Nachtrag vom 20. Januar, 2011:
Berlusconi ist immer noch unter
Druck
NZZ:
Italiens Staatspräsident Napolitano hat den Regierungschef
Berlusconi am Dienstagabend zu einem einstündigen Gespräch
im Quirinalspalast empfangen. Anlass des Treffens waren die
Vorbereitungen zum 150. Geburtstag des italienischen Einheitsstaates
im März. Für eisige Stimmung sorgten jedoch die schweren
Vorwürfe der Staatsanwaltschaft an Berlusconi im Fall Ruby, der das
Ansehen der Republik schwer zu besudeln droht und an den Sittenverfall
im Römischen Reich erinnert. "Aufgewühlte Öffentlichkeit"
Schon vor dem Treffen hatte Napolitano dem Ministerpräsidenten in
einem Communiqué nahegelegt, seine Position vor dem Gericht so
schnell wie möglich zu klären. Die Ermittlungen hätten
die Öffentlichkeit stark aufgewühlt. Tatsächlich sind
die hiesigen Medien, die nicht von Berlusconi kontrolliert werden, voll
von Zeugenaussagen und anderen Informationen, die Spitzenpolitiker
einer anderen Demokratie längst zum Rücktritt bewogen
hätten. Berlusconi kündigte dagegen nach dem Treffen mit
Napolitano an, dass er nicht daran denke, den Magistraten, die ihn zu
einer Einvernahme am 21., 22. oder 23. Januar vorgeladen hatten, Rede
und Antwort zu stehen. Ebenso wies er die Rücktrittsforderungen
der gesamten Opposition zurück. Anzeige:
Die "schockierenden Karten der Staatsanwaltschaft" (so die katholische
Zeitung "Avvenire") legen nahe, dass sich Berlusconi im Mai vergangenen
Jahres deshalb persönlich und unter Vortäuschung falscher
Tatsachen um die Freilassung der damals minderjährigen Prostituierten
Karima al-Marhoug alias Ruby Rubacuori bemühte, weil er das
Verhältnis mit ihr zu vertuschen versuchte. Etliche Zeugenaussagen,
Aufnahmen von Telefongesprächen und andere Indizien scheinen
darüber hinaus zu belegen, dass der 74-jährige Regierungschef
zumindest in Mailand nachgerade ein Harem von Prostituierten unterhielt.
Die Dirnen wurden nach dieser Darstellung von der jungen
lombardischen Regionalrätin Nicole Minetti, die früher
ein Showgirl und Berlusconis "Dentalhygienikerin" gewesen sein soll,
"organisiert". Dies geschah in Zusammenarbeit mit dem Chefredaktor
von Berlusconis Sender Rete 4, Emilio Fede, und dem schillernden
Modellagentur-Manager Lele Mora. Nicht nur junge Frauen, die zu Festen
bei dem Ministerpräsidenten eingeladen wurden, sondern auch ein
früherer Polizeichef gaben zu Protokoll, dass Berlusconis Partys
zu Orgien ausgeartet seien.
Berlusconi bestreitet weiterhin alle Vorwürfe, wirft den
Untersuchungsbehörden vor, ihn wie schon seit vielen Jahren
aus rein politischen Gründen zu verfolgen, und bestreitet auch
die Zuständigkeit des Mailänder Gerichts. Im Fall des
ihm vorgehaltenen Amtsmissbrauchs sei ein Sondergericht für
Regierungsmitglieder zuständig. Zudem sei der damalige Anruf
Berlusconis bei der Präfektur in Mailand zur Privatresidenz des
Polizeichefs in der Gemeinde Sesto San Giovanni umgeleitet worden,
für die das Gericht in Monza zuständig sei.
Laut den Verteidigern fällt auch der andere Vorwurf, nämlich
jener der "Ausbeutung einer minderjährigen Prostituierten", in die
Zuständigkeit von Monza, da sich Berlusconis Villa ebenfalls in dem
Gebiet befindet. Die Mailänder Staatsanwaltschaft hält dem
entgegen, dass der Ministerpräsident seine Macht nicht bei einer
Amtshandlung missbraucht habe und für Sexualdelikte das für den
gesamten Distrikt verantwortliche Gericht, nämlich das von Mailand,
zuständig sei.