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www.rhetorik.ch aktuell: (27. Aug, 2010)

Leuenbergers zwiespältige Rhetorik

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Die folgende Analyse ist in der Zeitschrift Persönlich (www.persoenlich.com), dem online Portal der Schweizer Kommunikationswirtschaft im August 2010 erschienen. Der Abdruck hier ist mit Genehmigung von "Persoenlich" erfolgt.

PDF version (zum Ausdrucken).






Hier ist der ungekürzte Entwurf zum obigen Beitrag:

Nach dem überraschenden Rücktritt des amtältesten Bundesrates lohnt es sich, rückblickend Medienauftritte und Verhalten von Moritz Leuenberger eingehender zu reflektieren. Mit seiner Rhetorik fiel er immer wieder aus dem Rahmen. Er wurde von sehr vielen geschätzt, aber von vielen auch nicht ernst genommen.

Moritz Leuenberger war ein Mann der Kontraste. Den einen war er zu forsch, den anderen zu zaghaft, doch wurde seine Kompetenz von keiner Seite bezweifelt. Manchmal war Leuenberger eher nachdenklich, introvertiert, dann wieder sehr extrovertiert. Effektvolle Auftritte suchte und liebte er. Als Bundesrat konnte er sich Wortspiele, Kalauer, Grimassen leisten, verlor aber leider am Ende seiner letzten Amtszeit das Engagement und sein Interesse an Sachfragen. Die Rhetorik interessierte ihn mehr als die Detailarbeit mit den anstehenden Problemen. Wenn Leuenberger auch für viele distanziert und abgehoben wirkte, so war er dies - nach Aussage seiner Mitarbeiter - doch nie. Im Blog liess er sich sogar duzen, im überfüllten Intercity soll er anstandslos auf der Treppe Platz genommen haben.

Der geistreiche Politiker mimte jüngst zunehmend den Leidenden und zelebrierte während der letzten Monate nonverbal Verdruss. Seine Blogbeiträge gingen stark zurück. Leuenberger verstieg sich als Medienminister zur Medienschelte, mitunter sogar zu gezielter Journalistenschelte. Dennoch wurde er als genialen Rhetoriker gelobt, empfing er doch noch während seiner Amtszeit den Cicero Preis für die beste politische Rede, jedoch störten wir uns früher immer wieder an seinen Satzbrüchen und lästigen "Aehs". Das war unprofessionell.

Ein Beispiel aus dem Jahre 2001: Wir haben im Zusammenhang mit der Swissair in einem kurzen 10 vor 10 Beitrag in Leuenbergers Antwort sage und schreibe 17 falsche Pausen gezählt. Hier der Gedankenbogen aus einer Antwort Leuenbergers vor 9 Jahren:

Wir haben auch ---darüber ---heute --- kurz ----gesprochen und sind der Meinung, dass ---- der Entscheid der ----Swissair----- politisch---nicht ---- sehr klug----sei.


Ein Journalist bezeichnete Leuenberges Auftritte als maniriert. Politisch bleibe er in den Aussagen blass. Peter Bodenmann drückte sich damals noch deutlicher aus: "Leuenberger fehlt das Feuer unter dem Hintern". Einige Kritiker spotteten sogar und sagten damals, er sei u narzistisch und affektiert. Ein SP Mann ging noch weiter: "Leuenberger spielt vor Mikrofon und Kamera die Diva:" Er wirke damit völlig abgehoben. Die Meinungen über Leuenberger klafften schon damals weit auseinander. Die Wirkung seiner Medien- Auftritte war bis zum Rücktritt alles andere als eindeutig. Früher meinte Leuenberger in der Sonntagspresse auf die Frage; was er der SP für die Medienarbeit rate:

"Inhalt ist das A und O politischer Arbeit. Die Form ergibt sich dann von selbst. Ich halte nichts von Rednerkursen und habe auch nie einen besucht. Der Reformer Dubcek lispelte. Trotzdem hörten ihm alle Leute zu, weil es auf den Inhalt ankam. Ohne Inhalt kann die Form noch so perfekt sein, da kommt nichts rüber."


Zu dieser Aussage vertrete ich eine völlig andere Meinung: Das WIE ist und bleibt bei zwischenmenschlichen Kommunkationsprozessen oft wichtiger als der Inhalt. Anders gesagt: Der beste Inhalt kommt beim Adressaten nicht richtig an, wenn er nicht situationsgerecht verpackt ist. Dank des WIE kommt das Wichtige (das WAS) beim Empfänger an. Beides ist wichtig: Verpackung und Inhalt. Was mich erstaunt hatte, war dass Leuenberger zu jener Zeit nicht viel von Kommunikations Coaching hielt. Später hatte der Bundesrat die zitierte Bemerkung zu den Rednerkursen relativiert. Heute stellen wir jedenfalls fest, dass sich die Berater Leuenbergers laufend bemüht haben, all seine Ungereimtheiten auszufeilen. Wir können uns auch kaum vorstellen, dass ein Bundesrat im Medienzeitalter immer noch ernsthaft behaupten würde: Das WIE beim Kommunizieren sei so unwichtig wie das "Medien - Coaching". Selbst Parteifreunde störten sich an der Art des Auftretens ihres Genossen. Seine zur Schau gestellte Langeweile löste bei vielen Kopfschütteln aus. Legendär sind Leuenberges verbale Patzer hinter Mikrofon und Kamera. Vor allem dann, wenn er geglaubt hatte, die Aufnahmegeräte seien ausgeschaltet.

Auf Youtube ist eine Kult- Videoaufnahme von TV 3, wo Leuenberger ausruft: "So en huere Scheiss!"

Als Medienminister war Leuenberger für Journalisten oft ein unangenehmer Genosse. Interviews gab er ungern, verstand sie aber dennoch als Teil seines Jobs. Der Medienminister sagte 2009 in einem Interview mit dem Tages Anzeiger: Wenn er die Wahl hätte, würde er am liebsten Live-Interviews geben und begründete diesen Wunsch mit den Worten: "Weil dann gesendet wird, was ich auch gesagt habe."

Leuenberger ein genialer Rhetoriker? Auf seine selbst geschriebenen Reden war Bundesrat Leuenberger stolz. Er veröffentlichte sie in drei Büchern. Wie bereit erwähnt, wurde ihm 2002 der deutsche Ciceropreis für die beste politische Redner verliehen. In der Laudatio wurde damals betont, dass sich dieser Politiker "nicht bloss der Politikerverwaltung hingibt, sondern verführerisch über den Tag hinaus denkt." Er hatte das Talent, im richtigen Moment die richtigen Worte finden. Er überzeugte uns mit seinen Worten nach dem Massaker von Luxor, dem Attentat im Zuger Parlament und den Flugzeugabstürzen in Bassersdorf, Nassenwil und Überlingen.

Leuenbergers überraschende - vielleicht auch überhastete - Ankündigung des Rücktrittes war ein gelungener Coup. Auf den Rücktritt angesprochen, sagte er früher, er bleibe so lange bis die Gletscher wieder wachsen. Die Ankündigung des Rücktrittes erfolgte dann ausgerechnet an einem Hitzetag.

Zitat Blick: So wie Leuenberger ist in den letzten Jahrzehnten kein Bundesrat von der Bühne abgetreten. In der Regel erfolgte der Rücktritt am Ende einer Bundesratssitzung oder einer Session. Wollte der Zürcher Bundesrat gehen, bevor seine Auseinandersetzung mit Parteikollegin Micheline Calmy-Rey zum Sommertheater eskalierte?

Mir fiel auf: Beim Auftritt anlässlich der Bekanntgabe seiner Rücktrittes machte Bundesrat Leuenberger einen gefassten und konzentrierten Eindruck. Kaum Satzbrüche. Es fehlten die üblichen "Aehs". Leuenbergers Rhetorik beschäftigt mich schon seit 2001. Bei seinen Auftritten fiel mir immer wieder sein linkische Verhalten und sein Uebermass an Selbstdarstellung auf. Phototermine liebte er gar nicht. Bei den gestellten Bundesratsfotos (die ich jeweils am Jahresende kommentierte) hatte ich immer das Gefühl, Leuenberger weigere sich bewusst zu lächeln. Erst bei den letzten Portraits gab er sich natürlicher. Beim jüngsten Phototermin - anlässlich der Maltherapie des Bundesrates (zur Förderung der Teamfähigkeit) - verriet Leuenbergers Gesicht wieder unmissverständlich, dass ihm dieser sonderbare Event gegen den Strich ging. Bei diesem Malen hatte ich jedoch grösstes Verständnis für sein Unbehagen. Das Ganze wirkte auf die Oeffentlichkeit als lächerliche Gruppentherapie. Es wäre für jeden professionelle Berater unverständlich, wenn der Gesamtbundesrat ernsthaft geglaubt hätte, Kommunikationspannen, Sologänge des Bundesrates mit den zahlreichen Intrigen könnten mit einer Pseudo-Maltherapie gebessert werden. Als Bundesrat hätte ich bei dieser fragwürdigen Uebung ebenfalls keine Begeisterung zeigen können. Zitat Peter Rothenbühler: "Was tut der Bundesrat nach den Sologängen? Mölele. Im Team!"

Generell kann gesagt werden: Der leicht vergeistigte Bundesrat Leuenberger wirkte vielfach abgehoben, zaudernd, über den Niederungen des gesellschaftlichen Lebens schwebend. Er hatte etwas träumerisches, feinsinniges. Er war nie Volkstribun, eher Philosoph. Dennoch ragte er in der Meinung der Menschen immer aus der Norm heraus. Ich las einmal von einem Kommentator, Leuenberger sei der einzige Bundesrat mit Intellekt, Witz und einer Portion Schalk. So habe er auch seinen Rücktritt lustvoll geplant, mit dem er selbst die Parteifreunde überraschte. Der geistreiche, originellePolitiker mit seinem trockenen Humor wurde leider mit der Zeit nicht mehr ernst genommen. Das gab zu denken. Büttners im Tagi vom 10. Juni 2010:

"In den Auftritten hatte Leuenbergers Stimme vielfach einen ironischen Tonfall mit leicht gereiztem Unterton. Wenn ihm in Interviews die Frage nicht genehm war, wirkte die Stimme noch schnippischer. Sein lakonischer Witz war einmalig. Wenn er missmutig war, zeigte sich dies in der leicht quengelnden Stimme, die sich nur aufhellte, wenn ihn das Thema interessierte. Gefällt Leuenberger etwas nicht, bleibt er mürrisch, vergittert sein Gesicht."


Mit Leuenberger kam ein origineller, gebildeter Politiker in den Bundesrat, der gerne Schauspieler geworden wäre. Kein Magistrat hatte so viele Gesichter, wie er. Blocher - auch Pfarrerssohn - blieb für Leuenberger stets Kontrahent und Gegenspieler. Dieser war für ihm stets viel zu laut. Schlagfertig konterte er, als Blocher bei seiner Nichtwahl 1999 in in den Ratsaal rief: "Wir sehen uns bei Phillipi": "Philippi ist ein Schlachtort und unsere Demokratie ist kein Schlachtfeld!"

Christoph Blocher hielt damals auch nicht zurück. Er gab 2007 am Zürcher Sechseläuten vor eingeschaltetem Mikrofon des Lokalsenders "Radio Zürisee" folgenden Witz zum Besten:

Moritz Leuenberger will den Schweizer Zoll ohne Pass überqueren und erhält den Bescheid, er müsse beweisen, wer er sei. Roger Federer habe dies getan, indem er ein wenig Tennis gespielt habe. Und Alex Frei habe ein Fussball-Dribbling gezeigt. Nun müsse Leuenberger auch beweisen, was er könne. Leuenberger antwortete, er könne nichts. Worauf die Zöllner antworten: ja dann sind Sie Leuenberger.

Der ins Lächerliche gezogene SP-Bundesrat liess jedoch über sein Departement schlagfertig ausrichten: "Das ist ein sicher gut gemeinter Versuch, mich endlich zu öffentlichem Lächeln zu bewegen."

Übrigens soll Leuenberger alle originellen Reden selbst geschrieben haben. Er bezauberte die Zuhörer immer wieder mit Ueberraschungen, wie beispielsweise bei der Anrede anlässlich des Schwulen- und Lesbentages in Zürich. Leuenbergers launische Begrüssung: "Meine Damen und Damen. Meine Herren und Herren!" Wenn er früher gereizt und verstockt gewirkt hat, so gab sich Leuenberger seit seiner gelungenen Rücktrittsankündigung sichtlich erleichtert, deutlich entspannter.

Brillant in der Rhetorik, theatralisch in den Bewegungen: Die Auftritte von Moriz Leuenberger bleiben unvergessen, unerreicht - und oft unfreiwillig komisch.

Angeblich hat "Der Spiegel" ein spezielles Archiv mit unvorteilhaften Fotos eines deutschen Alt-Kanzlers angelegt. Bei Moritz Leuenberger war dies nie nötig.

Der Magistrat inszenierte sich mit Inbrunst selbst: Er schnüffelte an Auspuffen, warf sich in lottrige Arbeitskleidung oder übergrosse Regenmäntel und machte gute Mine für die Medien. Häufig endeten seine Auftritte aber auch mit kuriosen bis bizarren Bildern in den Tageszeitungen. Die Auswahl solcher Fotos scheint unerschöpflich zu sein, wie die Bildstrecke zeigt.

Leuenberger hatte ein Flair für Kultur, Literatur, Kunst und Theater. Immer wieder der Schauspieler durch. Er hielt als erster Bundesrat eine Rede für Gehörlose in Gebärdensprache. Er schrieb viel und sein BLOG hatte eine hohe Einschaltquote. Mit dem Blog nutzte er den Dialog zur Bevölkerung. An der ersten Rede nach dem Rücktritt am 1. August spielte der Noch- Bundesrat mit deiner Rolle als Bundesrat, der als lahme Ente bezeichnet werden könnte. Damit nahm er seine offensichtliche Schwäche auf die Schippe.

Leuenbergers Argumentationsstrategie: Probleme aufs Eis legen! "Wir prüfen die Sache" um nicht entscheiden zu müssen. d.h. warten, klären aber Unangenehmes möglichst auf Eis legen. Diese Strategie schimmert immer wieder durch (Fluglärmdebatte mit Deutschland, Endlager für radioaktive Abfälle usw.) Dass wichtige Entscheide nicht über den Leisten geschlagen werden sollten, ist sicherlich vernünftig. Doch schien der Umwel.t und Verkehrsminister immer wieder heikle Fragen vor sich her zu schieben, um sich nicht eindeutig positionieren zu müssen. Ein Beispiel seines Antwortverhaltens (aus einem Interview der SonntagsZeitung vom 18. Juli 10): SonntagsZeitung: Der deutsche Umweltminister will keine neuen Atomkraftwerke. Es reiche, die Laufzeit der alten zu verlängern, sozusagen als Brücke zu den Erneuerbaren. Kein Thema für die Schweiz? Leuenberger: Bei uns ist das Kriterium für die Laufzeit einzig die Sicherheit. SoZ: Und nachher? Könnten wir dann nicht auch auf Erneuerbare setzten statt auf AKW? Leuenberger: Es gibt einen klaren Bundesratsentscheid, der neue KKW befürwortet. Aber der wahre Entscheid fällt später. OB neue KKW nötig sind, wird das Volk entscheiden. Kommentar: Leuenberger geht bei der ersten Antwort nicht auf die Frage ein. Der Journalist fragt korrekterweise nach und Leuenberger zitiert geschickt die Meinung des Gesamtbundesrates. Wir wissen damit nicht, was der Umweltminister persönlich zur Problematik meint. Auf diese Weise konnte Moritz Leuenberger als Bundesrat die meisten Wirren problemlos überstehen. Das Hinausschieben von Stellungsnahmen und auf Eis legen von aktuellen Problemen hatte sich für ihn gelohnt.

Eine Profi Marketingfrau beschrieb mir Leuenberges zwiespältige Rhetorik wie folgt: Auf der einen Seite wirkt er als "Softi", anderseits finde ich sein Verhalten oft recht böse. Er sei wie ein Wolf im Schafspelz. Ich sehe die Zwiespätligkeit Leuenbergers auf den Ebenen Rhetorik- und Kommunikationsfähigkeit. Sein rhetorisches Talent (als Denker und Philosoph) ist für mich unbestritten, als Kommunikator hingegen gibt er mir zu denken. Wenn Moritz Leuenberger vom Gegenüber so oft missverstanden wurde, mangelte es in diesem Bereich. Ein guter Kommunikator wird nämlich gut verstanden. Aus meiner Sicht klafft seine rhetorische- und die kommunikative Fähigkeit auseinander.



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