Zuerst der
kritische Beitrag:
7. Februar 2010, NZZ am Sonntag
Der König der Kalauer
"10 vor 10" ist eine gute Sendung. Ausser es ist Stephan Klapproth, der moderiert.
Von Dominik Imseng
Cäsars Männer waren erschöpft, verwundet oder
beides, als sie den zahlenmässig weit überlegenen Galliern
gegenüberstanden. Der legendäre Feldherr aber führte
seine Legionäre trotzdem zum Sieg. "Wenn ihr flieht, seid ihr tot",
hatte er ihnen zugerufen: "Greift an - und überlebt!"
Kein Wort zu viel, kein Wort ohne Wirkung - das ist Rhetorik. 2000
Jahre später ist sowohl vom römischen Imperium als auch von
der Redekunst nicht mehr viel übrig. Das beweist "10 vor 10",
wenn Stephan Klapproth, wie diese Woche wieder, im Studio sitzt: ein
Schwadroneur vor Gott, dessen Anmoderationen fast länger sind als
die Beiträge selbst.
Zugegeben, es war schon schlimmer. Viel zu weitschweifig ist er
weiterhin. Er beginnt ja grundsätzlich bei Adam und Eva. Und
dann diese ständigen Kalauer. Sah man eben die Künstlerin
Pipilotti Rist ins Wasser springen, kommt von Klapproth natürlich:
"Eine Künstlerin, die sich gewaschen hat." Klapproths Flach- und
Plattwitze mögen in der Werbung noch angehen, da auf diese niemand
wartet. Auf die News des Tages aber wartet man, Beachtung und Interesse
sind bereits gegeben.
Daniela Lager und Susanne Wille - Klapproths "10 vor 10"-Kolleginnen -
wissen das. Und sie wissen auch, dass das Wort Moderator vom lateinischen
"moderare" kommt, das nicht nur "steuern" bedeutet, sondern auch
"mässigen", auch "sich mässigen", "sich zurücknehmen",
bei "10 vor 10" mit dem Ziel, den News des Tages mehr Gewicht zu
verleihen. Durch seine Schwatzsucht aber macht sich Klapproth wichtiger
als die Beiträge. Und durch seine Kalauer verwandelt er "10 vor
10" in ein Kabarett des 21. Jahrhunderts, in dem sich die Berichte und
Reportagen aneinanderreihen wie dereinst die Auftritte von Kraftmenschen
oder Revue-Girls.
Dabei hätte echter Humor durchaus eine aufklärerische
Funktion. Ja sogar das Wortspiel, sofern brillant und mit
Buster-Keaton-Miene vorgetragen, hat seine Berechtigung. Man erinnere
sich an den Verbal-Akrobaten Friedrich Küppersbusch ("Wenn Berti
Vogts den Mannschaftsbus verpasst, rufen alle: "). Klapproths Witzchen aber fügen der Simulation von
Information, auf die Nachrichtensendungen im Fernsehen ohnehin stetig
hinauszulaufen drohen, noch die Simulation von Humor hinzu.
Warum macht er das nur? Drei Erklärungsversuche. Der erste:
Der Luzerner übertreibt es mit seinen Anmoderationen, weil er
es grundsätzlich mit allem übertreibt: Er trägt dicke
Nadelstreifen, als wäre er Tangotänzer, er lässt zu viel
Gesichtshaare stehen, und als er für eine Reportage quer durch die
USA fuhr - klar musste er auf ein dreirädriges Motorrad steigen.
Zweite Theorie: Klapproth, der für die Moderation privater
Veranstaltungen 5000 Franken und mehr verlangt, meint, als so
Hochbezahlter auch bei "10 vor 10" besonders viele Worte in der Minute
produzieren zu müssen.
Dritte Theorie: Klapproth, der einen Nebenjob als Dozent für
Journalismus an der Uni Freiburg hat, ist im Grunde seines Herzens
Lehrer. Und profitiert von einem Publikum, das sich nicht wehren
kann. Natürlich: Man könnte bis zur "Tagesschau Nacht" warten,
um zu erfahren, wie es der Welt ergangen ist, aber man will ja auch einmal
ins Bett. Und so bleiben wir hilflos Klapproth, dem Informations-Zampano,
ausgesetzt. Man verzeihe den Kalauer, aber es ist 5 vor 12 für den
Mann von "10 vor 10".
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NZZ am Sonntag Artikel vom 14. Februar 10:
"König der Klugscheisser"
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14. Februar 2010, NZZ am Sonntag:
Der König der Klugscheisser
Die "NZZ am Sonntag" ist gut. Ausser wenn Dominik Imseng schreibt. Eine Replik.
Stephan Klapproth
Ach, werter Kollege Imseng, da haben Sie sich ja so recht Ihr Mütchen
gekühlt und vom NZZ-Schreibtisch aus einem Fernsehmann die
Fresse poliert. Von Cäsar bis Küppersbusch fahren Sie Ihre
bildungsbürgerlichen Reserven gegen mich auf. Da diese trotz des
primären Imponiereffekts überschaubar bleiben, hat mich das
allerdings nicht umgepustet.
Zumal Sie etwas paradox vorgingen: Weitschweifigkeit werfen Sie mir
als schlimmstes Verbrechen am Publikum vor. Der Vorwurf trifft Sie nicht
minder: Ihr Fünfspalter liesse sich problemlos auf die cäsarisch
knappen fünf Wörter reduzieren: "Ich mag den Kerl nicht." Was
Ihr gutes Recht ist.
Leider aber plustern Sie sich auf (sind wir uns - horribile dictu -
ähnlicher, als Sie denken?) zum Fernsehrhetorik-Experten, der
Sie augenscheinlich nicht sind. Sie irren sich schon im Titel, wo
ich als Kalauer-König definiert werde, was Sie später damit
belegen, dass ich zum Bild der ins Wasser springenden Pipilotti Rist
von einer Künstlerin spreche, die sich gewaschen hat. Kalauer sind
definiert als Wortspiele, in denen Wörter mit anderen Wörtern
spielen. Vermutlich entging Ihnen, dass das Medium Fernsehen eine
Bild-Ebene involviert, mit der ich in meinen Texten Sprachbilder
interagieren lasse.
Wir untersuchen die Bild-Text-Wirkungen mit Spezialisten unserer
Ausbildungsabteilung seit langem genau und kommen zum Schluss, dass
der Effekt alles andere als plump ist. (Wenn Sie, wovon ich bei einem
NZZ-Intellektuellen ausgehe, dazulernen wollen, lesen Sie das Referenzbuch
"Text und Bild" von Manfred Muckenhaupt.) Ihr zweiter Königsirrtum:
In der Werbung möge sprachliches Aufbauschen noch angehen,
schreiben Sie, doch bei den News des Tages sei "Aufmerksamkeit bereits
gegeben". Dass Sie die moderne Fachliteratur dazu kennen (siehe etwa
"Ökonomie der Aufmerksamkeit" von Georg Franck), will ich gar
nicht voraussetzen.
Aber: Haben Sie Ihre Horaz-Ausgabe gerade ausgeliehen? Der Vater
der römischen Rhetorik erteilt in der berühmten "Prodesse
aut delectare"-Passage jedem Kommunikator den ewig gültigen Rat:
"Nützen oder unterhalten wollen die Dichter oder zugleich Heiteres
und Lebenspraktisches sagen". Bitte verstehen Sie, dass ich Ihre
Hinweise zu meinem Outfit und Haar-Styling unrepliziert lasse, kurzes
Googeln ergab, dass Sie auch auf diesen Feldern nirgends als Experte
erscheinen. So verkneife ich mir auch, Ihren Untertitel persi- flierend
zu verkünden: "Die NZZ am Sonntag ist eine gute Zeitung. Ausser
wenn Dominik Imseng darin schreibt."
Und Ihr Titel-Stabreimchen (König der Kalauer) mit "König
der Klugscheisser" zu parieren, erscheint mir bei zweitem Hinsehen nun
plötzlich bei einer Edelfeder wie Ihnen doch etwas rüde. So
rufe ich Ihnen versöhnlich auf Ihrer angestrebten geistigen
Flughöhe zu: "Si tacuisses, philosophus mansisses" - wenn du
geschwiegen hättest, wärest du ein Philosoph geblieben
(Boethius, "Trost der Philosophie", natürlich).
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