Diplomaten werden im moderenen Informationszeitalter mehr und mehr damit rechnen
müssen, dass auch geheime Depeschen and die Öffentlichkeit gelangen.
Nach der Veröffentlichung der "Tagebücher" auf
Wikileaks wird sich die Kommunikationskultur
auch unter Diplomaten ändern. Vermutlich wird in Zukunft viel Diplomatisches
einfach nur noch mündlich kommuniziert werden.
Aus dem
Der Spiegel:
Es ist ein Desaster für die US-Diplomatie. WikiLeaks hat mehr als
250'000 Dokumente aus dem Washingtoner Aussenministerium zugespielt
bekommen, interne Botschaftsberichte aus aller Welt. Sie enthüllen,
wie die Supermacht die Welt wirklich sieht - und ihren globalen Einfluss
wahren will.
(...)
Mit einem Team von 50 Redakteuren und Dokumentaren hat der
SPIEGEL das überbordende Material gesichtet, analysiert und
überprüft. Fast immer hat das Magazin darauf verzichtet,
die Informanten der Amerikaner kenntlich zu machen, es sei denn, dass
allein die Person des Zuträgers schon eine politische Nachricht
an sich darstellt. In einigen Fällen trug die US-Regierung
Sicherheitsbedenken vor, manche Einwände hat der SPIEGEL akzeptiert,
andere nicht. In jedem Fall galt es, das Interesse der Öffentlichkeit
abzuwägen gegenüber berechtigten Geheimhaltungs- und
Sicherheitsinteressen der Staaten. Das hat der SPIEGEL getan.
In einer Stellungnahme nannte ein Sprecher des Weissen Hauses die
bevorstehende Veröffentlichung der Dokumente durch WikiLeaks
"unverantwortlich und gefährlich". Die Depeschen seien sehr offen
formuliert und oft unvollständig, repräsentierten aber nicht
die US-Politik als solche und hätten auch nicht immer Einfluss
auf politische Entscheidungen. "Solche Enthüllungen gefährden
unsere Diplomaten, Geheimdienstmitarbeiter und Menschen auf der ganzen
Welt", sagte der Sprecher. Dass vertrauliche Unterredungen nun publik
würden, könne die Interessen der US-Aussenpolitik ebenso schwer
beschädigen wie die "unserer Verbündeten und Freunde".
(...)
Vieles in diesem Material wird notiert und verschickt, weil die
Berichterstatter oder deren Gesprächspartner sicher zu sein glaubten,
dass ihre Protokolle während der nächsten 25 Jahre nicht an
die Öffentlichkeit gelangen würden. Das erklärt wohl,
warum die Botschafter und Gesandten Washingtons auch so viel Klatsch
und Berichte vom Hörensagen an die Zentrale melden, etwa wenn es
in einem Bericht der Moskauer Botschaft über Medwedews Ehefrau
Swetlana heisst, sie schaffe "Spannung zwischen den Lagern", und bleibe
"Gegenstand von eifrigem Tratsch".
Der wird dann allerdings gern rapportiert, wenn es zum Beispiel
über Russlands First Lady heisst, dass sie schon schwarze Listen
von Amtsträgern angelegt habe, denen sie einen Karriere-Knick an
den Hals wünsche, weil sie sich dem Präsidenten gegenüber
als unzureichend loyal erwiesen hätten.
Heise::
In den Depeschen wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bescheinigt, "selten
kreativ" zu sein und das Risiko zu meiden. Sie sei bekannt für
ihren Widerwillen, sich in aggressiven politischen Debatten zu engagieren.
Auch Aussenminister Guido Westerwelle und CSU-Chef Horst Seehofer kommen
nicht gut weg.
Die chinesische Regierung hat Agenturberichten zufolge
allen Inlandszeitungen verboten, Details des Wikileaks-Coups zu
veröffentlichen. Geschockt wurde in arabischen Ländern auf die
von der britischen Tageszeitung The Guardian entdeckte Depesche
reagiert, nach der der saudische König Abdullah den ihn besuchenden
Diplomaten empfahl, die Gefangenen in Guantánamo Bay mit RFID-Chips zu
taggen. Er habe mit seinen Pferden und Falken gute Erfahrungen mit
dieser Technik gemacht. (In der Depesche ist allerdings fälschlicherweise
von "Bluetooth-Chips" die Rede.) Die Details dieser Verhandlungen und
die Tatsache, dass ein Moslem empfiehlt, Moslems zu taggen, bezeichnete
der Blogger Arabist als beschämend.
In Israel sorgte ein Diplomatenbericht über ein russisches Angebot
für Aufregung: Demnach wollte Russland Kampfdrohnentechnik im Werte
von 1 Milliarde US-Dollar in Israel bestellen und im Gegenzug zusagen,
keine Langstreckenraketen an den Iran zu liefern. Dieser Handel ist
offenbar nicht zustande gekommen.
Insgesamt soll Wikileaks 251.287 US-Depeschen aus den Jahren 2004
bis 2010 besitzen, die in den nächsten Tagen peu à
peu veröffentlicht werden sollen, jeweils mit einem anderen
Themenschwerpunkt. Für Dienstag sind Berichte über Nord- und
Südkorea angekündigt, danach sollen Pakistan, Afghanistan,
Kanada, Jemen und China im Mittelpunkt stehen. Per Twitter hat Wikileaks
unterdessen angekündigt, dass weitere Medien an der
Berichterstattung
über "Cablegate" beteiligt werden sollen.