Die Sucharbeiten waren am Mittwochmorgen ausgesetzt worden. Messungen
zufolge hatte sich das Schiff bewegt und drohte von den Felsen
zu rutschen, auf denen es derzeit ruht. Auch das Abpumpen des
gefährlichen Treibstoffs in den Tanks des Schiffes konnte aufgrund
der instabilen Lage noch nicht beginnen.
Der Kapitän der Costa Concordia, dem schwere Versäumnisse
zur Last gelegt werden, wurde nach Angaben seines Anwalts aus der
Untersuchungshaft entlassen und unter Hausarrest gestellt. Francesco
Schettino war unbefugt vom Kurs des Kreuzfahrtschiffes abgewichen und zu
nah an die Küste der Insel Giglio gefahren. Die Staatsanwaltschaft
beschuldigt Schettino des Totschlags und wirft ihm vor, eine Havarie
verursacht zu haben sowie sein Schiff verlassen zu haben, bevor
alle Passagiere in Sicherheit gebracht wurden. Allein für den
letztgenannten Vorwurf drohen Schettino bis zu zwölf Jahre Haft.
Medienberichten zufolge kehrte Schettino in sein Haus nahe Neapel
zurück. Die Entlassung aus Untersuchungshaft sei gerechtfertigt, da
keine Fluchtgefahr bestehe, erklärte der Anwalt des Kapitäns,
Bruno Leporatti, heute, vor Journalisten in Grosseto. Er verwies darauf,
dass Schettino die Evakuierungsaktion vom Ufer aus koordiniert habe. "Er
hat sich nicht abgesetzt." Der Kapitän sei erschüttert,
sagte Leporatti.
Ein aufgezeichnetes Gespräch mit der Küstenwache belastet den
Kapitän jedoch stark: Demnach war er bereits in einem Rettungsboot,
als die Evakuierung noch in vollem Gange war, und kam dem Befehl nicht
nach, auf das Schiff zurückzukehren, um die Rettungsarbeiten zu
leiten. In dem Gespräch bestritt Schettino, dass Schiff verlassen
zu haben. "Ich habe kein Schiff mit 100 Personen an Bord verlassen. Das
Schiff hat plötzlich Schlagseite erlitten und wir wurden ins Wasser
geschleudert", sagte Schettino einem von der Tageszeitung "Corriere
della Sera" heute veröffentlichen Protokoll zufolge.
Nach einer ersten Vernehmung des Kapitäns äusserte eine
Untersuchungsrichterin eine vernichtende Kritik. Francesco Schettino
habe ein unbesonnenes Manöver durchgeführt, als er der Insel
Giglio viel zu nah gekommen sei, teilte das Gericht in Grosseto mit. Der
Kapitän habe den Schaden am Schiff nach der Kollision mit einem
Felsen unterschätzt.
Als Schettino den Luxuskreuzer verlassen hatte, habe er keinen ernsthaften
Versuch unternommen, wieder in die Nähe der Costa Concordia zu
kommen. Weil keine Fluchtgefahr bestehe, wurde der Kapitän unter
Hausarrest gestellt. Die Staatsanwaltschaft will dagegen Einspruch
einlegen.
Kapitän Schettino selbst hatte vor Gericht Fehler eingeräumt,
als er die Insel in einem ausserplanmässigen Schwenk ansteuerte. "Es
ist etwas schief gelaufen", zitierte ihn der "Corriere della Sera". "Ich
bin auf Sicht gefahren, denn ich kannte den Meeresboden." Er sei die
Route "schon drei- oder viermal abfahren, aber dieser Felsen hat mich
überrascht", sagte Schettino.
In seiner Vernehmung hatte Schettino gestern angegeben, er sei beim
Versuch, ein Rettungsboot flottzumachen, in das Boot gefallen und
habe wegen der Schräglage der Costa Concordia nicht an Bord
zurückkehren können.
Dem Kapitän wird mehrfache fahrlässige Tötung,
Havarie und Verlassen des Schiffes während der Evakuierung
vorgeworfen. Ein Gesprächsprotokoll belegt völlig chaotische
Rettungsmassnahmen. Dem 52-Jährigen drohen bei einer Verurteilung
bis zu 15 Jahre Haft.
Naturschützer fürchten eine Katastrophe, wenn der Treibstoff
ins Meer fliessen sollte. Die Unglücksstelle liegt mitten im Pelagos-
Meeresschutzgebiet, dem wichtigsten Walschutzgebiet im Mittelmeer.
Auf Versicherer kommen Schäden in Millionenhöhe zu. Der
weltgrösste Rückversicherer Munich Re erwartet Belastungen im
mittleren zweistelligen Millionenbereich.
Die genaue Schadenssumme lasse sich noch nicht beziffern. Neben den
Kosten für das zerstörte Schiff kommen Belastungen aus
Haftpflichtansprüchen der Passagiere und der Crew sowie aus der
Bergung des Wracks hinzu.
Darüber hinaus können Kosten aus möglichen
Umwelthaftpflichtansprüchen entstehen - etwa für den Fall,
dass Öl oder Schiffsdiesel austritt. In Versicherungskreisen
wird laut "Financial Times Deutschland" davon ausgegangen, dass der
Schaden insgesamt eine halbe Milliarde Euro leicht überschreiten
könne. Die Costa Concordia war 2006 für 450 Millionen Euro
gebaut worden.
Das Abpumpen von Öl aus den Tanks des Schiffs wird voraussichtlich
mehrere Wochen dauern. Nach Angaben der Reederei sollen mindestens
1900 Tonnen Treibstoff an Bord sein, darunter Schweröl, sagte eine
Sprecherin des Havariekommandos in Cuxhaven. Nach italienischen Quellen
sind noch 2380 Tonnen Dieselölgemisch an Bord, über die Menge
von Schweröl ist offiziell nichts bekannt.