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www.rhetorik.ch aktuell: (11. Nov, 2011)

Kassensturz und Coop

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Der Coop hatte Fleischskandal kam vor einem Monat nach einem Bericht der Sendung "Kassensturz" ins rollen. Ein ehemalige Coop-Metzger Tobias Lehmann machte die Aussage, dass abgelaufenes Fleisch aus der Selbstbedienung in die Theke für Frischfleisch gelegt worden sei. Andere Mitarbeiter bestätigten, dass das in den meisten Coop-Filialen so gehandhabt werde: abgelaufene Ware werde wieder verwertet. Der Kassensturz soll von 24 Coop-Filialen in den Kantonen Aargau, Bern, Glarus, Schwyz, St. Gallen, Uri und Zürich gewusst haben.

Wie reagierte Coop? Nach den Vorwürfen hat der Grossverteiler das Auspacken und Wiederverkauf von verpacktem Fleisch und wiederverkauf ganz untersagt. Konsumentenschützerin Sara Stalder weist in der Baz online auf die Problematik hin:

Die Geschichte hat eine Debatte ausgelöst, wie frisch Frischfleich tatsächlich ist. Die angeklagte Praxis verstösst nämlich nicht gegen das Gesetz, wie ein Kantonschemiker meinte Quelle BAZ. Verbindlich sind nur Ablaufdaten auf Verpackungen.

Laut Coop haben die Konsumenten nach dem Bekanntwerden der Geschichte nicht weniger Fleisch gekauft. Die Leute haben einfach weniger Frischfleisch und mehr Abgepacktes konsumiert.

Die Geschichte ist eigentlich auch ein Komplement auf die Lebensmittelstandards, die in der Schweiz gelten. Üblicherweise werden Probleme mit Lebensmitteln erst dann als "Fleischskandal" bezeichnet, wenn auch tatsächlich schlechte Ware verkauft wird. In diesem Skandal ist kein einziger Fall von schlechtem Fleisch bekannt, es ist nur das Verfalldatum in einzelnen Fällen durch eine Praxis umgangen worden, die auch gesetzlich nicht untersagt ist (und wahrscheinlich von anderen Händlern bisher auch gemacht worden sind). Normalerweise kommen solche Geschichten erst in die News, wenn Leute krank werden, wie im Gammelfleischskandal aus dem Jahre 2005, diesem Sommer oder bei der EHEC Krise. Dass die Toleranzschwelle in der Schweiz so tief ist, macht es unwahrscheinlicher, dass Lebensmittelhändler in einen tatsächlichen Skandal schlittern.

Zur Krisenkommunikation von COOP: Es gab Patzer: die Anschuldigungen wurden zuerst als unwahr bezeichnet und anstatt den Vice vorzuschieben, hätte der Chef das Szepter nach dem Skandal sofort selbst in die Hand nehmen müssen. Er hätte sich schneller an die Kunden wenden müssen und kompromisslos ohne "Wenn und Aber" zum nachgewiesenen Skandal stehen müssen. Vor allem wollen die Kunden wissen, wie es zu dem Skandal kommen konnte.

Wer sich mit der Reputation von Firmen beschäftigt, weiss, Vertrauen lange aufgebaut werden muss. Vertrauen jedoch über Nacht verloren gehen kann.

Später ging es besser: Es wurden sofort konkrete Massnahmen angegkündigt, die zwar über das Ziel herausschiessen, in einem solchen Fall aber notwendig sind. Nur ein absolutes Verbot der Praxis, abgepacktes Fleisch wieder frisch anzubiegen, kann das Vertrauen der Konsumenten zurückgewinnen.

Die Massnahme "Tag der offenen Tür" war zwar ein weiterer Schritt, um die verlorene Reputation zurück zu gewinnen. Es gesteht jedoch die Gefahr, dass diese Aktion als "Pflästerli-aktion" interpretiert worden ist. Die Konsumenten erwarten vom Detaillisten Einsicht und eine Entschuldigung. Sie wollen keine teuren PR aktionen. Es besteht jetzt die Gefahr, dass die Reputation COOP=führend in BIO-Produkten zusätzlich leidet. Die Kunden könnten an der redlichen Deklarierung der bewährten Bioprodukte zweifeln.

Ein weiterer Schritt wäre gewesen, dass bei Metzgern künftig auf Boni verzichtet wird wie bei der Migros, weil das Bonussystem zu solchen Aktionen führen konnte.
Sutter
Nachtrag vom 13. November:

Kunden haben doch das Coop Fleisch mehr gemieden als vorher eingestanden. Der Tag der offenen Tür war ein Flop, die Verlagerung in die Selbstbedienung wurde verstärkt. Der Detailhändler musste auch 800 Brote zurückrufen: Blick dossier.

Coop Chef Joos Sutter reagiert mit weiteren konkreten Massnahmen, wie die NZZ berichtet:

  • "Wir bauen eine externe Frische Zertifizierung auf". Ein unabhängiges Unternehmen wird die Kontrollen übernehmen.
  • Der Coop schafft eine Ombudsstelle wo Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deponieren, was ihrer Ansicht nach nicht gut läuft - anonym und geschützt.
Der Coop Chef hat auch klar gesehen, dass das Hauptproblem für die Firma in dieser Geschichte nicht das Auspacken des Fleisches ist, sondern das Auspacken der Mitarbeiter, in der Presse. Was ihn betroffen mache sei, "dass die Aussagen in der Fernsehsendung anonym waren". Die zweite Massnahme soll helfen, das Arbeitsklima zu verbessern und damit die Mitarbeiter auch loyaler zu machen, auch wenn sie nicht mehr in der Firma arbeiten.
Nachtrag vom 16. November: Auch die Migros soll die angekreidete Auffrischaktion gehandhabt haben.
Migros-Sprecher Urs Peter Naef bestätigte in der Sendung die Verstösse: "Wir wissen von zwei oder drei Fällen, wo es passiert ist. Dort hatte es entsprechende Konsequenzen." Im Kanton Aargau sei der Chefmetzger abgesetzt worden. Laut der Migros waren dies aber absolute Ausnahmefälle. Es gebe keine Boni und deshalb auch keine "Anreizsysteme", solche Verstösse zu begehen. Bei Coop ist dies anders. Dort ist die Erfolgsbeteiligung unter anderem davon abhängig, wie viel Fleisch weggeworfen werden muss. Das Auspacken von Fleisch war bei den meisten Migros-Genossenschaften schon länger verboten. Ab sofort gilt jedoch bei allen Genossenschaften die Nulltoleranz. Dies teilte die Migros dem "Kassensturz" in einem Schreiben mit. Nulltoleranz bedeute: Es darf kein Fleisch mehr aus der Selbstbedienung ausgepackt und an der Frischfleischtheke verkauft werden.

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