Es wurde geschätzt, dass zwei Milliarden Menschen die
"Traumhochzeit" an den Bildschirmen mitverfolgen würden.
[Nachtrag vom 1. Mai:
3 Milliarden mögen es gewesen sein,
2. Mai:
oder nicht?]
Ein mediales Ereignis, das die Öffentlichkeit total in den Bann zieht. Alle reden, schreiben und
kommentieren die Liebesgeschichte von zwei jungen Menschen - als sei dies
die wichtigste Geschichte der Weltgemeinschaft. Die mediale Dosierung
steht in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Zeitfragen,
welche uns derzeit beschäftigen müsste. Durch die mediale
Ueberdosierung wird die Feierlichkeit des britischen Königshauses
zu einem Kollektivereignis, dem sich keine Zeitung, kein Radio oder
keine Fernsehstation entziehen konnte.
Banale Fragen dominierten das Tagesgeschehen: Frisur der
Braut? Diadem und Schleier oder nur Schleier? Wie verhalten sich die
Gäste? Passt der Ring? Wie ist das Wetter? Verhaspelt sich jemand
beim Ehegelübde? Wichtige politische Fragen waren für Stunden
vom Tisch.
Niemand scheint sich dem Medienphänomen entziehen zu
können. Die königliche Hochzeit dominiert die Traktandenliste
der Aktualität. Vielleicht findet die banale Geschichte deshalb
einen so grossen Widerhall, weil sich die Bevölkerung für ein
paar Stunden in eine Märchenwelt flüchten kann und sich so die
Sorgen und Alltagsprobleme verdrängen lassen. Der Mensch scheint
ein Bedürfnis zu haben, Märchen zu glauben. Könnte es
nicht auch sein, dass jeder weiss, dass heute die Hälfte der Ehen
scheitern und hier auf der Weltbühne wenigstens die Illusion einer
perfekten Ehe nachvollzogen werden kann. Der Traum und der Glaube an
ein Versprechen "in guten wie in schlechten Zeiten einander
treu zur Seite zu stehen" ist angeblich noch nicht ausgeträumt.
All jene, die das Kollektivereignis am Bildschirm mitverfolgen, ist die
mediale Überdosierung kein Thema. Sie geniessen die Hochzeit und die
inszenierte Traumwelt in vollen Zügen. Aus Distanz betrachtet,
weckt das mediale Ereignis jedoch viele Fragen. Vor allem müsste
es Medienwissenschafter interessieren, wie es zu solchen Phänomenen
kommen kann, dass sich die ganze Welt nur noch einem Thema widmen. Es gibt
kaum ein Medium, das diese Traumhochzeit ausklammern konnte. Erstaunlich,
dass sich für ein paar Stunden das Weltgeschehen auf ein Märchen
fokussieren kann.
Nachtrag vom 3. Mai: Quelle Salzburger Nachrichten:
Schon zu Beginn der Royal Wedding, als die Blumenkinder
zusammen mit Kate Middletons Schwester Pippa vor der Westminster Abbey
eintrafen, fiel auf, dass eines der Mädchen offenbar überhaupt
nicht begeistert davon war, bei der #Hochzeit des Jahrhunderts" mittendrin
statt nur dabei zu sein.
Wann immer die Kameras das kleine blasse Mädchen, Williams
Patenkind Grace van Cutsem, die dreijährige Tochter der Familienfreunde Hugh van
Cutsem und Rose Astor, im Lauf der nächsten Stunden einfingen,
fühlte sich Grace sichtlich gar nicht wohl in ihrer Haut.
Am Höhepunkt war ihre Missmut dann ausgerechnet in dem Moment,
als sich Will und Kate am Balkon des Buckingham Palace küssten:
Grace hält sich genervt die Ohren zu, da eine Fliegerstaffel der
Royal Air Force mit viel Karacho über den Palast hinwegdüst.
Klar, dass rund um die Welt nun Millionen Menschen ganz angetan von
dem kleinen Mädchen sind - und im Internet ihrer Begeisterung
freien Lauf lassen. "Ich liebe dieses griesgrämige Mädchen", schreibt ein
User etwa auf Facebook, während sie für einen anderen gar #das
bezauberndste Wesen der Hochzeit" ist.
Grace' Missmut blieb auch auf der Hochzeit selbst nicht unbemerkt: Kate
beugte sich auf dem Balkon zu ihr runter und sprach ihr beruhigende Worte
zu, William soll später seinen Vater Prinz Charles gefragt haben,
ob er auch bemerkt hätte, wie verschreckt Grace gewesen sei. Auf
dem offiziellen Hochzeitsfoto lächelt Grace dann übrigens auch
nicht - warum auch?
Für das Publikum hat die unbeschwerte Ehrlichkeit des
dreijährigen Mädchens etwas Erfrischendes. Das Bild steht
im Gegensatz zu den unzähligen inszenierten Fotos, die wenig
mit der Wirklichkeit zu tun haben. Die Aufnahme ist bereits ein
Quotenknüller.