Christian Düblin | Bernhard Russi |
Sie gehören zu den prominentesten Menschen in der Schweiz, von denen
man sagt, sie seien mit beiden Füssen auf dem Boden geblieben. Eine
weitere solche Persönlichkeit ist sicher auch Roger Federer. Was
hat Sie nebst Ihren Eltern und Ihrem Umfeld davor bewahrt, trotz Ihrer
sowohl sportlichen als auch unternehmerischen Erfolge abzuheben?
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Ich bin tatsächlich immer sehr bewusst auf dem Boden geblieben. Das
habe ich nicht getan, weil ich das etwa als öffentlichkeitswirksam
betrachtet hätte, sondern weil es meiner Natur als Mensch und
meiner Einstellung dem Leben gegenüber entspricht. Ich hatte nie
das Gefühl, ich sei der Beste. Wohl hatte ich aber immer wieder das
Gefühl, dass ich ein Rennen gewinnen kann. 1972 beispielsweise wusste
ich nach einem intensiven Training, dass ich an den Olympischen Spielen
in Sapporo gewinnen könnte, wenn ich mein Bestes gebe. Ich war aber
immer auch sehr realistisch eingestellt. Mir war klar, dass ein solcher
Sieg auch nur eine Momentanaufnahme ist. Gewinnt jemand ein Skirennen,
dann war er in den wenigen Minuten des Rennens der Beste. Wäre
das Rennen später durchgeführt worden, wäre das
möglicherweise schon nicht mehr der Fall. Das hat im Übrigen
auch dazu geführt, dass ich schon bald angefangen habe mich nicht
nur auf mich selber, sondern mich selber vor meinen eigenen Fahrten
auf die Fehler meiner sportlichen Gegner zu konzentrieren und diese
genau zu analysieren. Ohne die Fehler meiner sportlichen Gegner konnte
ich nicht gewinnen. Diese Einstellung und Vorgehensweise hat Vor- und
Nachteile: Vorteil ist, dass man dabei vor grausamen Abstürzen nach
Niederlagen verschont wird. Nachteil ist, dass man diesen Siegesrausch
nicht so erlebt, wie das andere tun. Dieses Gefühl des Rausches
ist ein "Extremgefühl" und es kann hilfreich sein, Seriengewinne
zu erringen. Menschen, die so veranlagt sind, glauben, was ihnen ihr
Umfeld einflösst. Sie riskieren aber, irgendwann den Sinn für
die Realität zu verlieren. Davor habe ich mich selber geschützt.
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Sie gehören zu den wenigen Menschen, denen nach einer Sportkarriere
auch weitere Karrieren gelungen sind. Sie sind in der Öffentlichkeit
sehr bekannt und fast jeder Schweizer kennt Ihr Gesicht. Wie erklären
Sie sich diesen Umstand?
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Mir ist heute klar, dass die Schweiz zum Zeitpunkt, als ich meine ersten
Siege verzeichnen konnte, ein skisportmässig gebeuteltes Land
war. Die Österreicher und Franzosen waren uns damals überlegen
und in der Schweiz wartete man auf Siegerinnen und Sieger aus der
Schweiz. Das war auch die Zeit, als die Fernsehübertragungen
von Skirennen fulminant zunahmen. Sie erinnern sich, dass damals,
wenn kein Skirennen ausgestrahlt wurde, das Testbild auf dem
Fernseher erschien. Das waren noch ganz andere Zeiten. Ich rutschte
als junger Sportler genau in diese Phase der Faszination für
Direktübertragungen rein und mein Bekanntheitsgrad wurde deshalb
auch sehr gross. Darum kennen mich aus dieser Zeit auch noch alle
Menschen. Dazu kam, dass man ein Idol haben wollte, das sportlich sehr
gut, aber auch zurückhaltend und anständig war. Das waren sehr
schweizerische Ansprüche, die ich erfüllen konnte, ohne mich
selber verstellen zu müssen. Später hatte ich immer wieder in
der Öffentlichkeit Auftritte bis hin zu Fernsehshows, die ich aber
alle nicht geplant hatte. Ich rutschte in einem gewissen Sinne einfach
in diese Welt hinein und machte das Beste daraus.
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Nicht selten passiert es, dass junge Talente von den Medien
missbraucht werden und die Höhen und Tiefen der Medienwelt zu
spüren bekommen. Sie haben in Sachen Öffentlichkeitsarbeit
sehr viel mitbekommen und viel gelernt. Was raten Sie heute jungen
Nachwuchssportlern im Umgang mit den Medien?
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Diese Menschen müssen ein professionelles Verständnis der
Medienwelt haben. Das ist eine Grundvoraussetzung, um gut mit ihnen
arbeiten zu können. Dazu gehört zu verstehen, dass man sich
gegenseitig braucht. Die jungen Sportler und die Medien sind aufeinander
angewiesen. Sie beleben sich. Man soll sich aber nicht verschenken und
gerade in der Schweiz tut man gut daran, etwas zurückhaltend zu
sein. Die Schweiz ist sehr klein und wenn man Aussagen nicht dosiert, dann
sind sie schon zuviel. Jede Aussage ist eigentlich schon zuviel. Deshalb
rate ich jungen Sportlern, sich über die Mechanismen der Medien und
ihre eigenen Rollen, die sie in den Medien spielen wollen, frühzeitig
Gedanken zu machen.
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Alle Menschen, die auf die "Bühne" gehen wollen und Spitzenresultate
anstreben, wollen im Fokus der Zuschauer stehen. Sie suchen alle nach
Anerkennung. Ich bin dem Sportler oder Star, der das nicht möchte,
noch nicht begegnet. Wenn sich eine solche Person dann beklagt, er habe
kein Privatleben mehr, dann ist das nicht ganz aufrichtig, denn diese
Person hat mit ihren Erfolgen diesen Fokus der Zuschauer und damit auch
der Medien gewollt und auf sich gezogen. Es fragt sich dann einfach,
wie man damit umgehen soll. Die vielen Fans, die in der Zielgeraden oder
auch in einem Fussballstadion sitzen, lieben ihre Idole. Sie lieben die
sportliche Leistung, aber oft auch die Ausstrahlung dieser Menschen.
Darum haben sie auch ein gewisses Anrecht, etwas über diese Person
zu erfahren.
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Diese jungen Menschen müssen sich oft auch, und wollen sich oft auch,
vermarkten. Was haben Sie in Ihrem Leben in Bezug auf das "Sichvermarkten"
festgestellt und wo sehen Sie selber Grenzen bei der Vermarktung von
sich selbst?
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Für mich war es immer wichtig, dass ich authentisch bleiben konnte
und ich mich für etwas einsetzte und hingab, was auch logisch
war. Was soll Bernhard Russi mit einem Waschmittel? Das wäre
möglich gewesen, hätte mir aber keine Freude bereitet, da es mit
mir selber weder sportlich noch technisch gesehen zu tun hat. Für
mich war die Anfrage für ein Unternehmen der Zigarettenindustrie
ein Thema, das mich bis heute beschäftigt. Für diesen
mir angebotenen Werbeauftrag hätte ich ein X-faches von dem
verdient, was ich heute für andere Werbeaufträge und andere
Tätigkeiten bekomme. Man sah mich in der Rolle des Sportlers,
der sich zwar für einen Nichtraucher ausgab, dabei aber betonte,
dass, wenn man schon rauchen würde, doch diese eine Marke bevorzugen
sollte. Mir war klar, dass diese Aufgabe nicht funktioniert hätte,
denn man muss für das, wofür man wirbt, auch wirklich einstehen
und authentisch bleiben können. Dieses Werbe-Projekt hätte sich
für mich, aber auch für das Zigarettenunternehmen, negativ
ausgewirkt. Ich sagte das Angebot deshalb auch ab und bin heute sehr
froh über diesen Entscheid.
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Für mich war es immer wichtig,
dass solche Werbetätigkeiten nachhaltig und langfristig angelegt
sind. Werbeaufträge müssen, damit sie auch tragen und ihre
Wirkung erzielen, mehrere Jahre laufen. Auch darüber muss man sich
Gedanken machen, wenn es um die Auswahl von Werbeauftritten geht. Man
tut im Übrigen gut daran, die Gier nach Geld runterzuschrauben.
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Es fällt auf, dass Sie als bekannte Persönlichkeit keine
politischen Aussagen machen. Mir ist nicht bekannt, dass Sie sich zu
irgendeinem Zeitpunkt über politische Geschehnisse geäussert
hätten.
Sind Sie kein politischer Mensch oder haben Sie schlicht
kein Bedürfnis, Ihre Meinung kundzutun?
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Das ist ein sehr interessanter Aspekt des Lebens in der
Öffentlichkeit, den Sie hier anschneiden. Ich stehe in der
Öffentlichkeit und frage mich natürlich auch immer wieder,
was der Grund dafür ist.
Es ist in erster Linie der Sport, der mir
eine Fläche in der Öffentlichkeit bietet. Die Menschen, die
mir zuhören, interessiert, was ich zu sportlichen Ereignissen zu
sagen habe oder warum ich eine Skipiste so und nicht anders konzipiert
habe. Wenn ich aus dieser Funktion heraus plötzlich anfange,
politische Aussagen zu machen, die ich natürlich als politisch
denkender Mensch machen könnte, mische ich plötzlich in
Angelegenheiten mit, die von mir als Sportler, Moderator oder Architekt
von Skipisten nicht erwartet und nicht gewünscht werden. Ich
würde mich plötzlich auf einem Terrain bewegen müssen,
auf dem ich kein Spezialist mehr bin. Das wäre meinen Fans
und meinen Zuhörern gegenüber nicht fair.
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Ich würde
mich aber als Stammtischpolitiker bezeichnen und spreche in meinem
Kollegen- und Freundeskreis sehr oft über Politik. Ich habe mich
im Übrigen einmal für ein politisches Statement hinreissen
lassen. Es ging um eine Initiative über Jugendliche und Drogen. Egal,
ob das eine gute Initiative oder Sache war oder nicht, ich habe erlebt,
wie ich plötzlich als Aushängeschild zu einem Thema in der
Öffentlichkeit Aussagen hätte machen müssen, für
das mir auch das Spezialwissen gefehlt hat. Daraus habe ich meine
Lehren gezogen.
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