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Seit Anfang Februar hatte 20 Minuten Online in einer mehrteiligen Serie
zahlreiche Ungereimtheiten im Fall Kampusch aufgezeigt. Wenige Wochen
später geriet der Entführungsfall auch in Österreich wieder
in die Medien. Für Schlagzeilen sorgten vor allem die Zweifel an der
Einzeltätertheorie und Priklopils Tod. Am Montagabend äusserte
sich Natascha Kampusch erstmals seit den neuesten Entwicklungen selbst.
Die neu aufgerollte Debatte um die Umstände ihrer Entführung
und Gefangenschaft bezeichnete Kampusch gestern in einem Interview mit dem
ORF-Journalisten Christoph Feurstein als "empörend". Sie fügte
hinzu: "Es ist eine enorme psychische Belastung, es verletzt." Sie
blieb dabei: "Ich habe immer nur einen Täter gesehen." Die Aussage
der damals zwölfjährigen Augenzeugin Ischtar A.*, die die
Entführung beobachtet hatte und dabei zwei Männer gesehen haben
will, erklärt sich Kampusch mit einer Einbildung im Schockzustand:
"Es kann sein, dass sich dieses Mädchen geirrt hat."
Auch eine Art Liebesbeziehung mit Priklopil, für die es mehrere
Hinweise gibt, wies sie von sich. "Es ist eigentlich richtig absurd. Das
ist demütigend und beleidigend für mich", meinte sie zu dem
Thema. Es sei auch nicht so, dass sie nicht geflohen sei, weil sie sich
bei Priklopil wohler gefühlt hatte als in Freiheit. Es sei immer
schlimm, gefangen zu sein.
Die Frage, ob sie ein Kind habe, verneinte Natascha Kampusch ebenfalls.
Eine im Verlies gefundene Haarlocke stamme nicht von einem Baby sondern
von ihr selbst, da ihr Priklopil regelmässig den Kopf rasiert habe.
Feurstein hakte nach und wollte wissen, warum sie denn bei der ersten
Untersuchung durch einen Arzt nach ihrer Flucht habe wissen wollen, wie
lange eine Schwangerschaft nachweisbar sei. Das habe sie nicht wegen sich
selbst gefragt. "Es hat mich einfach interessiert, weil mich Biologie
interessiert", begründete Kampusch.
Zu Vorhaltungen, sie spare in ihren Berichten vieles aus, sagte
Kampusch: "Ja, aber sehen Sie es doch so: Jeder hat ein Anrecht auf
Privatsphäre, und ich muss nicht alles erzählen. Gewisse Dinge
sind sehr persönlich und haben nicht mit dem Verbrechen zu tun."
Den Gang an die Öffentlichkeit bereut Natascha Kampusch trotzdem
nicht. "Ich wollte frei sein. Und das heisst für mich auch, dort
sein zu müssen, wo ich sein möchte. Warum sollte ich mich
verstecken oder eine andere Identität annehmen?" Sie habe verhindern
wollen, dass jemand ihre Erlebnisse verfälsche.
Der ORF-Journalist Feurstein, ein enger Vertrauter von Kampusch, nahm
darauf Rücksicht. Viele Fragen wurden gar nicht erst gestellt. Offen
bleibt etwa, warum sich Kampusch mehrmals widersprach und weshalb
sie mehrere Fluchtmöglichkeiten nicht ergriffen hatte. Unklar ist
zudem, warum nach der Flucht so getan wurde, als wäre sie jahrelang
im Verlies gewesen, obwohl dies aktenkundig nicht so war. Der Sender
sprach mehrfach von Verschwörungstheorien - dass diverse Fragen
aber auch im österreichischen Parlament diskutiert werden, blieb
nicht richtig erwähnt.
Trotz allem Verständnis für den Schutz des Opfers werden
angesichts der vielen Ungereimtheiten die Rufe immer lauter, die eine
lückenlose Aufklärung fordern. Eine Gruppe österreichischer
Politiker kämpft derzeit darum, dass der Fall neu aufgerollt
wird. Der Entscheid dazu fällt Ende Monat.
Krone:
Ein vorab ausgestrahlter Teil des Interviews hatte bereits am Sonntagabend
für eine emotionale Diskussion in der ORF- Sendung "Im Zentrum"
gesorgt (siehe Infobox). Im Gespräch mit Feurstein zeigte sich
die junge Frau sehr betroffen über Verschwörungstheorien,
die immer wieder vorgebracht werden. So erzählte sie etwa,
wie schwer es für sie sei, dass bezweifelt wird, dass Wolfgang
Priklopil ein Einzeltäter war. Auch Behauptungen, dass sie nie
die ganze Wahrheit erzählt habe, setzten ihr zu. Schwangerschaft:
"Frage so nie gestellt"
Zu den jüngst wieder aufgetauchten Spekulationen, sie sei bereits
Mutter, äusserte sich Kampusch ebenfalls. Sie sei
niemals schwanger gewesen. Bezüglich der Behauptung, sie habe bei
ihrer ersten Einvernahme gefragt, ob eine Schwangerschaft nachzuweisen
sei, sagte sie: "Dazu muss man sagen, dass ich diese Frage so nie
gestellt habe. Es stimmt aber, dass ich mich erkundigt habe, weil ich
mich für das Thema Biologie und auch den menschlichen Organismus
interessiere... aber das hat nichts mit mir zu tun."
Dass im Verlies Bücher zum Thema Schwangerschaft gefunden wurden,
liegt Kampusch zufolge daran, dass sie von Priklopil Lesestoff bekommen
habe. Dabei waren auch alte Sachen von "irgendwem" - unter anderem ein
kleines Heftchen, wie man einen Säugling pflegt. Eine gefundene
Haarlocke stamme nicht von einem Baby, sondern von ihr, fügte sie
in dem Interview erklärend hinzu. Sie habe sich den Kopf rasieren
müssen, damit man im Haus keine Haare finden konnte, wenn sie
oben arbeitete. Gerüchte um Pädophilen- Ring und Pornovideos
Auch die Gerüchte, sie würde einen Pädophilen- Ring
decken, wies die junge Frau entschieden zurück: "Alle wissen,
was mir passiert ist, dass ich achteinhalb Jahre gefangen war. Ich
habe gesagt, was ich sagen konnte, was ich wusste. Ich würde so
was nie tun. Ich würde nie verhindern, dass solche Verbrecher zur
Rechenschaft gezogen werden, und würde alles daran setzen, dass
das anderen Leuten nicht passiert."
Mit einem eindeutigen "Nein" beantwortete Kampusch auch die Frage nach
Pornovideos, über deren Existenz sich laut Feurstein ebenfalls
hartnäckig Gerüchte halten würden. "Hierbei handelt es
sich natürlich nur um eine weitere Fantasie, die diese angesprochene
Theorie untermauern soll - mit diesem Kinderporno- Ring und der SM-
Szene und dem allen. Da gehört natürlich auch ein Film dazu -
in der Fantasie", so Kampusch. Liebesbeziehung mit Priklopil "völlig
absurd"
Gewisse Dinge seien jedoch sehr persönlich "und haben auch nicht
wirklich etwas mit diesem Verbrechen zu tun und warum soll ich dann
demütigende Sachen preisgeben", fragte Kampusch. "Völlig absurd"
sei auch die Unterstellung einer Liebesbeziehung mit ihrem Peiniger. Bei
der Vorstellung, dass es Menschen gebe, die solche Fantasien haben,
"wird mir so richtig schlecht". Das sei demütigend und beleidigend.