Nicht nur bei der UBS Affaire, auch im Fall Libyens beunruhigt die
Bevölkerung das Informations- und Kommunikationsmanagement des
Bundesrates. Leider hat man aus den zahlreichen alten Fehlern nichts
gelernt. Informationen wurden einzelnen Ratsmitgliedern vorenthalten und
es wurden immer wieder unterschiedliche Informationen vermittelt. Obschon
Pascale Couchepin die Meinung vertrat, nach der Abwahl Blochers sei das
Kollegilitätsverständnis in der Exekutive viel besser geworden,
ist dies nicht der Fall. Im Gegenteil. Das Klima hat sich verschlechtert.
Misstrauen, Missgunst und eine Mentalität des Einzelkämpfertums
machte sich breit. Statt Teamwork kam es laufend zu fragwürdigen
Alleingängen und zu Indiskretionen. Wenn sich der Bundesrat in
Krisensituationen der internen Verschwiegenheit nicht mehr sicher ist,
so darf dies nicht bagatellisiert werden. Es ist ein Alarmsignal. Ein
Bundesrat, der im Gerüchtesumpf versinkt, kann der Rat in dieser
Konstellation nicht mehr geduldet werden. Das Parlament ist gefordert.
Nachtrag vom 24. Juni: Blick:
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Der Auftritt von Doris Leuthard am Montag sorgt weiterhin für
Konfusion. In einem Communiqué, das mehr Fragen aufwarf als
beantwortete, nahm die Bundespräsidentin Bezug auf die geplante
Kommandoaktion für die Befreiung der beiden Geiseln in Libyen. Sie
erklärte, dass ein Einsatzbefehl bereits erteilt, nachher
jedoch wieder zurückgezogen worden sei.
Stand also die Elite-Einheit AAD 10 Gewehr bei Fuss bereit, um in
Tripolis einzugreifen, bevor sie zurückgepfiffen wurde?
Wohl kaum, denn verschiedene Medien berichten, dass ein solcher Einsatz
schon in der Planungsphase wieder verworfen worden ist. Dennoch
hielt Leuthard gestern vor der Aussenpolitischen Kommission
explizit am Wortlaut des Communiqués fest. Blick.ch fragte
beim renommierten Staatsrechtler und Sicherheitsexperten Rainer
Schweizer nach:
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Wie sind Leuthards Aussagen zu interpretieren?
Schweizer: Bei dem, was offenbar geplant war, handelt es sich um einen
robusten Polizeieinsatz mit einer Spezialistentruppe der Armee. Die
Bundespräsidentin muss sich in ihrer Wortwahl geirrt haben. Denn
im Sicherheitsrecht ist klar, was das Wort "Einsatzbefehl" bedeutet:
Eine militärische Aktion wird gestartet und durchgezogen.
Dieser Darstellung widerspricht Calmy-Reys Aussendepartement.
Schweizer: Eben, das war hier offenbar nicht der Fall: Es hat sich vielmehr um einen
Planungsauftrag gehandelt. Deshalb verstehe ich nicht, weshalb Leuthard
auf ihrer Terminologie beharrt.
Sehen Sie gar keine mögliche Erklärung?
Schweizer: Wahrscheinlich liegt das Problem darin, dass sie als
Volkswirtschafts-Ministerin nicht Mitglied des Sicherheitsausschusses
ist. Diesen bilden die Vorsteher des EDA, des VBS und des EJPD.
Vielleicht war sie pikiert, dass sie nicht in die Planungen einbezogen
wurde.
War es denn legitim, dass Calmy-Rey einen solchen Einsatz
vorbereitete?
Schweizer: Ja. Aber sie hätte unbedingt den Gesamtbundesrat
ins Bild setzen müssen. Denn die Verfassung schreibt vor,
dass das Kollegium bei wichtigen Geschäften involviert werden
muss. Darum handelt es sich bei der Libyen-Affäre zweifellos.
War dieser Verstoss gegen das Kollegialprinzip so schwerwiegend
wie jener von Hans-Rudolf Merz, der seine Kollegen ungefähr
gleichzeitig nicht über die Probleme der UBS aufklärte?
Schweizer: Nein, das allfällige Versäumnis von Micheline Calmy-Rey
und auch Ueli Maurer ist lange nicht so gross wie jenes von Bundesrat Merz in der
UBS-Affäre. Dass er das Gremium so lange nicht informiert hat, war
absolut unverantwortlich angesichts der Tragweite des Geschäfts.
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Nachtrag vom 24. Juni, 2010::
NZZ:
Der Bundesrat hat beschlossen, wegen der Indiskretionen in der
Libyen-Affäre Klage gegen Unbekannt einzureichen. Dies sagte
Bundesratssprecher André Simonazzi am Donnerstag vor den Medien
in Bern.
Die Indiskretionen verurteile der Bundesrat aufs Schärfste,
teilte Bundesratssprecher Simonazzi nochmals mit. Gleichzeitig hielt er
fest, dass der Bundesrat sich nicht weiter zu den Plänen für
eine Befreiung der Libyen-Geiseln äussere. Simonazzi verwies auf die
Ausführungen von Bundespräsidentin Doris Leuthard vom Montag.
Leuthard hatte am Montag bestätigt, dass es Pläne zur Befreiung
der Libyen-Geiseln gegeben hatte. Offen blieb, wie weit fortgeschritten
die Pläne waren, welche Einheiten involviert gewesen wären
und welche Mitglieder des Bundesrates wann darüber informiert wurden.
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Und der Blick:
Militäraktion verraten: Bundesrat erstattet Anzeige gegen
Plaudertasche
Das Departement Merz steht im Verdacht, die
Medien über die geplante Geiselbefreiung informiert zu haben.
Der Bundesrat hat beschlossen, wegen der Indiskretionen in der
Libyen-Affäre Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten. Dies sagte
Bundesratssprecher André Simonazzi heute vor den Medien in Bern.
Simonazzi hielt fest, der Bundesrat äussere sich nicht weiter
zu den Plänen für eine Befreiung der Libyen-Geiseln. Er
verwies auf die Ausführungen von Bundespräsidentin Doris
Leuthard vom Montag. Leuthard hatte am Montag bestätigt, dass es
Pläne zur Befreiung der Libyen-Geiseln gab. Offen blieb, wie weit
fortgeschritten die Pläne waren, welche Einheiten involviert
gewesen wären und welche Mitglieder des Bundesrates wann
darüber informiert wurden. Bekannt geworden waren die Pläne
durch Indiskretionen aus der Bundesverwaltung. Diese verurteile der
Bundesrat aufs Schärfste, sagte die Bundespräsidentin am
Montag. Die Informationen waren letzte Woche in die Medien gesickert,
möglicherweise aus dem Umfeld von Hans-Rudolf Merz. Er wirft
Aussenministerin Micheline Calmy-Rey vor, dass sie hinter seinem
Rücken die Aktion vorbereitete - und ihn damit bei seinem
Tripolis-Trip ins Messer laufen liess.
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