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www.rhetorik.ch aktuell: (30. Dez, 2010)

Vom Leser zum Benutzer

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Quelle: NZZ Die Digitalisierung von Texten macht es heute jederman möglich, gezielter zu lesen. Ein NZZ Artikel beschreibt den Mechanismus. Da das Suchen einfacher geworden ist und ganze Bibliotheken schon heute auf kleine Computer passen, wird der Leser zum Benutzer. Der Computer macht es möglich, Texte weiterzuverarbeiten, auszuwerten oder zu vergleichen. Mit neuesten Lesegeräte wie Tablets (Ipad) oder ebook readers (Kindle) sehen die Verlage zwar wieder eine Chance, Kontrolle über die Texte zu erlangen. Denn auf solchen Geräten ist das Kopieren oder Weiterverwenden wieder eingeschränkt worden. Doch kann die Grundtendenz, vom intensiven zum extensiven Lesen kaum wieder rückgängig gemacht werden.

Ein paar Ausschnitte aus dem dem NZZ Artikel von Roman Bucheli, der von einen Text von Umberto Eco motiviert ist. (Wichtiges ist mit Fettschrift von uns [ganz im Sinne, dass wir als Leser auch zum Benutzer geworden sind] markiert worden):
Der italienische Semiotiker Umberto Eco hatte Ende der achtziger Jahre in seinem Buch "Lector in fabula" den keineswegs naheliegenden Unterschied gemacht zwischen dem Lesen und dem Benutzen eines Textes. Wer lese, so Ecos Argumentation in Kurzform, befrage ein Werk nach seiner Intention; wer hingegen einen Text benutze, dem gehe es um ganz eigene, textfremde Absichten: Er suche nach Beweisstücken oder Indizien für Thesen, die mit dem Werk selber im Übrigen wenig oder nichts zu tun haben. Das genaue und emphatische Lesen (man kann es auch zweckfreies Lesen nennen) dürfte in den letzten Jahren etwas aus der Mode gekommen sein. Auf dem Vormarsch dagegen befinden sich die Benutzer der Texte.

(...)

Erst die rasant zunehmende Digitalisierung riesiger Bibliotheksbestände durch Google Books oder eigenständigen wissenschaftlichein Projekte an vielen Universitäten schuf die empirischen Voraussetzungen für die Fragestellungen der Kulturwissenschaften.

Die gigantischen Datenmengen, die nun allenthalben aufbereitet und vielfach frei zugänglich gemacht werden, müssten das Herz jedes Kulturwissenschafters höherschlagen lassen, eher aber wird er sich die Haare raufen. Denn man müsste schon Physiker, Mathematiker und jedenfalls Informatiker sein, um benutzen zu können, was andere früher noch gelesen haben.

(...)

Das zunehmende Angebot an Volltexteditionen rechtefreier Texte könnte jedoch die literaturwissenschaftlichen Lesegewohnheiten in den nächsten Jahren radikal verändern und über kurz oder lang den digitalen Leser hervorbringen: Aus Lesern werden Nutzer. Schon vor zwei Jahren haben Moritz Bassler und Rainer Karczewski von der Universität Münster hoffnungsfroh das "Zeitalter der Volltextsuche" heraufkommen sehen. Sobald einmal das gesamte Textarchiv in digitaler Form zur Verfügung stehe, könnten die literarischen Bestände mit Anfragen durchforstet und die Fundstellen ausgewertet werden.

(...)

Dennoch zeichnet sich bereits der Wandel vom intensiven zum extensiven Lesen ab; der "Benutzer" von Texten wird zum fröhlichen Stellensammler, statt sich dem Zwang zur Interpretation auszusetzen, wie es Peter Utz, Germanist der Universität Lausanne, formuliert. Die Chimäre der ubiquitären Verfügbarkeit, der totalen Zugänglichkeit und des störungsfreien Abfragens und Herausfilterns fördert geradezu den Fundstellen-Fetischismus.

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