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www.rhetorik.ch aktuell: (17. Jan, 2013)

Das Armstrong Interview

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Lance Armstrong hat in seiner TV-Beichte Doping zugegeben. Das Exklusive Interview bei Oprah begann mit Ja-Nein Fragen.

Auf Oprah.

Ein Zusammenschnitt von Aussagen von Armstrong aus früheren Interviews.


Aus dem Tagi:
Lance Armstrong hat im TV seine Dopingbeichte abgelegt. Hat er das glaubwürdig gemacht? Was hat seine Körpersprache verraten? Antworten gibt der Kommunikationsberater Marcus Knill. Hat Lance Armstrong in seiner TV-Beichte aufrichtige Reue gezeigt? Oder nur schauspielerisches Talent offenbart? Marcus Knill: Der Auftritt von Armstrong war sehr gut vorbereitet und gut inszeniert. Dennoch nimmt man ihm seine Aussagen nicht als echte Reue ab. Es genügt nicht zu sagen, dass es ihm leid tue. Echte Reue müsste von tiefstem Herzen kommen. Und ich erinnere an das Sprichwort "Wer einmal lügt...". Während des Interviews wurden immer wieder alte TV-Sequenzen ausgestrahlt, bei denen Armstrong professionell gelogen hatte. Diese Bilder schaden ihm nun enorm: Sie machen alle noch so glaubwürdig wirkenden Interviewantworten unglaubwürdig. Weshalb soll man bei so einem durchtriebenen Falschspieler sein inszeniertes Geständnis ernst nehmen? Armstrong hat zu lange und zu perfekt als Lügenmanager alle getäuscht und erstaunlich glaubwürdig erklärt, er sei sauber. Als Dopingsünder war Armstrong ein Ausnahmetalent. Er hätte wohl mit seinen Beteuerungen auch Lügendetektoren täuschen können. Vielleicht hatte er mit der Zeit begonnen, selbst daran zu glauben, dass er sauber sei. Mit welchen Argumentationsketten versuchte Armstrong zu punkten? Armstrong machte zuerst eindeutige Geständnisse. Die heiklen Fragen beantwortete er kurz und bündig mit Ja. "Ja, ich habe verbotene Substanzen eingenommen", sagte er zum Beispiel. Oder auch: "Ich habe den Entscheid gefällt. Es ist mein Fehler gewesen." Er verzichtete darauf, andere Fahrer zu beschuldigen. Nach dieser Beichte versuchte Armstrong, seine Dopingvergehen abzuschwächen und als normale Vorgänge darzustellen. Doping sei im Radsport üblich gewesen. Ich zitiere Armstrong: "Doping war für mich Teil des Jobs - wie Reifenaufpumpen und Wasserflaschenauffüllen." Ohne Doping sei es auch nicht möglich gewesen, zu gewinnen. "Ich wollte siegen, ich musste dopen", sagte Armstrong. Und mit der Aussage, dass er das Doping nicht erfunden habe, verlagerte Armstrong die Schuld auf die Erfinder von Dopingmitteln. Schliesslich versuchte er, die Dopingübertretungen mit seiner Krebserkrankung zu koppeln. Es sei erst das zweite Mal gewesen, dass er die Kontrolle über das Geschehen nicht mehr gehabt habe. "Das erste Mal war beim Krebs." Können Sie diese Argumentation von Armstrong genauer erläutern? Armstrong zeichnete von sich das Bild eines furchtlosen Kämpfers. Ich zitiere ihn: "Ich wuchs auf als Kämpfer auf. Wir standen immer mit dem Rücken zur Wand. Und vor der Diagnose war ich ein Kämpfer. Aber nach dem Krebs war ich ein furchtloser Kämpfer." So wie bei der Diagnose Krebs habe er als Kämpfernatur Medikamente respektive Dopingmittel eingesetzt, gab Armstrong zu verstehen. Ich vermute, dass Armstrong diese clevere Argumentationskette professionell trainiert hatte. Trotz eingeübter Argumentation und trotz betont lockerer Sitzhaltung während des TV-Interviews zeigten viele kleine Signale, dass etwas nicht stimmen kann. Sie sprechen die Körpersprache von Armstrong an. Was ist Ihnen besonders aufgefallen? Armstrong griff sich immer wieder ins Gesicht. Beim Zuhören und nach dem Sprechen presste er die Lippen eigenartig zusammen - im Sinne von "Pass auf, dass du nichts Falsches sagst". Armstrongs Lachen huschte wie antrainiert über sein Gesicht. Bei heiklen Fragen stockte der Sprechfluss. Während des Sprechens brach er den Blickkontakt zur Moderatorin zu oft ab. Manchmal hatte man den Eindruck, Armstrong suche konzentriert die antrainierte Formulierung auf einem Teleprompter. Jedenfalls stimmte die sonore ruhige Stimme von Armstrong nicht mit dem Inhalt der Aussagen und den nonverbalen Signalen überein. Ungewöhnliche Signale waren nicht nur bei der Lippen-, sondern auch bei der Augensprache festzustellen. Beispielsweise zog Armstrong das untere Lid plötzlich leicht nach oben. Solche Signale werden vom Publikum unbewusst wahrgenommen und interpretiert. Zurück zum Inhalt des Interviews. Die Verquickung von Dopingvergehen und Krebserkrankung haben Sie als geschickt bezeichnet. Hat Armstrong nicht aber auch Aussagen gemacht, die ihm ganz klar schaden? Plump und unglaubwürdig war zum Beispiel Armstrongs Behauptung, die Spende von 125'000 Dollar an die Anti-Doping-Behörde sei dazumal kein Bestechungsversuch gewesen. Auch das Unrechtsempfinden Armstrongs gibt zu denken. Ich zitiere Armstrong: "Ich habe nicht gedacht, dass ich betrüge. Doping war damals kein Betrug für mich." Doping sei für ihn sozusagen das Sicherstellen von Waffengleichheit im Radsport gewesen. Solche Aussagen sind aus meiner Sicht kontraproduktiv. Damit signalisierte Armstrong Uneinsichtigkeit - und er entwertete seine Geständnisse. Was ist im zweiten Teil des TV-Interviews, das in der Nacht auf Samstag ausgestrahlt wird, zu erwarten? Ich bin kein Kaffeesatzleser. Dennoch müssen wir damit rechnen, dass Armstrong strategisch handeln wird. Dabei geht es um das Thema "Kronzeugenaussage gegen die Funktionäre des Weltradsportverbands". Armstrong wird sich an die Anweisungen seiner Berater halten. Dass er die Radsportfunktionäre konkret anschwärzt, glaube ich nach dem ersten Teil des TV-Interviews weniger. Er wird wohl durchblicken lassen, dass die Dopingsünder keine Angst haben mussten. Jahrelang sei nichts geschehen. Damit werden die Dopingkontrolleure indirekt beschuldigt, versagt zu haben. Macht es bei einer Beichte Sinn, auf Fehler und Versäumnisse von Radsportfunktionären und Dopingkontrolleuren hinzuweisen? Seine Rechtsberater werden Armstrong klargemacht haben, bei welcher Version er am besten wegkommen kann. Falls sich seine Kronzeugenaussagen und das Mitaufdecken von Missständen auf das Strafmass günstig auswirken, wird Armstrong die mutmasslichen Versäumnisse der Radsportbehörden konkret benennen. Diese Thematik wird vermutlich im zweiten Teil des TV-Interviews wiederum genau inszeniert worden sein. Die TV-Beichte ist nur ein Teil von Armstrongs "Gang nach Canossa". Welches Prozedere muss er noch durchlaufen? Wenn es Armstrong gelingt, zu vermitteln, dass auch noch eine Prise echte Reue durchschimmert, könnte er zusätzliche Punkte holen. Ein echtes Mea culpa würde heissen: Er nimmt die Schuld auf sich - damit würde er ENT-schuldigt. Wenn ein Angeschuldigter die Schuld auf sich nimmt, fällt es schwer, ihn noch mehr zu belasten. Mit welchem öffentlichen "Urteil" muss Armstrong rechnen? Nebst der lebenslangen Sperre, der Aberkennung der sportlichen Erfolge und einer allfälligen Gefängnisstrafe - man rechnet zwar beim Meineid mit einer Verjährung - wird Armstrong trotz dieses TV-Interviews von echten Sportfreunden geächtet bleiben. Sein Image ist dahin. Promis liegt enorm viel am Image. Ist die Dopingvergangenheit ein grosses Hindernis für das weitere Berufsleben von Armstrong oder für den Fall, dass er in ein paar Jahren Politiker werden möchte? Bei solchen gravierenden Vorkommnissen sehe ich kaum ein Revival, obschon Armstrong Aufmerksamkeit gewonnen hat, wie ich es im Sport selten gesehen habe. Ein dermassen negativer Bekanntheitsgrad ist kaum zu übertreffen. Die traurige Geschichte ist noch nicht fertig. Jedenfalls geht Armstrong in die Sportgeschichte ein. Der Fall ist einmalig. (Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Blick publiziert eine treffende Beschreibung des zweiten Teils des Interviews.
Sehr emotional erzählt der frühere Rad-Held von der Zeit, als er von seinen Sponsoren fallen gelassen wurde und als Boss seiner Stiftung Livestrong zurücktreten musste. "Das war das Schlimmste. Es war nicht so, dass ich zum Rücktritt gezwungen wurde. Es wurde mir vielmehr nahegelegt, dass es besser für mich wäre, zurückzutreten. Ich verstand, dass es das Beste war für die Organisation. Doch es tat höllisch weh." Ob es denn sein könne, dass das viele Doping mit ein Auslöser für seine Krebs-Erkrankung gewesen war, will Oprah danach wissen. Lance: "Das glaube ich nicht. Jedenfalls hat mir das nie ein Doktor so gesagt." Als Oprah einen Beitrag aus vergangenen Tagen einspielt, sagt Armstrong: "Das ist krank, ich mag diesen Typen nicht. Ein Typ, der glaubte, er sein unzerstörbar." Er sei jetzt in Therapie, am Anfang eines langen Prozesses. Dann zählt Armstrong Menschen auf, denen er eine Entschuldigung schulde: "Ich schulde so vielen Leuten eine Entschuldigung. Frankie, Betsy, Greg LeMond, Tyler Hamilton Floyd Landis, Emma OšReilly. Ich verstehe eure Wut, es tut mir leid." Oprah will wissen, ob er wieder in den Sport zurückkehren möchte. "Ja! Ich will mich wieder messen. Nicht an der Tour de France, andere Dinge. So wie etwa mit 50 den Chicago-Marathon laufen. Aber ich darf nicht, wegen meiner Sperre." Er finde seine lebenslange Sperre nicht unfair. "Aber andere werden 6 Monate gesperrt, ich erhalte die Todesstrafe. Das ist etwas anderes. Ich weiss nicht, ob ich das verdient habe." Lance weiter: "Ja, es gibt Menschen, die die ganze Wahrheit wussten." Besonders seine Familie sei derzeit sehr mitgenommen. Armstrongs Mutter etwa ginge es gar nicht gut. "Sie ist ein Wrack", erzählt Lance. Als Oprah wissen will, wie er seinem Sohn Luke (13) den ganzen Schwindel erklärte, kommen die Tränen: "Dieses Gespräch hat unsere Ferien zerstört. Als die Anschuldigungen aufkamen, hat er mich stets vor anderen Kindern verteidigt, in der Schule, auf der Strasse. Es stimme nicht, was über seinen Vater erzählt wird. Da wusste ich, ich muss es ihm sagen." Lance: "Ich sagte ihm und den Mädchen, dass das, was die Leute erzählen, ich sei gedopt, wahr ist. Sie akzeptierten es, waren ruhig und reagierten sehr reif darauf." Zu seinem Sohn sagte er zudem: "Luke, hör auf mich zu verteidigen, mach das nicht mehr." Lance erzählt zudem, dass er am Tag als seine Sponsoren fort waren, mit einem Schlag 75 Millionen Dollar verlor. "Ich habe auch alles zukünftige Einkommen verloren", so Armstrong. Dann sagt er nochmals: "Es tut mir alles so leid. Das kann ich tausend Mal sagen, und es ist wohl immer noch nicht genug." Und was ist die Moral von der Geschichte, will Oprah wissen?  "Ich bin vom Weg abgekommen und erwischt worden Das Schlimmste aber war der Verrat an den Menschen."
Wiederum ist das Verhalten beim Start aufschlussreich: Es hat vielen Dankpausen. Nachdem Armstrong findet, er habe eine Strafe verdient. -folgt eine längere Phase, die Emotionen weckt. Die Moderatorin trifft einen wunden Punkt: Was sagt der Vater seinem Sohn, wenn er fragt, ob die Gerüchte wahr sind. Bei dieser Passage geht es nicht um Fakten und Detail hinsichtlich der Fakten. Es geht um echte Emotionen im familiären Bereich. Hier sind die Tränen nicht gespielt. Sie werden im Publikum wahrscheinlich Mitleid wecken. Nonverbal nehmen wir wahr: Es kommt zu langen Denkpausen, hörbaren Atemgeräuschen, Schluckbewegungen, Tränen. Die vielen Griffbewegungen ins Gesicht und vor den Mund ähneln der Startphase im ersten Teil. Dort, wo sich Armstrong als Person erklärt, kommt er am glaubwürdigsten rüber. In folgender Passage versucht Armstrong die Strafe als überrissen zu bezeichnen, indem er sie mit anderen vergleicht. Oprah will wissen, ob er wieder in den Sport zurückkehren möchte. Ja! Ich will mich wieder messen. Nicht an der Tour de France, andere Dinge. So wie etwa mit 50 den Chicago-Marathon laufen. Aber ich darf nicht, wegen meiner Sperre." Er finde seine lebenslange Sperre nicht unfair. "Aber andere werden 6 Monate gesperrt, ich erhalte die Todesstrafe. Das ist etwas anderes. Ich weiss nicht, ob ich das verdient habe." Ob die Bevölkerung diese Meinung teilt, nach den jahrelangen Verfehlungen? Wenn Armstrong klagt, dass er am Tag als seine Sponsoren fort waren, mit einem Schlag 75 Millionen Dollar verlor. "Ich habe auch alles zukünftige Einkommen verloren". Ich zweifle daran, dass die Bevölkerung bei diesem Argument aus Mitleid in Tränen ausgebrochen ist.

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