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Radio 24 MP3
- Johann Schneider-Ammann hielt sich als einziger
Bundesrat keine Rede - er ist in den Ferien. Für Knill ist
der Rede-Verzicht angesichts der rhetorischen Fähigkeiten des
Wirtschaftsministern aber nicht unbedingt ein schlechter Entscheid: "Er
wirkt oft unbeholfen und spröd." Schneider-Ammann müsse lernen,
ganz einfach zu reden. Immerhin: Inhaltlich schneidet Schneider-Ammann
gut ab. Von allen untersuchten Reden weist jene von ihm an der Trauerfeier
von Otto Ineichen den tiefsten BlaBla-Wert auf.
- Seine erste 1. August-Rede als Bundesrat hielt Alain Berset in
Middes FR. Er plädierte für Weitsicht und realistisches Denken:
"Die alten Eidgenossen konnten ihre Stärke - meistens - realistisch
einschätzen und dann das Maximum herausholen." Insgesamt landet
der Innenminister im Bullshit-Rating im Mittelfeld, kann inhaltlich also
noch zulegen. Laut Knill überzeugt Berset dafür mit seiner Art,
zu reden: "Er spricht offen und kommt glaubwürdig rüber."
- SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga trat gestern in
Huttwil BE ans Rednerpult. Aus der Analyse geht sie als beste
Rednerin hervor, die kaum Worthülsen benutzt. Auch Knill gibt
der Justizministerin gute Noten: "Sie schafft es, ihre Kernbotschaften
rhetorisch rüberzubringen." Allerdings müsse sie achtgeben,
dass ihre Ansagen in der Asyldebatte nicht zu leeren Worten verkommen -
"sonst würde sie zur Ankündigungsministerin."
- Ueli Maurer absolvierte einen Rede-Marathon: Gestern und am
Dienstag trat er an sieben verschiedenen Festen auf - und hielt immer
die gleiche Rede. Seine Kernbotschaft: Die Schweiz müsse dem Druck
der EU standhalten. Seine Ansprache weist von allen 1. August-Reden den
tiefsten Bullshit-Index auf - auch, weil der Verteidigungsminister relativ
einfach spricht: "Er redet so, wie der Mann auf der Strasse. Deshalb
hört man ihm gerne zu", sagt Knill. Genau dies sei aber auch Maurers
Krux: "Er sollte mehr überlegen, bevor er spricht. Und ein Bundesrat
macht keine Spässchen."
- Doris Leuthard hielt keine echte 1. August-Rede. Sie sprach auf
dem Jungfraujoch zum 100-Jahr-Jubiläum der Jungfraubahnen. Bei der
Analyse schneidet sie mit Abstand am schlechtesten ab: "Sie müssen
PR-Profi oder Politiker sein", heisst es im Blablameter. Zu diesem
Schluss kommt auch Knill: "Frau Leuthard laviert, ihre Rede strotz
vor Allgemeinplätzen." Er glaubt nicht, dass die Zuhörer am
Ende noch wissen, was sie sagen wollte. Trotzdem komme sie gut an:
"Sie ist eine Strahlefrau und redet frei. Das zieht."
- Aussenminister Didier Burkhalter hielt seine Rede auf Englisch
im "Swiss House" an den Olympischen Spielen in London . Er sprang dabei
von Nelson Mandela zu Syrien und der Schweiz Neutralität. Laut
Bullshit-Index hat er noch viel Luft nach oben. Knill lobt ihn
indes für seine ruhigen, sachlichen Auftritte. "Er ist kein
Show-Man. Leider fehlen ihm deshalb auch die Emotionen, um die
Zuhörer zu fesseln." Allein der Ausruf "Es lebe die Schweiz!" am
Ende seiner gestrigen Rede reiche da nicht.
- Eveline Widmer-Schlumpf warnte in ihrer Radio- und
TV-Ansprache und bei der 1.-August-Rede in Juf GR vor den Auswirkungen
der Euro-Krise auf die Schweiz. Das Volk soll zusammenstehen: "Es
gilt die Reihen zu schliessen." Schriftlich gibt es die Rede der
Bundespräsidentin nicht. Über alle untersuchten Ansprachen
kommt sie aber auf den zweittiefsten Bullshit-Wert. Laut Knill fehlt
es ihr immer noch an Empathie: "Sie sollte so reden, wie am Esstisch."
Seit ihrer Wahl habe sie jedoch massive Fortschritte gemacht. "Früher
sprach sie noch viel künstlicher."
Aus dem
Tagesanzeiger:
Von Vincenzo Capodici.
Der 1. August ist für Bundesräte eine
Gelegenheit, Volksnähe zu markieren. Volkswirtschaftsminister Johann
Schneider-Ammann macht aber lieber Ferien.
Als Johann Schneider-Ammann vor zwei Jahren in den Bundesrat
gewählt wurde, galt der allseits respektierte Berner Nationalrat
und erfolgreiche Unternehmer als Hoffnungsträger. Dieser Nimbus
war allerdings schnell dahin. Es häufen sich Zweifel an seinem
politischen Gespür, seine öffentlichen Auftritte wirken oft
ungelenk, seine Kommunikation missachtet einfachste Regeln. Allzu oft
war der Volkswirtschaftsminister in der öffentlichen Debatte
kaum wahrnehmbar. So erstaunt es wenig, dass eine vom "SonntagsBlick"
veröffentlichte Umfrage des
Meinungsforschungs-Instituts Isopublic ergeben hat, dass nur etwa
die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer überhaupt
weiss, wer Schneider-Ammann ist. Der 60-jährige Bundesrat
aus Langenthal wird auch an diesem 1. August nicht sichtbar sein -
im Gegensatz zu seinen sechs Bundesratskollegen, die mindestens
eine Rede am Nationalfeiertag halten werden. Ueli Maurer hat gar
sieben Auftritte in seinem Programm. Schneider-Ammann mache Ferien,
"in der Schweiz", sagt auf Anfrage Simone Hug, Mediensprecherin im
Volkswirtschaftdepartement. Er habe während des ganzen Jahres
viele öffentliche Auftritte. Aufgrund der zahlreichen Termine biete
sich die Sommerzeit ohne Bundesratssitzungen am besten an, um Ferien zu
machen.
Ein Bundesrat sei zwar keinesfalls verpflichtet, am 1. August Reden zu
halten, sagt Kommunikationsberater Marcus Knill, der als Experte immer
wieder die öffentlichen Auftritten von Politikern analysiert. "Die
Leute erwarten das allerdings von einem Bundesrat. Und sie freuen sich,
wenn ein Bundesrat zu ihnen kommt." Viele Politiker nutzten deshalb
die Chance, als 1.-August-Redner auftreten zu können, um ihr
Image aufzupolieren. In der Regel seien Politiker, nicht zuletzt auch
Bundesräte, erstaunlich "mediengeil". "Sie machen alles, um sich
in der Öffentlichkeit positiv in Szene setzen zu können."
Nach Ansicht von Knill hat Schneider-Ammann inzwischen das Pech, dass
er praktisch immer kritisiert werde, egal was er tue und lasse. "Er
steckt in einem blöden Rank." Wäre Schneider-Ammann an einer
1.-August-Feier aufgetreten, wäre er laut Knill vielleicht wieder
in ein Fettnäpfchen getreten. Mit seinem Entscheid, nicht als Redner
aufzutreten, "hat er leider eine Chance verpasst, obschon jeder Politiker
das Recht hat, Nein zu sagen". Zurückhaltung und Bescheidenheit
kämen zwar auch gut an. "Ich hätte ihm dennoch empfohlen,
eine 1.-August-Rede zu halten. Ein guter Grundgedanke über die
Schweiz - mit Bezug zur Lage der Wirtschaft - hätte genügt",
meint Knill. Immer wenn Schneider-Ammann vom Blatt ablesen könne,
habe er rhetorisch kaum Probleme. "Bezüglich Image hätte sich
eine solche Rede für Schneider-Ammann positiv ausgewirkt."
Verständnis für Schneider-Ammann äussert der Berner
Politikberater Mark Balsiger. Unter Berücksichtigung der vielen
Termine eines Bundesrats während des Jahres sei die Sommerzeit
eben die beste Phase, um Ferien zu machen. "Deshalb sollte man auch
Verständnis aufbringen." Ausserdem erinnert Balsiger daran, dass
der Volkswirtschaftsminister am Nationalfeiertag im letzten Jahr zwei
Reden gehalten habe. Laut Balsiger hat sich Schneider-Ammann punkto
Auftrittskompetenz verbessert. Er stufe inzwischen die zentrale Bedeutung
der Kommunikation in der Politik richtig ein und habe mit Ruedi Christen
einen Vertrauensmann an die Spitze der Kommunikationsabteilung seines
Departements geholt. Allerdings, so Balsiger, habe sich nichts daran
geändert, "dass Schneider-Ammann öffentliche Auftritte als
Bundesrat nicht sonderlich mag".