Unter die Lupe genommen: Sommarugas Antworten
Von Marcus Knill
Die neue Bundesrätin Simonetta Sommaruga gab zahlreiche Interviews.
Sie besitzt kommunikative Kompetenz. Was aufgefallen ist vor der
Wahl: Sie verstand es, ihre Kernbotschaften zu wiederholen und zu
festigen. Wir analysieren heute die Antworten aus den ersten Interviews
als Bundesrätin.
Frage: Frau Sommaruga, am 1. November
treten Sie Ihr Amt an. Rast Ihnen die Zeit davon? Oder spüren Sie
die Ruhe vor dem Sturm?
Simonetta Sommaruga: Ich ahne, sehe und höre, dass eine Riesenladung
auf mich zukommt. Aber jetzt hat noch etwas anderes Platz. Ich befinde
mich in einer Zeit des Abschieds. Ich habe am letzten Wochenende
meine Rücktrittsschreiben verfasst. Ich will den Abschieden
Raum geben. Denn offen für Neues kann ich nur sein, wenn ich gut
abschliesse. Ich fühle auch Trauer. Aber die Freude überwiegt.
Kommentar: Simonetta Sommaruga geht auf die Frage und die Zeit vor dem Amtsantritt
ein. Viele Politiker weichen bereits bei der ersten frage mit einer
Vorbemerkung aus. Es gibt berater, die empfehlen, bei jedem Interview
immer zuerst die Kernbotschaft einzubauen und die Frage zu ignorieren.
Frage: Werden Sie künftig noch freie, selbstbestimmte Zeit haben?
Antwort: Sicher. Vielleicht nicht in gleichem Ausmass wie heute. Aber fragen Sie
mich in einem Jahr wieder.
Kommentar: In den Antworten vor der Wahl behauptete Sommaruga noch, sie werde sich
auch als Bundesrätin Zeit fürs Klavierspielen, den Garten usw.
nehmen. In einem Tagesanzeiger- Interview, als Sommaruga auch
nach den Freiräumen als künftige Bundesrätin gefragt
wurde antwortete sie damals:
"Ich weiss, was für mich lebenswichtig ist: meine Partnerschaft, enge
Freundschaften, Klavier spielen, hin und wieder im Garten arbeiten. Und
ich will nicht nur Akten lesen, sondern auch Romane, Erzählungen und
Märchen" In der alten Analyse machte mich diese Antwort stutzig:
Eine Kanditatin, die betont, dass sie als Bundesrätin weiterhin
Klavier spielen, Partnerschaft und Freunde weiterhin voll und ganz
pflegen werde - und sogar weiterhin ab und zu im Garten arbeiten und sich
auch noch Zeit nehmen werde, Romane, Erzählungen und Märchen
zu lesen, das war für mich damals unglaubhaft. Wenn Simonetta
Sommaruga dem Klavierspiel, der Unterhaltungslektüre und ihrer
privaten Gesellschaft tatsächlich eine solch grosse Bedeutung
zumisst - aber alle wissen, dass der Bundesrat ein sehr forderndes
Geschäft ist - da stellte sich ich mir damals die Frage: Kann eine
Bundesrätin mit all ihren Freiräumen den aufreibenden Job
in der Praxis noch 100 %ig ausüben?"
Auf die Analoge Thematik angesprochen, antwortete die Bundesrätin in
abgeschwächter Form - mit dem Weichspühler "vielleicht" und der
Formulierung: "Nicht im gleichen Ausmass".
Sie fürchten nicht, dass Sie bald kaum mehr sich selbst gehören?
Das fürchte ich weniger. Worum ich mich bemühen muss: dass
ich Leute um mich herum habe, die mir Fragen stellen, die mich zum
Nachdenken bringen, die mich manchmal aus allem rausholen. Damit ich
nicht das Gefühl bekomme, ich würde nur noch verwalten und
bewältigen. Offenes und kritisches Feedback muss möglich
bleiben, denn es ist eine Form, in Kontakt zu bleiben. Das Schlimmste,
was ich mir vorstelle: dass um mich nur noch Leute sind, die höflich
sind, zustimmen und zudienen. So wird man wirklich einsam.
Wenn die neue Bundesrätin diesen Vorsatz tatsächlich umsetzt, wäre
dies vorbildlich. Im Bundesrat fehlt es nämlich zurzeit immer noch an einer
Feedbackkultur.
Frage: Wie wappnen Sie sich jetzt für das, was auf Sie zukommt?
Antwort: "Wappnen" ist nicht das richtige Wort. Ich versuche durchzuatmen und
zu beobachten, was mit mir passiert. Ich bin jemand, der sein eigenes
Handeln zu reflektieren versucht. Warum beunruhigt mich etwas? Was macht
mir Angst?
Kommentar: Diese Antwort zeigt, dass Sommaruga gut zuhört und sofort präzisiert.
Wappnen und Reflektieren ist nicht dassselbe.
Frage: Was macht Ihnen Angst?
Antwort: Ich habe nicht Angst, aber einen Riesenrespekt. Gerade vor der
Führungsaufgabe. Die ist in der Politik speziell, weil man auf Leute
trifft, die mehr wissen, als man selber weiss, die kompetenter sind.
Diese Situation ist allerdings nicht neu für mich. Als ich in den
Könizer Gemeinderat kam, hatte ich von Feuerwehr und Schiesswesen
null Ahnung. Meine Mitarbeiter sagten: Stell uns "dumme Fragen", die
bringen uns weiter. Ich werde auch als Bundesrätin ab und zu "dumme
Fragen" stellen, deshalb wird mir kein Zacken aus der Krone fallen.
Kommentar: Bei dieser Frage wird der Begriff Angst, den der Journalist verwendet
richtig enigeordnet. Sie spricht von Respekt haben und lenkt die Antwort
auf die Fragehaltung, die sie einnehmen werde. Viele Ppolitiker umgeben
sich lieber mit Ja-Sagern, statt mit 'Hofnarren', die einem den Spiegel
vorhalten.
"Fragen statt sagen" hat sich in der Alltagskommunikation bewährt.
Die Bundesrätin könnte diese Fragehaltung tats&aum;chlich auch umsetzen.
Frage: Kamen Sie seit Ihrer Wahl schon zum Klavierspielen?
Antwort: Am Wochenende habe ich einige von Bachs Goldberg-Variationen gespielt.
In diesen Variationen ist einfach alles drin.
Kommentar: Die Antwort ist glaubwürdig. Sommaruga nennt Details.
Frage: Lässt sich beim Spielen der Goldberg-Variationen etwas lernen
für die Politik?
Anwort: Man kann dabei viel lernen. Aber ich missbrauche die Musik nicht, um etwas
für die Politik zu lernen. Die Musik hat einen Wert an sich. Sie
ist eine Form von Konzentration, die unglaublich gut tut. Konzentration
ist auch in der Politik das A und O. Man muss sich in kürzester
Zeit vertiefen und kundig machen. Die Musik ist zudem ein Hinhören,
ein Ruhigwerden, ein In-sich-Hineinhören. Auf der Einladungskarte
für mein Fest in Köniz stand "J'écoute". Nachdem ich
ja jetzt zu allen möglichen und unmöglichen Themen sehr viel
geredet habe, will ich auch wieder einmal zuhören.
Kommentar: Diese Antwort ist rhetorisch und inhaltich vorbildlich. Die parallele
"Musik und Politik" überzeugt. Die Konzentration und das Zuhörenkönnen
sind zwei der wichtigsten Aspekte in der Kommunikation.
Frage: Sie können unglaublich ruhig sitzen. Aufrecht, stundenlang. Haben
Sie das am Klavier gelernt?
Antwort: Natürlich. Ich habe jahrelang sechs, sieben Stunden geübt am
Tag. Das nützt mir jetzt.
Kommentar: Diese Antwort kann ich als Berater nur unterstreichen. denn:
Konzentration, Haltung, Durchstehvermögen laesst sich nur durch hartes
Training erwerben.
Frage: Sind Sie immer so ruhig? Oder werden Sie manchmal laut?
Antwort: Ich werde am Klavier laut. Ich kann sehr böse werden. Aber das
drückt sich nicht durch Lautstärke aus.
Kommentar: Diese antwort bestaetigt, dass die Bundesrätin gelernt hat, die Stimme
im Zuegel zu halten. Es ist inzwischen bekannt, dass sie jahrelang an
der Stimme gearbeitet hat.
Frage: Sie sind oft beschrieben worden als kühl, perfekt, distanziert. Sind
Sie das?
Antwort: Kühl könnte stimmen. Auch in schwierigsten Situationen bewahre
ich einen kühlen Kopf, das gehört zu mir. Ich merke dann erst
nachträglich, wie viel Energie es mich gekostet hat. Bin ich auch
perfekt, distanziert? Ich habe mich gefragt, ob diese Adjektive auch
ein Preis sind, den erfolgreiche Frauen zahlen müssen. Jemand hat
geschrieben, Jacqueline Fehr und ich würden von unserer Fraktion und
der Partei nicht geliebt. Der Preis, den Erfolgreiche und Gewählte
offenbar zahlen müssen, ist, dass sie nicht geliebt werden. Das
gilt für uns beide überhaupt nicht. Ich kenne übrigens
meine Schwächen sehr genau.
Kommentar: Sommaruga bestaetigt, dass sie stets einen kuehlen Kopf bewahrt. Die
Begruendung, weshalb sie oft kuehl und distanziert wirke, kommt einer
Rechtfertigung gleich. mit dem wort 'Schwaechen" in der antwort, pflastert
sie den Fortgang des Interviews. der Journalist geht denn auch sofort
auf diese Andeutung ein.
Frage: Wo liegen die denn?
Antwort: Fragen Sie meine früheren Arbeitskollegen.
Kommentar: Wiederum eine clevere Antwort. Die versierte Kommunikatorin muss dank
dieser Antwort keine Schwaechen nennen. Dialektisch sehr geschickt.
Frage: Diejenigen in Köniz sind begeistert von Ihnen. Sie sind offenbar
doch ziemlich perfekt.
Antwort: Begeisterung und Perfektion ist nicht dasselbe. Ich bin ein
umgänglicher Mensch. Viele Leute können sich mit meiner Art des
Politisierens identifizieren, weil ich nicht auf die Person ziele. Wenn
man das für distanziert hält, na dann. Ich kann trennen:
Ich kann mich sehr aufregen, aber ich muss eine Person deshalb nicht
hassen. Ich mache aber auch nicht auf "frère et cochon". Ich
kann nüchtern festhalten: Wir haben eine Differenz, wir werden uns
nicht einig.
Kommentar: Die Differenzierungstechnik zeugt auch bei dieser Antwort von
professionalitaet. Sommaruga hätte nicht nochmals auf den Vorwurf,
sie sei distanziert zurückkommen müssen. So hat der Leser das Gefühl,
dass sie diese kritik doch getroffen hat. Der Hinweis, dass sie zwischen
Person und Sache trenne ist klug, entspricht dem Harvard Prinzip.
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