Mutter etwa ginge es gar nicht gut. "Sie ist ein Wrack", erzählt
Lance. Als Oprah wissen will, wie er seinem Sohn Luke (13) den ganzen
Schwindel erklärte, kommen die Tränen: "Dieses Gespräch
hat unsere Ferien zerstört. Als die Anschuldigungen aufkamen,
hat er mich stets vor anderen Kindern verteidigt, in der Schule, auf
der Strasse. Es stimme nicht, was über seinen Vater erzählt
wird. Da wusste ich, ich muss es ihm sagen." Lance: "Ich sagte ihm
und den Mädchen, dass das, was die Leute erzählen, ich sei
gedopt, wahr ist. Sie akzeptierten es, waren ruhig und reagierten sehr
reif darauf." Zu seinem Sohn sagte er zudem: "Luke, hör auf mich
zu verteidigen, mach das nicht mehr." Lance erzählt zudem, dass
er am Tag als seine Sponsoren fort waren, mit einem Schlag 75 Millionen
Dollar verlor. "Ich habe auch alles zukünftige Einkommen verloren",
so Armstrong. Dann sagt er nochmals: "Es tut mir alles so leid. Das
kann ich tausend Mal sagen, und es ist wohl immer noch nicht genug."
Und was ist die Moral von der Geschichte, will Oprah wissen? "Ich
bin vom Weg abgekommen und erwischt worden Das Schlimmste aber war der
Verrat an den Menschen."
Wiederum ist das Verhalten beim Start aufschlussreich: Es hat vielen
Dankpausen. Nachdem Armstrong findet, er habe eine Strafe verdient.
-folgt eine längere Phase, die Emotionen weckt. Die Moderatorin
trifft einen wunden Punkt: Was sagt der Vater seinem Sohn, wenn er fragt,
ob die Gerüchte wahr sind. Bei dieser Passage geht es nicht um
Fakten und Detail hinsichtlich der Fakten. Es geht um echte Emotionen im
familiären Bereich. Hier sind die Tränen nicht gespielt. Sie
werden im Publikum wahrscheinlich Mitleid wecken. Nonverbal nehmen wir
wahr: Es kommt zu langen Denkpausen, hörbaren Atemgeräuschen,
Schluckbewegungen, Tränen. Die vielen Griffbewegungen ins Gesicht
und vor den Mund ähneln der Startphase im ersten Teil. Dort, wo
sich Armstrong als Person erklärt, kommt er am glaubwürdigsten
rüber. In folgender Passage versucht Armstrong die Strafe als
überrissen zu bezeichnen, indem er sie mit anderen vergleicht. Oprah
will wissen, ob er wieder in den Sport zurückkehren möchte.
Ja! Ich will mich wieder messen. Nicht an der Tour de France,
andere Dinge. So wie etwa mit 50 den Chicago-Marathon laufen. Aber ich
darf nicht, wegen meiner Sperre." Er finde seine lebenslange Sperre
nicht unfair. "Aber andere werden 6 Monate gesperrt, ich erhalte die
Todesstrafe. Das ist etwas anderes. Ich weiss nicht, ob ich das verdient
habe."
Ob die Bevölkerung diese Meinung teilt, nach den jahrelangen
Verfehlungen?
Wenn Armstrong klagt, dass er am Tag als seine Sponsoren fort waren,
mit einem Schlag 75 Millionen Dollar verlor. "Ich habe auch alles
zukünftige Einkommen verloren". Ich zweifle daran, dass die
Bevölkerung bei diesem Argument aus Mitleid in Tränen
ausgebrochen ist.