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www.rhetorik.ch aktuell: (19. Okt, 2010)

Neue Bundesrätin, alte Kernbotschaften

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Die folgende Analyse ist in der Zeitschrift Persönlich (www.persoenlich.com), dem online Portal der Schweizer Kommunikationswirtschaft im Oktober 2010 erschienen. Der Abdruck hier ist mit Genehmigung von "Persoenlich" erfolgt.

PDF version (zum Ausdrucken).












Hier ist eine etwas ausführlichere Version des Artikels.

Unter die Lupe genommen: Sommarugas Antworten

Von Marcus Knill Die neue Bundesrätin Simonetta Sommaruga gab zahlreiche Interviews. Sie besitzt kommunikative Kompetenz. Was aufgefallen ist vor der Wahl: Sie verstand es, ihre Kernbotschaften zu wiederholen und zu festigen. Wir analysieren heute die Antworten aus den ersten Interviews als Bundesrätin.
Frage:  Frau Sommaruga, am 1. November
treten Sie Ihr Amt an. Rast Ihnen die Zeit davon? Oder spüren Sie
die Ruhe vor dem Sturm? 

Simonetta Sommaruga: Ich ahne, sehe und höre, dass eine Riesenladung
auf mich zukommt. Aber jetzt hat noch etwas anderes Platz. Ich befinde
mich in einer Zeit des Abschieds. Ich habe am letzten Wochenende
meine Rücktrittsschreiben verfasst. Ich will den Abschieden
Raum geben. Denn offen für Neues kann ich nur sein, wenn ich gut
abschliesse. Ich fühle auch Trauer. Aber die Freude überwiegt.

Kommentar: Simonetta Sommaruga geht auf die Frage und die Zeit vor dem Amtsantritt
ein. Viele Politiker weichen bereits bei der ersten frage mit einer
Vorbemerkung aus. Es gibt berater, die empfehlen, bei jedem Interview
immer zuerst die Kernbotschaft einzubauen und die Frage zu ignorieren.

Frage: Werden Sie künftig noch freie, selbstbestimmte Zeit haben?  

Antwort: Sicher. Vielleicht nicht in gleichem Ausmass wie heute. Aber fragen Sie mich in einem Jahr wieder. Kommentar: In den Antworten vor der Wahl behauptete Sommaruga noch, sie werde sich auch als Bundesrätin Zeit fürs Klavierspielen, den Garten usw. nehmen. In einem Tagesanzeiger- Interview, als Sommaruga auch nach den Freiräumen als künftige Bundesrätin gefragt wurde antwortete sie damals: "Ich weiss, was für mich lebenswichtig ist: meine Partnerschaft, enge Freundschaften, Klavier spielen, hin und wieder im Garten arbeiten. Und ich will nicht nur Akten lesen, sondern auch Romane, Erzählungen und Märchen" In der alten Analyse machte mich diese Antwort stutzig: Eine Kanditatin, die betont, dass sie als Bundesrätin weiterhin Klavier spielen, Partnerschaft und Freunde weiterhin voll und ganz pflegen werde - und sogar weiterhin ab und zu im Garten arbeiten und sich auch noch Zeit nehmen werde, Romane, Erzählungen und Märchen zu lesen, das war für mich damals unglaubhaft. Wenn Simonetta Sommaruga dem Klavierspiel, der Unterhaltungslektüre und ihrer privaten Gesellschaft tatsächlich eine solch grosse Bedeutung zumisst - aber alle wissen, dass der Bundesrat ein sehr forderndes Geschäft ist - da stellte sich ich mir damals die Frage: Kann eine Bundesrätin mit all ihren Freiräumen den aufreibenden Job in der Praxis noch 100 %ig ausüben?" Auf die Analoge Thematik angesprochen, antwortete die Bundesrätin in abgeschwächter Form - mit dem Weichspühler "vielleicht" und der Formulierung: "Nicht im gleichen Ausmass". Sie fürchten nicht, dass Sie bald kaum mehr sich selbst gehören? Das fürchte ich weniger. Worum ich mich bemühen muss: dass ich Leute um mich herum habe, die mir Fragen stellen, die mich zum Nachdenken bringen, die mich manchmal aus allem rausholen. Damit ich nicht das Gefühl bekomme, ich würde nur noch verwalten und bewältigen. Offenes und kritisches Feedback muss möglich bleiben, denn es ist eine Form, in Kontakt zu bleiben. Das Schlimmste, was ich mir vorstelle: dass um mich nur noch Leute sind, die höflich sind, zustimmen und zudienen. So wird man wirklich einsam. Wenn die neue Bundesrätin diesen Vorsatz tatsächlich umsetzt, wäre dies vorbildlich. Im Bundesrat fehlt es nämlich zurzeit immer noch an einer Feedbackkultur. Frage: Wie wappnen Sie sich jetzt für das, was auf Sie zukommt? Antwort: "Wappnen" ist nicht das richtige Wort. Ich versuche durchzuatmen und zu beobachten, was mit mir passiert. Ich bin jemand, der sein eigenes Handeln zu reflektieren versucht. Warum beunruhigt mich etwas? Was macht mir Angst? Kommentar: Diese Antwort zeigt, dass Sommaruga gut zuhört und sofort präzisiert. Wappnen und Reflektieren ist nicht dassselbe. Frage: Was macht Ihnen Angst? Antwort: Ich habe nicht Angst, aber einen Riesenrespekt. Gerade vor der Führungsaufgabe. Die ist in der Politik speziell, weil man auf Leute trifft, die mehr wissen, als man selber weiss, die kompetenter sind. Diese Situation ist allerdings nicht neu für mich. Als ich in den Könizer Gemeinderat kam, hatte ich von Feuerwehr und Schiesswesen null Ahnung. Meine Mitarbeiter sagten: Stell uns "dumme Fragen", die bringen uns weiter. Ich werde auch als Bundesrätin ab und zu "dumme Fragen" stellen, deshalb wird mir kein Zacken aus der Krone fallen. Kommentar: Bei dieser Frage wird der Begriff Angst, den der Journalist verwendet richtig enigeordnet. Sie spricht von Respekt haben und lenkt die Antwort auf die Fragehaltung, die sie einnehmen werde. Viele Ppolitiker umgeben sich lieber mit Ja-Sagern, statt mit 'Hofnarren', die einem den Spiegel vorhalten. "Fragen statt sagen" hat sich in der Alltagskommunikation bewährt. Die Bundesrätin könnte diese Fragehaltung tats&aum;chlich auch umsetzen. Frage: Kamen Sie seit Ihrer Wahl schon zum Klavierspielen? Antwort: Am Wochenende habe ich einige von Bachs Goldberg-Variationen gespielt. In diesen Variationen ist einfach alles drin. Kommentar: Die Antwort ist glaubwürdig. Sommaruga nennt Details. Frage: Lässt sich beim Spielen der Goldberg-Variationen etwas lernen für die Politik? Anwort: Man kann dabei viel lernen. Aber ich missbrauche die Musik nicht, um etwas für die Politik zu lernen. Die Musik hat einen Wert an sich. Sie ist eine Form von Konzentration, die unglaublich gut tut. Konzentration ist auch in der Politik das A und O. Man muss sich in kürzester Zeit vertiefen und kundig machen. Die Musik ist zudem ein Hinhören, ein Ruhigwerden, ein In-sich-Hineinhören. Auf der Einladungskarte für mein Fest in Köniz stand "J'écoute". Nachdem ich ja jetzt zu allen möglichen und unmöglichen Themen sehr viel geredet habe, will ich auch wieder einmal zuhören. Kommentar: Diese Antwort ist rhetorisch und inhaltich vorbildlich. Die parallele "Musik und Politik" überzeugt. Die Konzentration und das Zuhörenkönnen sind zwei der wichtigsten Aspekte in der Kommunikation. Frage: Sie können unglaublich ruhig sitzen. Aufrecht, stundenlang. Haben Sie das am Klavier gelernt? Antwort: Natürlich. Ich habe jahrelang sechs, sieben Stunden geübt am Tag. Das nützt mir jetzt. Kommentar: Diese Antwort kann ich als Berater nur unterstreichen. denn: Konzentration, Haltung, Durchstehvermögen laesst sich nur durch hartes Training erwerben. Frage: Sind Sie immer so ruhig? Oder werden Sie manchmal laut? Antwort: Ich werde am Klavier laut. Ich kann sehr böse werden. Aber das drückt sich nicht durch Lautstärke aus. Kommentar: Diese antwort bestaetigt, dass die Bundesrätin gelernt hat, die Stimme im Zuegel zu halten. Es ist inzwischen bekannt, dass sie jahrelang an der Stimme gearbeitet hat. Frage: Sie sind oft beschrieben worden als kühl, perfekt, distanziert. Sind Sie das? Antwort: Kühl könnte stimmen. Auch in schwierigsten Situationen bewahre ich einen kühlen Kopf, das gehört zu mir. Ich merke dann erst nachträglich, wie viel Energie es mich gekostet hat. Bin ich auch perfekt, distanziert? Ich habe mich gefragt, ob diese Adjektive auch ein Preis sind, den erfolgreiche Frauen zahlen müssen. Jemand hat geschrieben, Jacqueline Fehr und ich würden von unserer Fraktion und der Partei nicht geliebt. Der Preis, den Erfolgreiche und Gewählte offenbar zahlen müssen, ist, dass sie nicht geliebt werden. Das gilt für uns beide überhaupt nicht. Ich kenne übrigens meine Schwächen sehr genau. Kommentar: Sommaruga bestaetigt, dass sie stets einen kuehlen Kopf bewahrt. Die Begruendung, weshalb sie oft kuehl und distanziert wirke, kommt einer Rechtfertigung gleich. mit dem wort 'Schwaechen" in der antwort, pflastert sie den Fortgang des Interviews. der Journalist geht denn auch sofort auf diese Andeutung ein. Frage: Wo liegen die denn? Antwort: Fragen Sie meine früheren Arbeitskollegen. Kommentar: Wiederum eine clevere Antwort. Die versierte Kommunikatorin muss dank dieser Antwort keine Schwaechen nennen. Dialektisch sehr geschickt. Frage: Diejenigen in Köniz sind begeistert von Ihnen. Sie sind offenbar doch ziemlich perfekt. Antwort: Begeisterung und Perfektion ist nicht dasselbe. Ich bin ein umgänglicher Mensch. Viele Leute können sich mit meiner Art des Politisierens identifizieren, weil ich nicht auf die Person ziele. Wenn man das für distanziert hält, na dann. Ich kann trennen: Ich kann mich sehr aufregen, aber ich muss eine Person deshalb nicht hassen. Ich mache aber auch nicht auf "frère et cochon". Ich kann nüchtern festhalten: Wir haben eine Differenz, wir werden uns nicht einig. Kommentar: Die Differenzierungstechnik zeugt auch bei dieser Antwort von professionalitaet. Sommaruga hätte nicht nochmals auf den Vorwurf, sie sei distanziert zurückkommen müssen. So hat der Leser das Gefühl, dass sie diese kritik doch getroffen hat. Der Hinweis, dass sie zwischen Person und Sache trenne ist klug, entspricht dem Harvard Prinzip.



Stefan Vonbergen interviewte die Bundesrätin. Sommarugas Antworten aus einem Interview mit Hannes Britschgi:
Frage: Als Bundesrätin können Sie sich -einen Dienstwagen
auswählen. Was macht die grüne Sommaruga?

Antwort: Ich weiss es noch nicht. Seit 14 Jahren leben wir ohne Auto. Das
geht gut, selbst im Ständeratswahlkampf war ich mit Mobility-Autos,
Bussen und dem Zug unterwegs.

Frage: Wird man Frau Sommaruga im Helikopter sehen?

Antwort: Kaum. Ich bin noch nie Helikopter -geflogen, und zwar nicht nur aus
ökologischen Gründen. Es wäre mir auch extrem unwohl dabei.

Kommentar: Der Frage nach dem Dienstwagen und der Nutzung von Autos weicht die
neue Bundesraetin aus: "Ich weiss es noch nicht." so argumentierend,
hat sie zwar die Antwort vorläufig vom Tisch, doch wird sie mit dieser
frage später sicherlich wieder konfrontiert. auch die Helikopterfrage
ist mit dem wort 'kaum" nicht eindeutig beantwortet.
Fazit: Simonetta Sommaruga ist eine versierte Kommunikatorin, hat intensiv an sich gearbeitet hat. Sie hört gut zu und hat sich bei medienauftritten gut vorbereitet. Als Musikerin weiss sie: c'est le ton qui fait la musique. Fuer mich ist sommaruga als Person glaubwuerdig und ueberzeugt. Man wird sehen, wie gut sie im Bundesrat ankommen und arbeiten wird. An mangelndem selbstbewusstsein wird sie nicht scheitern.



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