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Herr Voigt, warum publizieren Sie bei 20 Minuten Leserreporter-Bilder?
- Wir bekommen exklusive Bilder, sind schnell vor Ort und die Leser
können uns oft noch als Augenzeugen Auskunft geben. Was will man
mehr? Unsere Community ist Teil unserer Berichterstattung geworden. Das
ist eine enorme Ergänzung unseres journalistischen Angebots, eine
hervorragende Leserbindung und auch ein grosses Kompliment. Die Leser
vertrauen der Redaktion von "20 Minuten Online" ihre Inhalte an. Das
ist nicht selbstverständlich, sondern die Folge davon, dass die
Zeitung auf Augenhöhe mit seinen Usern kommuniziert.
Sie haben am Montag, 7. Mai in der Printausgabe von "20 Minuten" einen
Artikel zu einer Messerstecherei am Bahnhof Bern veröffentlicht. Zum
Artikel gab es ein Leserreporter-Bild. Ein Messer am Boden, eine
Blutlache und Fragmente des Verletzten waren zu sehen. Das Bild sorgte
auf der Redaktion für Diskussionen. Wieso? - Es ging um die
Unversehrtheit des Betrachters, beziehungsweise die Frage, wie viel Blut
einem unvorbereiteten Leser zugemutet werden darf.
Warum haben Sie das Bild zum Online-Bericht entfernt? - Das Ereignis
passierte an einem Samstag kurz vor Mitternacht. Es waren nur noch
zwei Redaktoren anwesend. Der Redaktor fand, dass die Blutlache im
Vordergrund des Bildes zuviel des Guten sei. Er entschied äusserst
vorsichtig. Das Bild hätte man wohl auch zeigen können. Doch
es ist richtig, im Zweifelsfall eher kein Risiko einzugehen.
Was ist der journalistische Mehrwert dieser Illustration? - Na ja, es
illustriert die Folgen einer gewalttätigen Auseinandersetzung, wie
wir sie häufig mitbekommen, aber journalistisch unter "ferner liefen"
beziehungsweise unter den Meldungen abhandeln, wenn kein Bildmaterial
vorhanden ist.
(...)
Sie bekommen bestimmt viele Bilder, die für eine
Veröffentlichung nicht in Frage kommen. Können Sie Beispiele
geben? - Wir bekamen zahlreiche Fotos und Filme zugeschickt von dem
13-jährigen Mädchen, das in Zürich vom Dach des Jelmolis
sprang. Wir hatten auch ein Video, von dem tragischen Unfall, bei dem
sechs Jugendliche in den Pfeiler der Europa-Brücke in Zürich
knallten und ein Mädchen starb. Den Sprung vom Jelmoli zeigten
wir nicht, weil wir keine Suizidversuche zeigen, das Video von der
Europabrücke zeigten wir nicht, weil es dokumentierte, dass der
Passant vor allem die Hilfeleistungen unterliess und stattdessen vor
sich hinfilmte.
Wie reagieren Sie in der Redaktion, wenn Sie ein Bild erhalten, das
die Würde eines Menschen verletzt? - Genau gleich, wie bei allen
Bildern. Bei Grenzfällen wird die Chefredaktion beigezogen. Dann wird
diskutiert, ob hier medienrechtliche oder medienethische Verstösse
vorliegen. Falls ja, wird das Bild nicht gezeigt.
(...)
Wird mit Leserreportern der Beruf des Journalisten und seine Leistung
nicht entwertet, wenn plötzlich jeder und jede Reporter sein kann?
- Jeder Leser kann Reporter sein - aber nur dann, wenn er zufällig
vor Ort ist. Das ist oft nur einmal im Leben der Fall. Einen Beruf
können Sie daraus nicht machen. Allerdings verdrängt die
Masse der Leserinputs durchaus den klassischen rasenden Reporter, der
nach der Polizeimeldung vor Ort auftaucht und die Bilder schiesst. Denn
der Leser mit seinem Handy ist immer schon dagewesen. Es verhält
sich ein bisschen wie in der Fabel mit dem Hasen und dem Igel. Für
"20 Minuten Online" sind die Leser eine grossartige Hilfe. Unsere Leser
sind überall!
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