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www.rhetorik.ch aktuell: (07. Dez, 2009)

Zur Fehleinschätzung von Longchamp

Rhetorik.ch Artikel zum Thema:
Der "Blick" schreibt:

GfS-Chef Claude Longchamp unterrichtet, forscht, bloggt - und trägt dabei eine Fliege. Immer. So auch bei der Bekanntgabe seiner massiven Fehleinschätzung im Vorfeld der Minarett-Abstimmung. Dafür gabs schon Kritik. Jetzt legten die Nationalkomiker Giacobbo/Müller nach: Für das eigenwillige Muster seiner Fliege und seinem Gilet gabs gestern in ihrer Sendung Häme und Spott. Es seien "alte Vorhänge", die der Politologe da vor den Fernsehkameras trage. Mode ist bekanntlich aber Geschmackssache und darüber lässt sich nicht streiten. Über die Fehlprognose schon: Longchamp sagte eine Nein-Mehrheit von 53 Prozent voraus. Effektiv stimmten dem Minarett-Verbot 57 Prozent zu. Moritz Leuenberger übte Kritik aus, ebenso wie Christoph Mörgeli. Auch der Interims-Direktor des SF, Ueli Haldimann, liess das katastrophale Ergebnis nicht auf sich sitzen und kündigte an, die Methodik des GfS untersuchen zu wollen. Diese will aber auch selber die Ursachen für die krasse Differenz zwischen Umfrage und Abstimmung untersuchen. Longchamps Outfit ist von der Untersuchung davon nicht betroffen. Zu beiden Punkten will das GfS aber gegenüber Blick.ch keine Stellung nehmen.


Bei dieser Abstimmung wäre jeder Prognostiker auf die Nase gefallen. Die veröffentlichte Meinung stimmt in solchen Fällen selten mit der Meinung überein, die auf dem Stimmzettel kund getan wird. Viele Menschen haben bei offiziellen Befragungen die Initiative angeblich abgelehnt und auch öffentlich erklärten, sie würden "Nein" einlegen. Dann aber - bei der echten Abstimmung - wurde heimlich auf dem Stimmzettel ein "Ja" geschrieben. Es ging bei den Proteststimmen nicht mehr um die Minaretttürme sondern um ein Unbehagen gegenüber Bildern, die tagtäglich auf der Strasse gesehen wurden und in den Medien vermittelt werden:
  • Schülerinnen, die sich weigern, am Schwimmunterricht teilzunehmen.
  • Matchos, die 10 Meter vor der verhüllten Frau einhergehen.
  • Bilder von Terroristen, die sich im Namen des heiligen Krieges aufopfern.
  • Geschichten von Zwangsheiraten, Blutrache, Beschneidungen, Steinigungen.
Solche Bilder haben auch Feministinnen und besorgte Bürger aus unterschiedlichsten Schichten und Parteien dazu gebracht, ein "Ja" einzulegen. Umfragen konnten dieses Phänomen nicht erfassen. Die krasse Fehlprognose wird nicht nur bei Politologen noch zu reden geben.


Nachtrag vom 21. Dezember 2009: Ein Ein Tagesanzeiger Artikel " Internetauswerter nutzt Longchamps Formtief" von Maurice Thiriet bestätigt, dass bei heiklen Themen Leute bei Telephonumfragen nicht immer die Wahrheit sagen:

Man kann nicht behaupten, Claude Longchamps Umfrage zur Minarett-Initiative habe den Ausgang der Abstimmung punktgenau vorausgesagt. In seiner Umfrage sprachen sich 37 Prozent für ein Minarettverbot aus, an der Urne waren es dann 57 Prozent. Nach diesem Fehlschlag von Longchamps GfS Bern trumpft jetzt Leo Keller mit einer Auswertung von Internetforen auf. Mit seiner Firma Blue Ocean verfolgt er hauptsächlich für Unternehmen Diskurse und die Meinungsbildung im Internet. 2500 deutschsprachige Internetforen hat er seit Januar 2009 untersucht. In rund 124 davon fanden sich Diskussionen um die Minarett-Initiative. "Von den insgesamt 954 analysierten Postings waren 681 eindeutig dem Pro- oder Contra-Lager zuordenbar", sagt Keller. Davon haben sich 55 Prozent für ein Minarettverbot ausgesprochen, 45 Prozent dagegen. Das Resultat liegt also nur um zwei Prozent neben dem Abstimmungsergebnis. Die Verlaufsanalyse zeigt laut Keller, dass von Anfang Oktober bis zur Abstimmung die Menge der Postings rasant zugenommen hat. In diesem Zeitraum hätten auch die Einträge der Befürworter diejenigen der Gegner zahlenmässig erstmals stark übertroffen.

Der Vorteil der Internetauswertung sei, so Keller, "dass die Menschen ihre Meinung im Internet ungeschminkt äussern - auch dank der Anonymität". Bei Telefonumfragen hingegen sagen die Leute oft, was der Interviewer ihrer Meinung nach hören will. Wenn sie das Gefühl haben, ihre Meinung sei politisch unkorrekt oder werde als verwerflich angesehen, flunkert ein Teil der Befragten. Keller hält daher die passive Beobachtung von Diskussionen vor Abstimmungen für sinnvoll - "besonders bei Scham- und Tabuthemen".


Claude Longchamp selber wollte sich zum Thema nicht mehr äussern. Lukas Golder, Mitglied der Geschäftsleitung von GfS Bern, begrüsst Kellers Anstrengungen aber: "Alles, was die Forschung weiterbringt, ist für uns interessant." Die Verknüpfung von Mediendaten und Umfrageergebnissen habe auch GfS Bern schon betrieben. So bei der EWR-Abstimmung 1992 und der Uno-Abstimmung zehn Jahre später. Allerdings müsse die Medienbeobachtung ihre Aussagekraft erst noch beweisen. "Der Mehrwert als Konkurrenzmethode sollte auf Basis von mehreren Abstimmungen vorgebracht werden", sagt Golder und erlaubt sich auch gleich noch einen Seitenhieb auf Kellers Untersuchung: "Wie bei Umfragen auch, haben aber nur jene Instrumente einen Wert zur Klärung der Meinungsbildung, die im Voraus publiziert werden." Keller hat dagegen die Auswertung der Forumsbeiträge erst letzte Woche abgeschlossen.




Nachtrag vom 17. Januar, 2010

Die Fehlprognose hat Folgen. Die SRG wird keine Umfragen des Forschungsinstituts GFS mehr publizieren: Quelle:

Die SRG zieht damit Konsequenzen aus Longchamps Fehlprognose zur Minarett-Initiative, wie SRG-Mediensprecher Daniel Steiner zu einem Bericht der "NZZ am Sonntag" bestätigte. Gleichzeitig habe die SRG-Chefredaktorenkonferenz entschieden, die Umfrage des gfs zum Minarett-Verbot von externen wissenschaftlichen Institutionen analysieren zu lassen. Bis zum Abschluss dieser Analyse verzichte die SRG auf eine Publikation der gfs-Umfrageergebnisse. Für die Abstimmungen vom kommenden 7. März werde das Institut aber trotzdem eine Umfrage machen. Die Ergebnisse sollen in der Analyse der gfs-Arbeit miteinbezogen werden. Umfragen als solche würden nicht grundsätzlich infrage gestellt, sagte Steiner. Die Fehler in den Prognosen müssten aber in einem gewissen Rahmen liegen. Bei der Abstimmung zum Minarett-Verbot vom vergangenen 29. November hatte Longchamp eine Nein-Mehrheit von 53 Prozent vorausgesagt. Die Initiative wurde dann aber mit 57 Prozent Ja-Stimmen angenommen.



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