Luegen-Flunkern-Taeuschen-Beschoenigen
Rhetorik.ch Artikel zum Thema: |
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Lügner zu entlarven ist nicht einfach. Es gibt Grenzen bei der Lügenerkennung.
Am Morgen des 26. Januar 2011 beschäftigte sich DRS 1 im Treffpunkt
mit dem Schwerpunktthema "Lügen". Die Sendung wurde mit folgendem
Text angekündigt:
Ehrlich währt am längsten?
Fünfzig Mal pro Tag sagen wir nicht die Wahrheit. Dies behaupten
zumindest verschiedene Studien. Wir flunkern, sagen nicht alles und
reden unsere Biographie schön. "Treffpunkt" geht der Frage nach,
ob das tatsächlich verwerflich ist.
Nicht immer ist die Wahrheit förderlich. Kürzlich hat die
Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch in einem Interview
zugegeben, dass sie fast täglich einmal bereue, in dieses Amt
gewählt worden zu sein. Es hagelte Kritik, die sich mit ein wenig
Unwahrheit wohl hätte vermeiden lassen.
"Treffpunkt" zeigt auch auf, wie wir das Lügen als Kinder lernen
und wie Erwachsene mit dem Widerspruch umgehen, dass sie den Kindern
verbieten zu lügen, es selber aber dauernd tun.
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Ich war im Studio bei
dieser Sendung dabei.
Wichtig schien mir, schon am Anfang der Sendung den Begriff klar zu
machen. Wir reden nur dann von einer Lüge wenn
die Falschaussage bewusst gemacht wird, mit der Annahme, dass sie
als wahr genommen wird. Bei Unwissen spricht man von Unwahrheit. Ein
Kabaretist verdreht Tatsachen, um lustig zu sein.
Menschen lügen vor allem aus Scham, Höflichkeit, aus Angst vor
unangenehmen Konsequenzen, aus Unsicherheit oder in Notsituation.
Man lügt etwa, um sich oder andere Interessen zu schützen,
Konflikten aus dem Weg gehen, aus Unsicherheit,
oder um sich einen Vorteil verschaffen oder das eigene Image
aufzumöbeln. Es gibt viele Variationen des Lügens:
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Die Selbstlüge | Das ist die letzte Zigarette! |
Die Notlüe | Das war ein schöner Abend! |
Die Geltungslüge | Der kleine bestiegene Hügel wird zum Viertausender |
Die Angstlüge | Das Abstreiten eines Seitensprungs |
Die skrupellose Lüge | Ein andere wird einer Tat bezichtigt. |
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Der Östereichische Soziologe
Peter Stiegnitz erforschte als einer der ersten das Lügenverhalten und
schaffte so neuen Disziplin
Mentiologie.
So stellte er Hitlisten von typischen Männer- oder typischen
Frauenlügen auf. So soll es bei den Männern das Auto bei den Frauen das Gewicht
sein.
Das hat sich heute sicher verschoben.
So weist der Psychologe
Werner Stangl in seinen Arbeitblättern über das
Lügen darauf hin, dass im Zeitalter der sozialen Medien und viel
online Präsenz als Selbstschutzmassnahme sehr viel gelogen wird.
Man verschweigt etwa sein Alter oder ändert gar das Geschlecht, um
anonymer auftreten zu können. Vor allem in Umfragen wird viel
gelogen.
Hier sind ein paar Fragen, die ich mir vor der Sendung gestellt habe:
- Macht uns die Natur nicht vor, dass Täuschung überlebenswichtig ist?
- Haben Talente der Täuschung in Wirtschaft, Politik oder Juistiz mehr Erfolg?
- Ziehen Wirtschaftsführer, den Kürzeren, die nie lügen?
- Welche Signale verraten das Lügenverhalten?
- Gibt es taugliche Lügendetektoren?
- Wann ist es etisch verantwortbar zu lügen? Wann darf ein Arzt lügen?
- Was ist der Unterschied zwischen "Verleugnen" und lügen.
- Ist es in Ordnung, Kleinkinder mit Osterhasen, Santa Klaus Geschichten anzulügen?
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Lügen ist kognitive Schwerstarbeit und stresst den Körper.
Beim Lügenprozess können oft typischen Körpersignale
erkannt werden, die sich bei Ueberraschungs-, Stress-Situationen ebenfalls
zeigen. Beispiele sind Lautstärke variationen beim Sprechen,
reduzierte Gestik, Ausweichen mit dem Blick, Erröten,
sonderbares Pausenverhalten, erhöhter Schweissaustrieb,
Unstimmigkeit in der Stimme- übertriebenes Verhalten,
erhöhte Lidschlagzahl, Pupillen vergrösserung, Puls
erhöhung, reduzierte Atmung, trockener Mund.
Wirtschaftführer beschönigen Negatives etwa
in der "Wir" Form statt in der ich-Form. Oder es werden extrem
übertriebene Worte gebraucht wie brillant, phantastische Resultate ...
obschon es der Firma schlecht geht.
Doch gilt es, dass die jeweilige Situation und der Kontext bei der Analyse
berücksichtigt wird. Alle Versuche, Lügen über
körpersprachliche Signale zu entlarven sind nicht eindeutig.
Experimente mit Lügendetektoren zeigen das.
Samy Molche meint, dass wer Lügen erkennen will, zuerst alles,
was wahrgenommen wird, präzis beschreiben muss. Dies setzt eine gute
Wahrnehmungsfähigkeit voraus.
Doch all das kann getäuscht werden.
Manager, die gelernt haben, professionell zu lügen, machen sich
beim Training dieser Erkenntnisse zu nutzen, indem sie sich bewusst
entspannen und die falschen Geschichten verinnerlichen. Sie
lernen auch, sich nie ins Gesicht zu greifen, mit angemessener Gestik den
Druck abzubauen und dem Gegenüber offen in die Augen zu schauen.
In der Radiosendung "Treffpunkt" verwies die Erziehungswissenschafterin
Marlise Küng auf die Lüge im Zusammenhang mit den sozialen
Konventionen. Sie erklärte, wie Eltern bei Konventionsverletzungen
intervenieren könnten. Sie wies auch auf die Bedeutung der
Sensitivität der Mutter beim Säugling hin und machte bewusst,
dass die Lüge eine kognitive Leistung ist.
Urs Zeiser machte deutlich, dass man Menschen nicht auf Grund
eines Signales entlarven kann.
Für ihn kann ein Mensch in Bezug auf die Gefühle nicht
lügen. Er kann zwar die Gefühle zurückhalten. Diese
Zurückhaltung erzeugt immer Spannungen, die sich auf den
Körper auswirken. So zum Beispiel im Knie oder auch im Kiefergelenk.
Im Umgang mit Medien ist besonders wichtig,
dass nicht alles Wahre auch gesagt werden muss. Doch soll alles
Gesagte auch wahr sein. Es gilt die jeweilige Situation
mit zu berücksichtigen. Ein Kellner, der lächelt,
obschon er traurig ist, lügt nicht.
Im Gericht gibt es Fragen, bei denen gelügt werden darf
und Fälle, bei denen die Lüge strafbar ist. Die Wahrheit
sollte dem Gegenüber nie wie ein nasses Tuch ins Gesicht
geschlagen werden. Das Wie und vor allem der Ton ist
bei Kritikgesprächen wichtig.
Eine Lüge kann irreparablen Schaden anrichten. Der Hauptgrund ist sicher
der Vertrauensverlust.
Ein Hörer Dieter Schmalfuss
wies auf das folgende Zitat von Machiavelli an Mächtige hin:
Ein kluger Machthaber kann und darf sein Wort nicht halten, wenn ihm das zu Schaden gereicht
und wenn die Gründe weggefallen sind, die ihn zu seinem Versprechen
veranlasst haben. Wären die Menschen alle gut, so wäre dieser Vorschlag
nicht gut; da sie aber schlecht sind und das gegebene Wort auch nicht halten
würden, hast du auch keinen Anlass, es ihnen gegenüber zu halten.
Auch hat es einem Herrscher noch nie an rechtmässigen Gründen
gefehlt, seinen Wortbruch zu bemänteln. Quelle: Niccolo Machiavelli 1469 - 1527
in "Macht und Lüge sind unzertrennlich. Ulrich Greiner DIE ZEIT Nr. 8 vom 17.2.2000
Zum Schluss ein Zitat von Max Frisch:
"Die sicherste Tarnung ist noch immer die blanke Wahrheit. Die glaubt niemand."